LETNA PARK     Prager Kleine Seiten
Kulturmagazin aus Prag
info@letnapark-prager-kleine-seiten.com

 

Vom sudetendeutschen Widerstand gegen die Nationalsozialisten

zu: Alena Wagnerova, Helden der Hoffnung - Die anderen Deutschen der Sudeten 1935 - 1989

 

von  Daniela Capcarová

 

 

Fünfundsechzig Jahre sind seit dem 2.Weltkrieg vergangen. Dennoch wird mehr als ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende die deutsche wie die tschechische Öffentlichkeit mit Stereotypen konfrontiert, die einerseits die Deutschen nur als Besatzer und Kriegsführer, andererseits die Tschechen nur als Vertreiber der Deutschböhmen kennen. Die Schriftstellerin, Publizistin und oral history-Forscherin Alena Wagnerová setzt sich in ihrem Buch Helden der Hoffnung mit dem Sudetendeutschen-Stereotyp auseinander: vorgestellt werden fünfzehn Lebensschicksale von Deutschböhmen, die im 2.Weltkrieg Widerstand geleistet hatten.

„Zu wenig Aufmerksamkeit wurde in den letzten Jahren denjenigen Deutschen in Tschechien zuteil, die sich im Vorfeld des 2.Weltkrieges der faschistischen Henlein-Bewegung widersetzten und gemeinsam mit den Tschechen um den Erhalt des letzten demokratischen Staates kämpften", hob der österreichische Botschafter Ferdinand Trauttmansdorf in seiner Begrüßungsrede an das tschechisch-deutsche Publikum anlässlich der Buchpräsentation hervor. "Frau Dr. Wagnerová hat mit ihrem Buch A zapomenutí vejdeme do dějin – Helden der Hoffnung dazu beigetragen, dass man heute weiß, dass nicht alle Sudetendeutsche mit dem Nazi-Regime sympathisierten.“, so Trauttmansdorf. Der deutsche Botschafter Johannes Haindl sprach über den Begriff Opfer, der sowohl den Tschechen in den 1938 von den Nazis besetzen Grenzgebieten der damaligen Tschechoslowakei, als auch den Sudetendeutschen, die 1945 ihre Heimat verlassen mussten, geläufig und gemeinsam sei.

Alena Wagnerová, die sich in Deutschland mit mehreren Büchern einen Namen gemacht hat, recherchierte, dass von 1938 bis 1945 etwa 300.000 Menschen, also etwa 10 % der deutschen  Minderheit, in der damaligen Tschechoslowakei aktiv im Widerstand gegen die Henlein-Anhänger (Bezeichnung der Nazis in der damaligen Tschechoslowakei) waren. „Es waren die deutschstämmigen Sozialdemokraten, Vertreter der katholischen Kirche, Kommunisten und demokratisch gesinnte Menschen. 20.000 von ihnen wurden verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt oder lebten unter ständiger Gestapo-Kontrolle. 37 katholische Geistliche bezahlten für ihren Widerstand mit ihrem Leben, ihnen folgten hunderte weitere deutsche Antifaschisten“, erläutert die seit 1969 in Saarbrücken lebende Tschechin die Ergebnisse ihrer historischen Forschung.

Die Ende April 2010 in Prag erschienene tschechische Übersetzung des deutschen Buches Helden der Hoffnung enthält fünfzehn Berichte von ZeitzeugInnen und ihren Nachkommen, die in den Jahren 2003-2007 von Alena Wagnerová und den deutschen Rundfunkjournalistinnen Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz befragt wurden.

Im Buch werden menschliche Schicksale der WiderstandskämpferInnen nachgezeichnet, von denen sich - laut Wagnerová - nur wenige mit der aktuellen Politik der Sudetendeutschen Landsmannschaft und ihrer Vereine identifizierten. „Diese Menschen haben in ihrem Leben zwei Niederlagen hinnehmen müssen: die eine 1938, als die Braunen die deutsch besiedelten Grenzgebiete der Tschechoslowakei besetzten, und die zweite, als sie nach 1945 als Deutsche die Tschechoslowakei verlassen mussten“, erklärt Wagnerová. „Obwohl sie als Antifaschisten nach dem Kriegsende in der Tschechoslowakei bleiben durften, konnten sie in den Gebieten, wo keine Sudetendeutsche mehr waren, ihr Deutschtum nicht mehr pflegen. So entschieden sich Viele doch noch für den Wegzug aus der alten Heimat; etwa 79.000 kamen nach Westdeutschland, vor allem nach Bayern, 54.000 gingen in die sowjetische Besatzungszone“, in die spätere DDR also, beschreibt Wagnerová die Wege dieser Frauen und Männer.

Den ProtagonistInnen des Buches blieb Tschechien als das Land ihrer Kindheit und Jugend in Erinnerung. Als Land, das sie nicht vergessen können. „Wenn die tschechische Hymne gesungen wird, stehen wir auch heute noch auf“, sagt im Buch die Tochter des Widerstandskämpfer Otto Halke, Maria Halke, aus dem bayerischen Memmingen. “Es ist wie eine verloren gegangene Liebe; die Tschechoslowakei war auch unsere Herzenssache. Zu Hause sind wir natürlich in Bayern, Heimat haben wir aber nur eine“, so Maria Halke und ihre deutsch-böhmische Freundin im Buch. Vielleicht bewahrt die Tochter des ehemaligen Abgeordneten des tschechischen Parlaments für die deutsche Partei Bund der Landwirte auch deshalb noch heute den Stift auf, mit dem ihr Vater 1934 in der Nationalversammlung den tschechischen Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk wählte. „Denn die damalige Tschechoslowakei war auch unser Staat, ein guter Staat“, erinnert sich die jetzt 87jährige Halke.

Obwohl Widerstandskämpfer wie Otto Halke und andere Antifaschisten im 2.Weltkrieg ihr Leben aufs Spiel setzten und mit aussergewöhnlichem Mut auch viele Leben Anderer retteten, fanden diese Menschen so gut wie keine Anerkennung von offizieller deutscher Seite. Das Projekt, das sowohl die deutsche Ausgabe des Buches Helden der Hoffnung als auch ihre tschechische Übersetzung und eine Wanderausstellung umfasst, wurde 2005 von der damaligen sozialdemokratischen tschechischen Regierung mit einem großzügigen Budget in Höhe von 30 Millionen Kronen (ca. 1,2 Mio. Euro) unterstützt, die Forschungsarbeiten in Zusammenarbeit mit dem tschechischen Institut für Zeitgeschichte der Tschechischen Akademie der Wissenschaften Ústav soudobých dějín České akademie věd realisiert. Den Anfang der Recherchearbeiten finanzierten - so Wagnerová - die Robert Bosch-Stiftung, der Deutsch-Tschechische-Zukunftsfonds und die Rosa Luxemburg-Stiftung. Offizielle deutsche Regierungs- oder Forschungsgelder flossen nicht. 

„Es gibt zum Beispiel das Deutsch-Tschechische Diskussionsforum, das sich mit diesen Fragen leider immer noch nicht beschäftigt hat“, resümiert Wagnerová.. Die deutsche Öffentlichkeit stecke noch voller Stereotype, die sich im Kalten Krieg durchgesetzt hätten und die öffentliche Diskussion immer noch dominierten. Solche Meinungen, gespeist aus Ressentiments und Vorurteilen, repräsentierten seit langem der Bund der Vertriebenen und seine Vorsitzende Frau Erika Steinbach. Das Bild der AntifaschistInnen passe einfach nicht in dieses alte, überkommene Bild. „Frau Steinbach hat sehr geschickt operiert und meiner Meinung nach auch Frau Merkel für sich gewonnen.“ Und sie betont: „Ohne politische Hilfe werden wir die in beiden Länderen vorherrschenden Klischees jedoch nicht aufbrechen können.“

In den Ländern Mittel- und Osteuropas - wie beispielsweise der Slowakei, in Tschechien, Polen und Russland -wurden Frauen und Männer für ihren antifaschistischen Widerstand und ihre persönliche Courage gesellschaftlich anerkannt; vielen wurde eine lebenslange Rente zugesprochen, manche engagieren sich bis heute in Vereinen. „Diese gesellschaftliche Anerkennung verdienen auch die deutschen Antifaschisten aus den Sudeten. Diesem Zweck soll das auf Deutsch und Tschechisch erschienene Buch dienen“, bekräftigt Alena Wagnerová ihr Anliegen.
Zur Person Alena Wagnerová (*1936) wurde in Mähren geboren. Sie studierte Biologie und Pädagogik an der Masaryk-Universität in Brünn, wo sie auch promovierte. Sie wurde zunächst Dramaturgin und ist seit 1966 freiberuflich als Publizistin tätig. Seit 1969 lebt sie in Saarbrücken und Prag und arbeitet als Schriftstellerin, Übersetzerin und Herausgeberin. Sie war Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung und des Frauenrates und ist in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Mitglied der Sektion für Frauenforschung. Außerdem ist sie Mitglied des Oral History-Centrums Saarbrücken-Praha und der Schriftstellervereinigung P.E.N. Seit 1968 befasst sie sich mit der Problematik der Sudetendeutschen. 1976 erschien in Deutschland ihr Buch „Mutter, Kind, Beruf“, in dem sie bewusst die Erfahrungen mit den Berufsleben der Frauen in der Tschechoslowakei verarbeitete. Das Buch fand bei vielen deutschen Frauen Akzeptanz. 1990 veröffentlichte sie im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch ihr Buch über die Erfahrung der ersten Generation der Vertriebenen „1945 waren sie Kinder: Flucht und Vertreibung im Leben einer Generation“, das in Tschechien unter dem Titel „Odsunuté vzpomínky (Vertriebene Erinnerungen) erschien. 2008 erschien ihr Buch über Widerstandskämpfer aus den Reihen der Deutschböhmen „Helden der Hoffnung - die anderen Deutschen aus den Sudeten 1938-1989“ , das Ende April 2010 in tschechischer Version „A zapomenutí vejdeme do dějin“ in Prag erschien. Alena Wagnerová hat zwei Kinder und lebt mit ihrem Mann in Saarbrücken.   

 

Erstveröffentlichung: Prager Zeitung, 13.05.2010, Foto: © Daniela Capcarová

mit freundlicher Genehmigung der Autorin

 

 

Buch:

- A zapomenuti vejdeme do dějin, 336 s., NLN - Nakladatelsví Lidové noviny, Praha 2010

- Helden der Hoffnung - Die anderen Deutschen der Sudeten 1935 - 1989, 272 S., Aufbau Vlg, Berlin 2008 



Tweet