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THERESIENSTADT - Kultur & Alltag

 

 

 

 

Sie schreiben in ihrem Buch darüber, dass Theresienstadt berühmt war für seine Veranstaltungen, Konzerte, Theater und Vorträge.

ER: Ja, das war in Theresienstadt sehr beliebt, und es gab ausgezeichnete Sänger, Musiker und Dirigenten, Schriftsteller, auch berühmte. Die hatten wenig Möglichkeiten, keinen Platz. Dann wurde extra eine Baracke gebaut, und dort waren die Veranstaltungen. Ich habe davon nicht soviel mitbekommen, denn wir waren immer müde. Wir mussten in der Landwirtschaft arbeiten, also früh aufstehen, und da konnte man am Abend nicht so häufig zu solchen Veranstaltungen, aber einige Male war ich dort und es war sehr interessant. Es gab wirklich viele Musiker und die Kinderoper Brundibar, über die jetzt viel geschrieben wird. Das Negative war, dass die Leute ständig kamen und gingen. Sie konnten nie bleiben. Sie probten, und die Schauspieler sind weggegangen. Es gab einen Vortrag, aber keinen mehr, der auf Fragen antworten konnte. Es war ein Problem jemanden zu finden, der dort wirklich blieb.

Theresienstadt ist ja das einzige Lager, in dem soviel Kultur stattfand.

ER: Dort waren so viele ausgezeichnete Künstler, und es wäre schade gewesen, wenn sie das nicht vermittelt hätten. Und dann haben die Deutschen ein Interesse gehabt, vor dieser Kommission zu zeigen, was alles geprobt wird und gespielt, Requiem von Verdi, große Künstler, Musiker und Dirigenten.

Das war aus Propagandagründen ja auch sinnvoll.

ER: Natürlich haben die Deutschen sie bloß benützt zu Propagandazwecken. Und dann kam dieser Film, und die Deutschen wollten auch zeigen, wie gut es ihnen geht. Vielleicht haben die Leute, die dort gespielt haben ein bissel ein besseres Essen bekommen, das war möglich.

Da gibt es ja verschiedene Variationen. Die eine, dass sie gleich anschließend mit dem nächsten Transport fort mussten....

ER: Ja, die Kinder, die damals in der Kinderoper Brundibar gespielt haben, die sind ganz schnell nach Polen, also da wurde ständig organisiert, wer da bleibt und wer in den nächsten Transport geht. Das war nur in Theresienstadt möglich, dass sich ständig die Situation geändert hat. Nie konnte man wissen, was im nächsten Monat stattfinden würde. Wenn einmal kein Transport gegangen ist, haben die Leute schon geglaubt, es wird jetzt keine mehr geben. Die Leute waren optimistisch, also es wird kein weiterer Transport gehen. Nach zwei Monaten wurden wieder vier Transporte geschickt. Man wusste nie vorher, was im nächsten Moment geschehen würde. Da kommt der Eichmann und sagt, es gehen so und so viele Transporte.

Z.B. mein Vater, sogenannt geschützt vor Polentransporten. Er hatte aus dem 1.Weltkrieg die Große Medaille, die Goldene, das bedeutete, diese Leute waren vor Transporten nach Polen geschützt. Dort waren auch einige Invaliden vom 1. Weltkrieg, und die galten auch als sogenannt geschützt. Im letzten halben Jahr wurden Transporte nur mit diesen Leuten zusammen gestellt. Man konnte nie wissen, wer im nächsten Transport ist. Da kommt irgendein Befehl, und alles ist wieder ganz anders, als ob das Vorher nie war.

Es ging schon um die totale Vernichtung, also, dass alle weg müssen.

Ich glaube, die Offiziere und Leitungsorgane haben es dann schon so gesehen.

ER: Ja, das alles war aber für uns nie sicher. Nichts war sicher in Theresienstadt. Ich wollte unbedingt mit meinen Eltern gehen. Also bin ich zu dem Oberkommandeur gegangen und habe gesagt, ich möchte mit den Eltern, freiwillig, gehen. Das war das Schlimmste, was man mit uns machen konnte, die Familien auseinander zu reißen. Er hat nur gefragt: Wo arbeiten Sie? - Landwirtschaft. - Kommt gar nicht in Frage! Also musste ich bleiben. Es hat mir nichts geholfen. Einen Tag sagen sie, alle sind geschützt vor Transporten, und dann ist es auf einmal wieder nicht richtig. Es hat sich ständig geändert, und nie konnte man mit Sicherheit sagen, was passiert. Ich war einige Male im Transport, und mein Vater ist in die Kommandantur gegangen und hat gesagt: Das ist meine Tochter, und sie ist jetzt im Transport. Ich habe die Goldene Medaille – und damit hat er mich immer heraus bekommen. Und zum Schluss ist er gegangen, und ich durfte nicht mitgehen. Mit Logik konnte man sich nicht helfen.

Die Nazis wollten alle weg haben. Es war schon so, dass man gesagt hat, diejenigen, die das und das haben, sind erstmal privilegiert usw. Im Endeffekt war aber seit der Wannsee-Konferenz klar, dass niemand übrig bleiben sollte.

ER: Sie konnten wahrscheinlich nicht wissen, wie der Krieg ausgeht, aber aus allen Konzentrationslagern sind die Menschen hierher gekommen, nach Theresienstadt, und sie waren in schrecklichem Zustand, alle verlaust, und hatten alle möglichen Krankheiten, viele haben Flecktyphus nach Theresienstadt gebracht. Da mussten dann wieder Leute bleiben, die sich um sie kümmerten. Ich weiß nicht, wie sie sich das vorgestellt haben.

Aber die Leute, die wieder aus dem Osten gekommen sind, kamen ja nur, weil diese Lager geschlossen wurden.

ER: Als ich gehen wollte, durfte ich nicht gehen, weil dort doch jemand arbeiten musste, aus der Landwirtschaft konnten sie nicht alle entlassen. Ich musste mich um die Schafe, die Ziegen und um – nein, um Kühe durfte ich mich nicht kümmern. Ich durfte die Kühe nur reinigen, aber melken durften wir nicht.

Warum nicht?

ER: Da sind immer deutsche Frauen aus Leitmeritz gekommen. (Gelächter) Ja, jeden Tag sind Frauen aus Leitmeritz zum Melken gekommen. Vielleicht dachten die Deutschen, die Milch könnte ihnen sonst schaden. Sie hatten sicher auch Angst, wir würden die Milch stehlen, also mussten verlässliche Leute die Kühe melken. Ich habe aber trotzdem jeden Tag ein bisschen Milch mitgebracht. Dafür hatte ich eine kleine Flasche, die habe ich gut versteckt. Jeden Tag konnte ich so ein wenig Milch mitbringen. Noch bis zum letzten Moment haben sie geglaubt, sie würden den Krieg noch gewinnen. Sie konnten sich nicht vorstellen, den Krieg nicht zu gewinnen. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass es einmal so ausfallen könnte.

ER: Man konnte darüber nicht sprechen.

Aber wer sich dermaßen aus dem Fenster hängt, der muss dann halt auch tief stürzen. Die deutsche Bevölkerung, ganz Deutschland hat schon gebrannt, und die Leute schrien immer noch „Endsieg“.

ER: Ich kann mir das nicht vorstellen, aber sie waren wahrscheinlich so unter der Propagandafuchtel, dass sie immer noch gehofft haben, es wird irgendeine Wunderwaffe geben, dass sie noch irgendetwas finden und binnen einer Woche ist der Krieg zu ende.

Wenn sie das hingekriegt hätten, diesen Atomsprengkopf, den sie entwickeln wollten, dann...

ER: Ja, sie haben geglaubt, dass sie eine Atombombe bauen könnten, bis zum letzten Moment haben sie daran geglaubt.

Halbes Jahr vielleicht, aber Gott sei Dank hat es ja nicht geklappt!

ER: Sie haben den Leuten nicht die Wahrheit gesagt, und wer offen am Sieg gezweifelt hätte, den hätten sie wahrscheinlich zum Tode verurteilt. Es war riskant zu zweifeln! Und wenn jemand gezweifelt hätte, hätte er besser geschwiegen.

Jemand hat behauptet, in der Nähe von Theresienstadt wird irgendetwas gebaut, wo unterirdisch Waffen hergestellt werden. Man wusste nicht, was daran wahr war. Aber damals hat man von einer unterirdischen Fabrik gesprochen – und auch von unterirdischen Gaskammern. Vielleicht wurde dort eine Fabrik gebaut mit Geheimwaffen, vielleicht waren es auch Gaskammern. Etwas wurde gebaut. Aber damals hat jeder irgendetwas für sicher gehalten, aber man wusste nichts.

Aber der Informationsfluss war ganz gut, im Vergleich zu anderen Lagern. Sie haben relativ gut Bescheid gewusst über die militärischen Fronten, was in England, was an der Atlantikfront los ist, haben Sie geschrieben.

ER: Manchmal hab ich dem Karel gesagt, ich möchte lesen, dann hat er mir Zeitungen mitgebracht.

Das ist z.B. auch ein Unterschied, das gibt es sonst in keinem Lager, dass die Leute relativ gut Bescheid wissen.

ER: Ich wusste aber nie, ob die Informationen richtig waren. Wenn Zeitungen die Wahrheit geschrieben haben, dann konnte ich etwas Information bekommen. Radio hatten wir keines.

Zum Ende hin haben sie offensichtlich schon Wahrheiten geschrieben, die Fronten wurden beschrieben, dass Berlin fällt, dass Dresden bombardiert worden war und wie weit die Russen schon waren.

ER: Was ich den Zeitungen entnehmen konnte: was besonders wichtig war, war auch einigermaßen verlässlich. Dass Dresden bombardiert wurde, das konnte man nicht verschweigen. Das waren ja Abertausende Menschen, die das überlebt hatten.

Wenn so viele Menschen nach Theresienstadt oder auch in andere Lager kommen, die erzählen ja auch. Sie kommen aus allen möglichen Richtungen, und sie haben natürlich auch Informationen.

ER: Ja, wenn ein Konzentrationslager wieder besetzt wurde, von Engländern, Amerikanern, dann sind die Leute darüber informiert gewesen.

 

Nun kommen die Menschen aus den Lagern und erzählen, was da wirklich los ist.

ER: Das waren diese sogenannten Todesmärsche, da sind mehr Leute unterwegs gestorben als irgendwo lebend angekommen sind. Es waren ganz wenige, die nach Theresienstadt gekommen sind. Wir hatten z.B. Bekannte, die aus Theresienstadt weg gegangen sind und in fürchterlichem Zustand wieder zurück gekommen sind. Die haben uns damals erzählt, welche schrecklichen Sachen unterwegs passiert sind. Von den Gaskammern haben wir da zum ersten Mal gehört ..

Sie waren alle verlaust und schwerkrank. Und deshalb habe ich mich jeden Tag, bevor ich zur Arbeit bin, um ein paar Leute gekümmert, habe sie gewaschen, sie waren ja mehr tot als lebendig. Und selbstverständlich habe ich von ihnen auch Läuse bekommen. Ich hatte ja keine Ahnung, und dann bekam ich auch Flecktyphus. Ich wusste nicht, was das bedeutet. Wie wir sie gesehen haben, mussten wir uns um sie kümmern. Dann war der 5. Mai, also mehr oder weniger das Ende des Krieges, und der Karel ist eines Abends nach Theresienstadt gekommen und sagte: Schau, es ist jetzt sehr gefährlich in der Quarantäne, ich möchte, dass du zu mir kommst. Also hat er mich auf´s Rad gesetzt, auf die Stange, und hat mich nach Hause gebracht zu seiner Frau und den Kindern. In der Nacht bin ich aufgewacht, es war schrecklich. Ich dachte, im nächsten Moment werde ich sterben. Mir hat der ganze Körper weh getan, ich hatte über 41° Grad Fieber. Da habe ich mich erinnert: Ich habe wahrscheinlich Typhus. Dann habe ich ihn in der Früh gebeten: Bring´ mich wieder zurück nach Theresienstadt. Hier kann kein Arzt mich ohne Bewilligung behandeln, in Theresienstadt sind Ärzte. Das war streng bewacht. Es durfte niemand hinein und keiner heraus. Er hat mich wieder auf die Stange gesetzt, ich hatte ihm gesagt, ich muss in ein Krankenhaus, ich kann hier nicht bleiben. Aber wie es ihm gelungen ist, mich in das Krankenhaus zu bringen, weiß ich nicht. Wahrscheinlich hat er viel dafür bezahlt. Im Krankenhaus bin ich dann noch sechs Wochen geblieben. Sie haben mich langsam wieder in Ordnung gebracht. Aber nach diesen sechs Wochen war ich noch nicht imstande, zu gehen. Ich war noch zu schwach. Ich hatte keine Lust. Wo, wohin sollte ich gehen? Ich wusste nicht, wohin. Ich wollte nach Prag meine Eltern suchen, aber dann habe ich erfahren, dass das aussichtslos sein würde, aber man hat immer noch gehofft.

 

 

 



 

 

 

 

© Katja Schickel/www.letnapark-prager-kleine-seiten.com

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