Die Bilanz sieht nicht gut aus: Auf der Ebene von Freiwilligkeit, also eher getragen von moralischem Impetus, der niemandem weh tut (außer den Opfern) als von Einsicht in Pflicht und Notwendigkeit, haben sich viele Staaten einfach gänzlich verweigert oder etwaige Restitutionsansprüche per Gesetz erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht (mit dem Hinweis, bei den reklamierten Gütern handele es sich mittlerweile um Staatseigentum, um Besitz von „nationalem Interesse“), der Enteignung durch die Nazis also eine weitere hinzugefügt, haben Museen die Rechtmäßigkeit von Ansprüchen angezweifelt, weil die Herkunft ungeklärt sei (was manchmal sogar stimmte). Besonders perfide allerdings war diejenige Argumentation, die behauptete, die damaligen Eigentümer hätten frei entschieden und freiwillig verkauft (seltsamer Begriff von Freiheit und Freiwilligkeit, wenn man das Geld braucht, um z.b. emigrieren zu können!) oder Rechtsansprüche von nicht direkten Verwandten und Nachkommen (direkte sind immer nur Eheleute, Geschwister, Kinder, die oftmals ebenfalls tot sind) seien nicht gegeben, weil in der Gesetzgebung nicht vorgesehen. Kurz und schmerzhaft: Wenn Gesetze Schlupflöcher bieten, werden diese auch genutzt. Leider hat sich an dieser bitteren Wahrheit nicht viel geändert.
Viele der Archive, die Aufschluss geben könnten, sind weiterhin verschlossen, eine Systematisierung und Zusammenarbeit der nationalen Oganisationen, die über Restitution, Entschädigung, Beutekunst und anderen Besitz recherchieren und die Forderungen der Überlebenden oder deren Hinterbliebenen mit Nachdruck vertreten, wurde in allen Arbeitsgruppen als dringliche nächste Aufgabe genannt. Allerdings müssen sich die Organisationen auch selbstkritisch fragen, warum das nicht schon längst geschehen ist. Wir leben in Zeiten der Globalisierung, des Internets und nicht der Postkutschen. Einer der Delegierten sagte mir, da sei auch viel Konkurrenz und Neid im Spiel.
Und Alex Faiman von B´nai B´rith Europe aus Groß-Britannien, ursprünglich aus der Ukraine, formulierte es so: „Im Westen geht es um die Qualität des Lebens, den Lebensstandard, im Osten um das schiere Überleben.“ Bei den Restitutionsansprüchen dreht es sich keineswegs „nur“ um – mittlerweile millionenschwer gehandelte – Kunst, die eine kleine Minderheit als rechtmäßiges Erbe beansprucht; gestohlen, geraubt, enteignet, „arisiert“ wurde einfach alles und auf allen Ebenen: per Nazi-Dekret oder per Gelegenheit (der Nachbarn, der Arbeitskollegen, der vormaligen Freunde etc.). Es handelt sich dabei um eine allumfassende Enteignung von Millionen von Menschen (die meisten europäischen Juden waren arm), von der wiederum viele profitierten, und nur ein Bruchteil dessen wurde bisher überhaupt anerkannt und zurückgegeben. Wenn Überlebende zurück kamen, fanden sie ihre Wohnungen und Häuser von Anderen bewohnt, ganze Wohnungseinrichtungen waren einfach übernommen worden, Erinnerungsstücke benutzt oder zerstört, traditionelle religiöse Alltagsgegenstände degradiert. Man trachtete nicht nur nach ihrem Leben, sondern vereinnahmte auch ihren gesamten Besitz und bereicherte sich schamlos.
Stuart Eizenstat, Repräsentant der US-Delegation, betonte, diese Konferenz sei die letzte Möglichkeit, den Überlebenden Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; sie sei nicht Zeichen, die Tür zu schließen, weil bald niemand mehr leben wird, die/der aus eigener Anschauung über diese Zeit berichten kann, sondern Ausdruck des Willens aller Beteiligter, schnell und gezielt auf die Bedürfnisse zu reagieren, d.h. Besitz zurück zu geben, für finanzielle Sicherheit der – teilweise in äußerst prekären Verhältnissen lebenden – Menschen zu sorgen und soziale Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein würdiges Leben ermöglichen helfen.
Gerade im Alter erleben viele Menschen ihre Traumata erneut, die die Erlebnisse der Shoah in ihren Körpern und Seelen hinterlassen haben, Verdrängtes bricht auf und macht noch einmal hilf- und schutzlos. „Je älter sie werden, desto deutlicher wird ihnen die Hölle, der sie entkamen“, sagte die österreichische Kulturministerin Claudia Schmidt. Die Überlebenden benötigen medizinische Versorgung und psychologische Unterstützung, in anderer Weise als andere alte Menschen.
Viele der Überlebenden leben auch in den USA in Armut, da es keine ausreichende Sozialhilfe und Gesundheitsfürsorge gibt. Mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs, dem Fall der Berliner Mauer, der Samtenen Revolution wurde auch das Elend der Überlebenden in Mittel- und Osteuropa öffentlich sichtbar. Die Regierungen dieser Länder haben auf Ansprüche sehr unterschiedlich reagiert: alle eint, dass sie sich zu Kompensation bzw. finanzieller Entschädigung aus ökonomischer Sicht oftmals nicht oder nur unzureichend in der Lage sehen. Aber wenn sich schon ein reiches Land wie die Vereinigten Staaten nicht an die Prinzipien der Washington Declaration gehalten hat, warum sollten es andere Länder tun.
Die Journalistin Marilyn Henry aus New York, die sich seit Jahren mit diesen Fragen beschäftigt und demnächst ein Buch über Beutekunst vorlegen wird, kritisiert: „Solche Veranstaltungen, auf höchster diplomatischer Ebene, müssen immer ein Resultat haben, eine Erfolgsstory. Meist sind es leere Versprechen. Ohne klare Forderungen allerdings an die Staaten und Festlegung von Maßnahmen bei Nichteinhaltung der Vereinbarungen sind diese Absichtserklärungen nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind.“
Gemeint ist die Terezin Declaration, die alle wichtigen Punkte der Konferenz zwar zusammenfasst, aber wieder keinerlei bindenden Charakter hat. Ob sich ein Staat an die ratifizierte Erklärung hält oder nicht, hat keinerlei Folgen. Es soll jedoch ein European Institute for Legacy of the Shoah -Terezín entstehen, an das sich alle Staaten, Institutionen und Organisationen, die sich um die Belange von Opfern der Nazi-Diktatur kümmern, wenden können. Alle Daten, Fakten, Interviews von Überlebenden sollen hier gesammelt und in einer Datenbank zugänglich gemacht werden. Es soll darüber hinaus weitere, vor allem auch interdisziplinäre Forschung ermöglichen, mit eigenen Mitteln unterstützen und Programme für Lehrer, Studenten und Schüler entwickeln helfen, die auf die jeweiligen gesellschaftlichen Gegebenheiten Bezug nehmen und heutige Entwicklungen von Intoleranz, Fremdenhass, Rassismus und Antisemitismus im Zusammenhang mit der Erinnerung an die Shoah darstellen.
Eine eigene (zwiespältige) Einschätzung am Schluss: So pessimistisch wie viele Konferenz-TeilnehmerInnen muss man nicht sein, denn viele der mit diesen Themen Befassten sind und bleiben sehr engagiert. Die vielen Diskussionen am Rande waren ein sprechendes Zeichen für das Bedürfnis, intensiver miteinander arbeiten, sich vernetzen zu wollen, im Bewusstsein zwar, national handeln zu müssen, mit der Gewissheit aber, international denken und jenseits aller Grenzziehungen auch agieren zu können. Terezín/Theresienstadt, ein Ort in Zentraleuropa mit einer sehr speziellen Geschichte, ist als Brücke zwischen Ost und West m.E. wichtig, denn vereint ist Europa längst nicht so, wie gerne an jeweils höchster Stelle behauptet wird (gerade nicht in der Einschätzung der Shoah, ihren Folgen und den Notwendigkeiten, die sich daraus ergeben).
Wenn allerdings Roma, die zurzeit z.B. in der Tschechischen Republik wieder um ihr Leben fürchten müssen, in der Planung der Prager Konferenz schlicht vergessen werden, wie Cernek Ruzicka sichtlich enttäuscht erzählte, für ihre Teilnahme und eine Schwerpunkt-Veranstaltung zum Genozid an ihrem Volk kämpfen müssen, in der es dann bald wieder nicht mehr um sie geht, wie auch Jana Horváthová, Leiterin des Museums der Roma-Kultur in Brno/Brünn beklagte, kommen Zweifel. Die Lippenbekenntnisse der Diplomaten, der Delegationsleiter und OrganisatorInnen werden mehr als fragwürdig, wenn sie zwar vollmundig Unterstützung aller Opfer des Nationalsozialismus zusagen, in der konkreten Situation aber mit Abwehr reagieren. Solidarität, Respekt und Toleranz zu fordern ist eine Sache, sie zu praktizieren eine ganz andere. „Roma sind nicht der Appendix des jüdischen Holocaust “, sagte der israelische Historiker Yehuda Bauer. „Sie haben eine eigene Geschichte, Kultur und Tradition, die wir hochachten sollten“. Von 50.000 Roma überlebten nur ca. 500. Entschädigung haben sie nicht erhalten. Und das ist ein Skandal.
Die Konferenz sollte darüber hinaus unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, JournalistInnen nur zu den Pressekonferenzen am Anfang und Ende und zu den morgendlichen Bulletins der Regierungs- bzw. EU-VertreterInnen zugelassen werden. Erst nach massivem Protest wurde diese Regelung aufgehoben, alle JournalistInnen konnten an allen Veranstaltungen teilnehmen.
Nur am letzten Tag wurden sie unter massivem Sicherheitsaufgebot in den 3. Stock gebracht und konnten, von der Empore in der alten Plenarsaal der früheren kommunistischen Volksvertretung blickend, die Reden bzw. Erfolgsmeldungen der einzelnen Delegationen verfolgen. Kontakte und Interviews waren am letzten Tag offensichtlich nicht erwünscht und auch nicht möglich. Das Prager Congress Centrum ist innen ein großzügiger Bau mit vielen Ebenen und Terrassen, die mit teilweise schön geschwungenen Treppen miteinander verbunden sind. Außen sicherte die Polizei die 11 Eingänge mit jeweils mindestens 3 Männern, innen sicherten jeweils zwei Männer sämtliche Treppen. Vielleicht als Arbeitsbeschaffungsprogramm für junge Männer gedacht, ist dieses Vorgehen mit dem demokratischen Grundrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit allerdings nicht vereinbar.
Vermutlich kann aber nur eine breite, gut informierte Öffentlichkeit weitere Stagnation verhindern, zur Klärung offener Fragen beitragen und auf die Erfüllung der berechtigten Ansprüche drängen. Wann, wenn nicht jetzt!
Weitere Informationen: www.holocausteraassets.eu
Empfehlenswert: Raub und Restitution – Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis Heute, Ausstellungskatalog, Jüdisches Museum Berlin, 2008
Denisa Haubertova und Yehuda Bauer
Erstveröffentlichung: aviva-berlin. de, hagalil.com
© Fotos: HEAC, K. Schickel