LETNA PARK     Prager Kleine Seiten
Kulturmagazin aus Prag
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AUF DER GALERIE  

Auswahl: Katja Schickel 

 

© Quint Buchholz - Das Spiel, mit freundlicher Genehmigung des Künstlers (s.a. Empfehlungen, Karlheinz Deschner)

 



 


„Kultur ist Reichtum, und nicht umgekehrt“Claudio Abbado


 

Lesen in NYC 

http://www.slate.com/blogs/behold/2015/03/12/lawrence_schwarzwald_a_new_york_photographer_captures_candid_images_of_people.html 

 

Wenn die Post nachts käme / und der Mond / schöbe die Kränkungen / unter die Tür: // Sie erschienen wie Engel / in ihren weißen Gewändern / und stünden still im Flur. Ilse Aichinger

 

„Wir begreifen nicht, dass Prinzipien, die für unsere Entfaltung fruchtbar gewesen sind, von andern nicht so hoch verehrt werden, als dass sie veranlasst würden, sie für den eigenen Gebrauch zu übernehmen.“ Claude Lévi-Strauss, zitiert nach Thomas Assheuer

 

Schamhaar, so nass wie ein RegenwaldAnfang Dezember 2014 vergab die englische Literaturzeitschrift Literary Review ihren Bad Sex Award, Die Liste der an der Beschreibung von Sexszenen gescheiterten Autoren ist lang; die etwas zweifelhafte Auszeichnung erhielten seit 1993 u.a. Tom Wolfe, Norman Mailer und Jonathan Littell, diese Jahr ging sie an den nigerianischen Schriftsteller und Booker-Prize-Träger Ben Okri, *1959, der in seinem zehnten Roman The Age of Magic schreibt: „Als seine Hand ihren Nippel streifte, wurde ein Schalter umgelegt und sie war wie erleuchtet. Er berührte ihren Bauch, und es schien, als brannte seine Hand durch sie hindurch. Er verschwendete beiläufige Berührungen an ihrem Körper, und bittersüße Empfindungen fluteten ihr Hirn. Sie wurde Orten in sich bewusst, die nur von einem Gott mit Sinn für Humor dort versteckt worden sein konnten.“ (nicht autorisierte deutscher Übersetzung). Nominiert waren in diesem Jahr auch Haruki Murakami („Schamhaar, so nass wie ein Regenwald“), Michael Cunningham („Er hörte sich selbst vor Staunen nach Luft ringen“) und Richard Flanagan, der diesjährige Gewinner des Booker Prize („Hände fanden Fleisch, Fleisch, Fleisch. Er fühlte das unwahrscheinliche Gewicht ihrer Wimper mit seiner eigenen. Er küsste den leichten, rosigen Abdruck ihrer Strumpfhose, der um ihren Bauch verlief wie der Äquator um die Erde“).

 

06.12. - Nikolaus: Es blaut die Nacht, die Sternlein blinken, Schneeflöcklein leis herniedersinken …

… Auf Edeltännleins grünem Wipfel / häuft sich ein kleiner weißer Zipfel. Und dort vom Fenster her durchbricht / den dunklen Tann ein warmes Licht. Im Forsthaus kniet bei Kerzenschimmer / die Försterin im Herrenzimmer. In dieser wunderschönen Nacht / hat sie den Förster umgebracht. Er war ihr bei des Heimes Pflege / seit langer Zeit schon sehr im Wege. So kam sie mit sich überein: am Niklasabend muss es sein. Loriot 

 

Die Leere und die Fülle

 „Ein menschlicher Körper, ein Stein, ein Stahlträger, auf dem ein ganzes Haus lasten kann – sie alle bestehen aus Leere. Die winzigen Atomkerne und noch kleineren Elektronen sind von hunderttausendmal größeren Zwischenräumen getrennt. Und selbst die Atomkerne scheinen nur solide. Untersucht man sie genauer, findet man wiederum Leere, dann noch kleinere Elementarteilchen, die Protonen, Neutronen, schließlich Quarks und Gluonen, die sich fortwährend neu bilden und wieder verschwinden. Im Traum löst sich das Ich in seine Elementarteilchen auf. Zu erleben, dass unsere Persönlichkeit nicht so festgefügt ist, wie wir glauben, kann beunruhigend sein – aber auch befreiend.“ Stefan Klein: Träume – Eine Reise in unsere innere Wirklichkeit, s. hier auch: Wunschzettel


Die goldene Muschel: Auch Flora und Fauna sind längst globalisiert. Mit Schiffen kamen die blinde Passagiere in den 1990er Jahren aus China in den Amazonas, vermehrten sich und zerstören dessen Bewohner. http://www.ozy.com/rising-stars-and-provocateurs/the-crusade-of-marcela-uliano-da-silva/32937


Wie Götter gemacht werden beschrieb schon Xenophanes, ca. 500 v.Chr.:

Stumpfe Nasen und schwarz; so sind Äthiopias Götter,
Blauäugig aber und blond: so sehn ihre Götter die Thraker,
Aber die Rinder und Rosse und Löwen, hätten sie Hände,
Hände wie Menschen zum Zeichnen, zum Malen, ein Bildwerk zu formen,
Dann würden die Rosse die Götter gleich Rossen, die Rinder gleich Rindern
Malen, und deren Gestalten, die Formen der göttlichen Körper,

Nach ihrem eigenen Bilde erschaffen: ein jedes nach seinem.

 

25.10.2014: Peter Rühmkorf, zum Fünfundachtzigsten: „Ich bin eine bröcklige Existenz, die sich aufgerufen fühlt, sich jeden Tag neu zu verfassen. Das ist geradezu triebhaft bei mir. Ich versuche, in einem Hochspannungsfeld die Balance zu halten. Zwischen Himmel und Erde spanne ich mir selber ein Seil und bemühe mich, nicht herunter zu fallen.[…] Ich habe mich in Prosa fast überhaupt nicht zu den deutschen Dingen geäußert, weil diese irrationalen Vorgänge für mich in nüchterner Prosa nicht mehr zugänglich waren. Ich habe viel Zorn, Wut, Verzweiflung, Sarkasmus und Ironie auf Gedichte verwendet, die sich damit weniger ins Benehmen als ins Unbenehmen setzen.[…] Es hat das Verfassen von Kunst auf allen Ebenen etwas mit Therapie, vor allem aber etwas mit Kompensation zu tun.[…] Das Schreiben ist eine Art von Selbstverdoppelung. Man stellt Schatten von sich her, ein zweites Ich, an dem man sich auch aufrecht hält. Eigentlich möchte man immer ein ideales Ich von sich selbst verfassen. […] aus einem Interview in Die Zeit vom Juni 2008

„Und, wie gesagt oder nicht: wer nicht lieber lebt als schreibt, kann das Dichten auch ganz aufgeben.“zit. n. Bettina Clausen

 

07.10.2014: „Wer Paradiese erreichen will, muss vorher das Gedächtnis verbannen!“: Einer der bemerkenswertesten, zugleich melancholischsten und verzweifeltsten Sätze stammt aus Siegfried Lenz´ Erzählung Der Spielverderber. Alle Ambivalenz menschlicher Existenz, die Erfahrung von Leben und Tod, wie verschüttet und verdrängt sie auch immer sein mag, ist in diesem Satz enthalten. Vergangenheit ist nicht nur positives Erbe und Vermächtnis, sondern auch Schuld, Erschwernis und Last, die die eigenen subjektiven Erfahrungen und den historischen Gang der Geschichte verzerren, beeinträchtigen und entstellen können. Aber ohne Vergangenheit, ohne Erinnerung ist Bewusstsein und Identität nicht zu haben. Das Empfinden von Glück und Unglück, gegenwärtigem wie zukünftigem, ist mit vergangenem verknüpft, und ein Bewusstsein von Zukunft konstituiert sich überhaupt nur durch das Erinnern der Vergangenheit. Sich und die Welt vergessen ist ein schöner Traum für Augenblicke, den man sich gönnen sollte, wenn er da ist, auf Dauer gelebt bedeutet er in der Konsequenz Demenz und Tod schon im Leben. Im Schreiben, scheint es, hat Lenz die Differenz aushalten, ihr Form geben können. Wer gut schläft, ist schlecht informiert, heißt ein heutiger, recht eindimensionaler Satz angesichts der krisenhaften Entwicklung der Welt. Vermutlich ist auch der schon viele Male zuvor gedacht, geschrieben und ausgesprochen worden. An den außergewöhnlichen Satz von Lenz kommt er allerdings nicht heran. Es sind vor allem seine erstaunlichen Kurzgeschichten und Erzählungen, die schon bei ihrem ersten Erscheinen im deutschsprachigen Raum einzigartig sind, an angloamerikanischen Erzählweisen geschult und mit knappen Sätzen Atmosphären herstellen und verdichten können, mit ins Geschehen montierten überraschenden Dialogen, die pointiert gesetzte Worte und Alltagsjargon kunstvoll miteinander verbinden. Mit diesen Stilmitteln kann der Schriftsteller westdeutsche Befindlichkeiten realistisch beschreiben und doch weit über sie hinausgehen. Lenz gibt den Außenseitern und Unangepassten, den sog. kleinen Leuten eine Stimme, und das ist im wieder erstarkenden Deutschland auch dringend nötig, das sich gerne – und am besten für immer – in Vergessen und (Ver-)Schweigen gemütlich einrichten möchte, geradeso als sei nichts geschehen. Seine Erzählungen sind vielschichtige und subtile Plädoyers gegen nicht (mehr) hinterfragte Behauptungen und wortlose gesellschaftliche Übereinkünfte – und sie schmerzen, weil einmal ausgesprochene Wahrheiten immer unbequem sind. (Zum Tod von Siegfried Lenz)

 

07.09.2014Mary Bauermeister zum Achtzigsten. Als Kind konnte sie Farben riechen, Musik sehen, Bilder hören. In ihrem Kölner Atelier in der Lintgasse 28 traf sich Anfang der 1960er Jahre alles, was man später Fluxus nannte, Dichter, Komponisten und bildende Künstler wie Joseph Beuys, John Cage, Christo, Wolf Vostell, David Tudor und Nam June Paik. Wenn sie ihre Werke ausstellte, erklang dazu elektronische Musik, komponiert und gespielt von Karlheinz Stockhausen, dessen zweite Frau sie wurde. Ihren künstlerischen Durchbruch erlebte sie in New York, bevor sie 1972 wieder zurückkehrte: In der Nähe von Köln erwarb sie für sich und ihre vier Kinder ein großes Wald- und Gartengrundstück, dessen Wege Kraftlinien folgen, die Bauermeister erspürt hat. Nach wie vor bestimmt die Natur ihr Schaffen. Und zunehmend auch der Tod: „Ich bin mit nichts gekommen, ich gehe mit nichts.“ Ihr Künstlerhaus aus Holz, Glas, Stahl und Beton schenkte sie bereits dem Landschaftsverband Rheinland. Die Frau in Weiß, ein Porträt der Künstlerin Mary Bauermeister von Sabine Fringes, gesendet 05.09.2014, Deutschlandfunk. Das Manuskript zum Nachlesen:

 

Feature Mary Bauermeister (txt-Datei) oder:

Feature Mary Bauermeister (PDF-Datei)




© 18 Rows, 1962-68

 

„Die Welt der Kunst & Fantasie ist die wahre, the rest is a nightmare.“ Arno Schmidt


15.07.2014: Anton Tschechow, 110. Todestag: „Wir haben weder Nah- noch Fernziele, unser Herz ist wie leergefegt. Wir haben keine Politik, an eine Revolution glauben wir nicht, wir haben keinen Gott, wir haben keine Angst vor Gespenstern..., nicht einmal Angst vor dem Tod oder dem Erblinden... Ob dies eine Krankheit ist oder nicht – es geht nicht um die Bezeichnung, sondern um das Eingeständnis unserer Lage... für unsereinen ist diese Zeit brüchig, sauer, langweilig... Uns fehlt das 'Etwas'...“ zit. n. Otto A. Böhmer in: Wiener Zeitung


15.07.: Walter Benjamin, Philosoph, Literaturhistoriker und Autor, wird 1892 in Charlottenburg geboren (gest. 26.09.1940 im spanischen Port Bou auf der Flucht vor der Gestapo) - „Erzählen ist ja nicht nur eine Kunst, es ist vielmehr noch eine Würde, wenn nicht wie im Orient ein Amt. Es mündet in eine Weisheit, wie umgekehrt Weisheit oft als Erzählung sich beweist. Der Erzähler ist also immer auch einer, der Rat weiß. Und um den zu bekommen, muss man selber ihm erzählen. Wir aber wissen von unseren Sorgen nur zu stöhnen, zu jammern, nicht zu erzählen“ – aus: Berliner Kindheit um 1900. 

 

Wie eine ernstzunehmende Kulturkritik aussehen sollte, überlegt Georg Seeßlen in der taz: „Ich weiß nur, was ich auf gar keinen Fall sein möchte: Ein Besserer, der etwas Schlechteres missbilligt und das in sarkastische Worte kleidet. Teil einer 'gehobenen', mehr oder weniger linken Mittelstandskultur, die eine 'Unterschichtkultur' verachtet. Mindestens so notwendig, wie die Objekte der Kulturkritik so präzis als möglich zu treffen, ist es, eine genaue politische Grammatik der Kritik zu entwickeln: Ich will auch keiner sein, der das Falsche und Wertlose kritisiert, weil er so genau weiß, was das Richtige und Wertvolle wäre. Jede Kulturkritik, die etwas zu sagen hat, bezieht den Kritiker und seine Kultur mit ein.“

 

Europa-Drohnen im sauberen Einsatz: Es gibt ja Leute, die wollen dem Kind gleich einen Namen geben: Der europäischen Drohne etwa! Aber wie soll sie denn nun heißen?.... Nach einem Friedensnobelpreisträger? Oder nach einer anderen schillernden europäischen Persönlichkeit: Václav Havel, Olof Palme usw. – Um auch zögerliche deutsche Sozialdemokraten für das Drohnen-Programm zu gewinnen: Vielleicht Willi-Brandt-Unbemannt!?(Nachdem er flughafentechnisch ja am Boden liegt).
Der fliegende Einsatzkörper kommt im richtigen Moment aus der Deckung, ohne dass so ein killender Joystick-Mann (am formschönen Hebelchen, am blinkenden Knopf) befürchten muss, jemals zur Rechenschaft gezogen zu werden. Der integral-analoge Humanroboter übernimmt die Funktionen Greifer, Richter, Henker in Personalunion – ohne lästigen Prozess – und morgens sitzt er unerkannt neben uns beim Kaffee. – Den Schreibtischtäter an der Todesspritze zu immunisieren, ist die genialste Angriffsmoral-Aufrüstung seit den alten Trojanern und Nazis. Unangreifbare, klinisch-präzise, ethikfreie Drecksarbeit: die hat doch einen sauberen Namen verdient, oder !?.... (Idee aus: stimmenrausch.de)

 

Zum Weltflüchtlingstag 2014:

Die tatsächliche Aufnahme von Asylbewerben

in Europa



















 

Jemand spielt mit jemandem mit oder jemand spielt mit jemandem oder jemand spielt jemandem mit. Das mitspielen ist deshalb auch ein beispiel und oft ein übles, manchmal ein arges oder auch böses. Gute mitspiele gibt es nicht, dafür gibt es eine menge guter beispiele. Es gibt auch schlechte beispiele, die sollte man sich nicht nehmen. Nur zu herzen. Nur zu.

Barbara Köhler, Zum Beispiel, in: Neufundland. Schriften, teils bestimmt

 

„Nun, ich denke, unsere Welt ganz allgemein ist mehr und mehr mit Menetekeln zugestellt. Die vier apokalyptischen Reiter reiten ja schon recht sichtbar herum. Und ich weiß jetzt so wie Sie fragen nicht unbedingt, ob das ein schweizerisches Problem ist. Natürlich sitzt die Schweiz mitten drin, weil sie auch eine ökonomische Macht ist, und natürlich hängt diese Macht zum Teil auch mit unserer Geschichte zusammen, die uns nolens volens in zwei Weltkriegen zu so etwas wie Profiteuren gemacht hat. Beide Weltkriege haben der Schweiz einen tüchtigen ökonomischen Schub gegeben. Und es ist natürlich zu einfach, das dann als allgemeines Kriegsgewinnlertum abzutun, dennoch war es so. Dürrenmatt sagte ein anderes schönes Wort: Es ist unmöglich, sich in einer unreinen Zeit rein zu verhalten.“ Urs Widmer, im Gespräch mit Michael Kerbler, ORF im Mai 2008

 

Das Ideal der Gleichheit ist deshalb so schwer zu verwirklichen, weil die Menschen Gleichheit nur mit denen wünschen, die über ihnen stehen. John B. Priestley 

 

zum 70sten: Hanna Schygulla im Gespräch 

 

„Canetti erzählt in seinem Buch über Kafka, dass der größte Schriftsteller des 20. Jahrhunderts an dem Tag, als er zum ersten Mal Blut spucken musste, begriff, dass die Würfel gefallen waren, worauf ihn nichts mehr vom Schreiben habe abhalten können. Was will ich damit sagen, wenn ich sage, dass ihn nichts vom Schreiben abhalten konnte? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht so genau. Ich nehme an, ich will sagen, dass Reisen, Sexualität und Bücher Wege sind, die nirgendwohin führen, auf die man sich aber dennoch begeben muss, um sich zu verirren und wiederzufinden oder um etwas zu finden, was auch immer, ein Buch, eine Geste, einen verlorenen Gegenstand, irgendetwas, vielleicht eine Methode, mit etwas Glück: das Neue, das, was immer schon war.“ Roberto Bolaño, Der unerträgliche Gaucho. Aus dem Spanischen von Hanna Grzimek, Kunstmann Verlag, 16.90 €, ISBN 3-88897-446-1


Patti Smith: Advice to the young - (and the old, too!) Von ihr zu lesen: Traumsammlerin. 107 S., Abb., geb., Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013. 16,99 €. Für Große und Kleine. Zum Vorlesen und sich gegenseitig eigene Träumen erzählen.

 

Ob Gedichte nun aber auf die eine oder auf die andere Weise geschrieben werden, ob ich nun so tue, als schriebe ich oder als schriebe die Sprache, ob ich nun schlecht und recht die Welt lese oder sage, dass ich ein Teil der Welt bin, der die Welt liest, und dass sie damit sich selbst liest, so bin und bleibe ich der naive Leser, ein Eingeborener, der seine Welt nie von außen sehen kann. Und mein Gedicht wird dasselbe Verhältnis zum Weltall haben wie das Auge, das seine eigene Netzhaut nicht sehen kann. Jedenfalls aber sieht es. Und es liest weiter.

Inger Christensen, zum fünften Todestag; aus: Der Geheimniszustand und Das Gedicht vom Tod, 2001


„Wenn dein Leben nicht drei Dimensionen hat, wenn du nicht im Körper lebst, sondern in zwei Dimensionen in der platten und gedruckten Papierwelt, so als ob du nur deine Biographie leben würdest, dann bist du im Nirgendwo. Du siehst nicht die archetypische Welt, sondern lebst wie eine gepresste Blume zwischen Buchseiten, eine bloße Erinnerung deiner selbst.“ C. G. Jung

 

Erinnerung, Gedächtnis, Behalten und Vergessen. Es gibt bekanntlich den Horror vacui die Angst vor der Leere, eine Phobie, und wie alle Ängste letztendlich eine Todesangst, die Angst vor der Auslöschung. Ist Löschen Auslöschen? Die Auslöschung lautet ein beziehungsreicher Titel eines Romans von Thomas Bernhard. Aber hat nicht gerade Thomas Bernhard mit seinem bekannten Testament sein „Nachleben“ und seine „Erbschaft“ geordnet, auf eine ambivalente Weise. Denn er wollte, daß man sich seiner oder an ihn erinnert als einen, der nicht wollte daß man sich an ihn erinnert, in Österreich jedenfalls und was seine Theaterstücke betrifft. Nur wer vergessen wird ist wirklich tot, heißt ein tröstliches Wort oder ein trösten wollendes Wort mehr für die Lebenden als die Toten... Letztlich können kreative Menschen wie auch am Beispiel Franz Kafkas ersichtlich, das Erinnern oder Vergessen ihrer Werke nicht verbindlich regeln. Wie gut, daß Max Brod, Kafkas Freund und Erbe als Nachlassverwalter dem letzten Willen Kafkas nicht entsprochen hat und den Großteil des erzählerischen Werkes posthum herausgebracht hat, zum Staunen der Welt. Es sind also in jedem Fall die Lebenden, die Überlebenden, die mit dem Werk der Toten auch bei allem Respekt vor den Verblichenen, nach ihrem Belieben oder Gutdünken verfahren.

Alois Brandstetter, zum 75sten; aus: Das Informationszeitalter - Zeitalter des Vergessens?, Festvortrag, gehalten am 27. Österreichischer Bibliothekartag, Klagenfurt 2002

 

Schön wär´s - Romantisches zur Jahreszeit von Heine

Im traurigen Monat November war's,/Die Tage wurden trüber,/Der Wind riss von den Bäumen das Laub,/Da reist ich nach Deutschland hinüber./Und als ich an die Grenze kam,Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen/In meiner Brust, ich glaube sogar,/Die Augen begannen zu tropfen./Und als ich die deutsche Sprache vernahm,/Da ward mir seltsam zumute:/ich meinte nicht anders,
als ob das Herz Recht angenehm verblute./Ein kleines Harfenmädchen sang./Sie sang mit wahrem Gefühle/Und falscher Stimme, doch ward ich sehr/Gerühret von ihrem Spiele./Sie sang von Liebe und Liebesgram,/Aufopfrung und Wiederfinden/Dort oben, in jener besseren Welt,/Wo alle Leiden schwinden./Sie sang vom irdischen Jammertal./Von Freuden, die bald zerronnen,/Vom jenseits, wo die Seele schwelgt/Verklärt in ew´gen Wonnen./Sie sang das alte Entsagungslied,/Das Eiapopeia vom Himmel,/Womit man einlullt, wenn es greint,/Das Volk, den großen Lümmel./Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,/Ich kenn auch die Herren Verfasser;/Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
/Und predigten öffentlich Wasser./Ein neues Lied, ein besseres Lied,/O Freunde, will ich euch dichten!/Wir wollen hier auf Erden schon/Das Himmelreich errichten./Wir wollen auf Erden glücklich sein,/Und wollen nicht mehr darben;/Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,/Was fleißige Hände erwarben./Es wächst hienieden Brot genug/Für alle Menschenkinder,/Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,/Und Zuckererbsen nicht minder./Ja, Zuckererbsen für jedermann,/Sobald die Schoten platzen!/Den Himmel überlassen wir/Den Engeln und den Spatzen. - Heinrich Heine, 1797-1856


25.09.2013 Elisabeth Borchers, Lyrikerin, Übersetzerin, Herausgeberin und Lektorin, ist im Alter von siebenundachtzig Jahren in Frankfurt am Main gerstorben. Von 1960 bis 1971 war sie Lektorin im Luchterhand Verlag, dann bis 1994 Lektorin beim Suhrkamp und Insel Verlag. Ab 1961 viele Lyrikbände (zuletzt: Zeit.Zeit), Hörspiele und Stücke für Fernsehen und Theater.

Ich will ihn heben / den versunkenen Schatz / das Gold, die Lieb, den Edelstein / Ich will die Weltenuhr verrücken / Ich weiß, es wird nicht einfach sein / Ich weiß, es wird mir nie / und nimmer glücken / So laß die Sterne leuchten / und sei's nur einer: der ist dein.

 

23.09.1943 – Vor siebzig Jahren starb der fünfundsiebzigjährige Theodor Wolff, von 1906 bis 1933 Chefredakteur des renommierten Berliner Tageblatts, bekennender Republikaner und Europäer, im noch existierenden Jüdischen Krankenhaus Berlin. Vorausgegangen war eine beispiellose Hatz der Nationalsozialisten auf den unerschrockenen Publizisten, der ins französische Exil entkommen war, am 22.01.1943 in Marseille mit anderen jüdischen Emigranten von Wehrmacht, Waffen-SS und französischen Polizeieinheiten ins Hafenviertel getrieben und festgesetzt worden war, jedoch nicht sofort deportiert wurde wie die meisten seiner LeidensgenossInnen, sondern als Geisel für etwaige Austauschaktionen ins Gefängnis Moabit nach Berlin kam. Als er ins Krankenhaus verlegt wurde, „kam jede Hilfe zu spät“. Seit 1962 wird alljährlich der in fünf Kategorien mit je 6.000 Euro dotierte Theodor Wolff-Preis für engagierte JounalistInnen verliehen. 


12.09.2013 - Otto Sander, der großartige Schauspieler und Komödiant, der Engel im Himmel über Berlin, der gewitzte schräge Vogel, The Voice, der freundlich-verschmitzte Erzähler und Zuhörer, ist tot. Ach...

 


Wandelt sich rasch auch die Welt/ wie Wolkengestalten,/ alles Vollendete fällt/ heim zum Uralten./ Über dem Wandel und Gang,/ weiter und freier,/ währt noch dein Vorgesang,/ Gott mit der Leier./ Nicht sind die Leiden erkannt,/ nicht ist die Liebe gelernt,/ und was im Tod uns entfernt,/ ist nicht entschleiert./ Einzig das Lied überm Land/ Heiligt und feiert. -  Rainer Maria Rilke, Die Sonette an Orpheus

 

Der störrische, israelische Friedensaktivist Uri Avnery ist Neunzig! Dazu: Rückblick auf Oslo vom 6. September 2013 http://www.uri-avnery.de/news/254/15/Rueckblick-auf-Oslo

 

01.09.2013Theodor Lessing, vor achtzig Jahren von Nationalsozialisten in Marienbad ermordet:
Alles das, woran ich auf Erden gelitten habe und was mir am Menschen böswillig und gehässig erschien, brüchig und gemein, machtwillig oder eitel, alles das begegnete mir auf meinem Lebenswege stets im Gewande der Ideale.
- Im Gewande der Wahrheit: die Lüge.
- Im Gewande der Logik: der Irrsinn.
- Im Gewandes des Rechtes: jegliches Unrecht.
- Im Gewande der Vaterlandsliebe: alles die Heimat Entehrende.
- Im Gewande des Menschheitsfortschritts: alles den Menschen Entwürdigende.
Und nie sah ich eine geschichtliche Niedertracht, nie eine wirkliche Abscheulichkeit, die nicht geübt wurde im Namen irgendeines Ideals.


26./27.08.2013 – Für Wolfgang Herrndorf

Don’t Sleep. There Are Snakes.
Eine lächelt wie ein Schmetterling 

Und die Vögel spielen Fangen

 

Kunst aus dem Automaten, das bietet jetzt das Jüdische Museum Berlin. Für vier Euro können Besucher künftig aus einem umgebauten Warenautomaten aus den 1970er Jahren eine „Überraschungstüte“ ziehen, die ein kleines Kunstwerk enthält. In der ersten Serie werden insgesamt 350 Objekte verkauft.

 

Wir fragen immer nur, ob es ein Leben nach dem Tod gebe. Wir sollten fragen: Gibt es ein Leben nach der Geburt? – Samuel Beckett

 

Nun ist es überwunden – und, was ist geschehen? / Nichts. Die Krankheit sickert garstig durch das Blut. / Nichts ist geschehen. Nichts. Des Bösen schwarze Brut / Verwirkt nur Zeit. Die Zeit kann wohl vorübergehen. - H.G. Adler, zum 25sten Todestag am 21.08.; aus: „Andere Wege.“ Gesammelte Gedichte. Drava Verlag, Klagenfurt 2010 (s. hier: HG Adler - Gedichte).

 

 

Almut Klotz von Klotz & Dabeler und den legendären Lassie Singers ist fünzigjährig gestorben. Die neue Platte heißt Lass die Lady rein und kommt Ende August 2013 raus (staatsakt).

 

Armin Abmeier, gest. 24.07.2013, Buchhändler und Herausgeber (u.a. Tolle Hefte). Es kam die große Lesezeit“ - und dann ein wahres Bücherlabyrinth, schon früh Comics, Buch und Illustration: 

http://www.tolle-hefte.de/download/Biografie/JimParker_und_WongFun.pdf


Heinz Meier, Schauspieler, Theatergründer und Mitinhaber des Wallgraben Theaters Freiburg ist am 21.07.2013 im Alter von 83 Jahren verstorben. Bekannt wurde er vor allem durch die Zusammenarbeit mit Vicco von Bülow / Loriot.

 Mitten am Tag eine Furcht / Ich weiß nicht wovor / Über mir die gelbe Sonne / Vor mir das Kottbusser Tor / Hinter mir leises Rufen und Flüstern / Jeder Schritt wird mir schwer / Wer tut mir was Keiner ist hier / Aber alle sind hinter mir her / Dann ist es in der Straße still / Ich bin ausgedacht / Welches Feuer ich will / Habe ich angefacht - Thomas Brasch


An mein Gedicht//Im besten Fall/wirst du, mein Gedicht, aufmerksam gelesen,/kommentiert und in Erinnerung behalten.//Im schlechteren Fall/nur durchgelesen.//Die dritte Möglichkeit -/du wirst geschrieben,/aber gleich in den Papierkorb geworfen.//Oder du kannst den vierten Ausweg wählen:/du verschwindest ungeschrieben/und murmelst zufrieden vor dich hin. – Wisława Szymborska, zum 90sten

 

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung – aus: Immanuel Kant: Was ist Aufklärung, 1784

 

Überwacht und verwaltet, schon längst kein Sci-Fi mehr: Ich fürchte jedoch, dass die Menschen, wenn einmal die verwaltete Welt existiert, ihre Kräfte nicht frei entfalten werden, sondern sich so weit an rationalistische Regeln anpassen, dass sie den Regeln schließlich instinktiv gehorchen. Die Menschen dieser zukünftigen Welt werden wahrscheinlich automatisch handeln: Bei rotem Licht stehen, bei Grün marschieren! Sie gehorchen den Zeichen!

Und wo bleibt der freie Wille?

Vielleicht dort, wo er bei den Bienen und Ameisen und vielen anderen Wesen dieser Erde zu suchen ist.
Max Horkheimer, zum 40sten Todestag; Spiegel-Gespräch vom 5. Januar 1970

 

Flüchtlingspolitik einmal anders: „Inzwischen hatten sich Kisch, F.C. Weiskopf, mein Chefredakteur bei der AIZ, Bodo Uhse und meine Freunde in den USA schon um mein Visum für Mexico bemüht. Ich fuhr also zurück ins Lager, wurde aber bald darauf mit einer Gruppe von Frauen zwecks Ausreisevorbereitungen nach Marseille verlegt und in einem Hotel interniert, das bis dahin ein Puff war. Zur Erledigung der Ausreiseformalitäten durften wir in Begleitung eines Polizisten auf die Konsulate gehen. Die Polizisten wurde man in der Regel in der nächsten Kneipe los. Ich bekam schließlich mein Visum. Da war dieser wunderbare mexicanische Generalkonsul Gilberto Bosques. Ich werde nie vergessen, wie er mir das Visum gab. Er gab mir die Hand und sagte: „Mexico freut sich auf Sie.“ Sie können sich nicht vorstellen, was das in dieser Situation bedeutete. Man war Flüchtling, überall wurde einem vermittelt, daß man lästig und unerwünscht sei, und plötzlich so etwas.“ - Lenka Reinerová, zum fünften Todestag; aus: Ich habe es trotzdem überlebt, Interview mit Gert Eisenbürger (Juni 1997)

 

Man sollte nie so viel zu tun haben, dass man zum Nachdenken keine Zeit mehr hat – Georg Christoph Lichtenberg


Ich bin aus meinem Leben vertrieben worden und habe kein Problem damit. Das Leben, aus dem ich verjagt worden bin, ist nicht das Leben, das ich habe leben wollen. – aus: Yoram Kaniuk, Zwischen Leben und Tod

 

A. Henriette Vogel, Der himmlische Heinrich – Eine perfekte Liebeserklärung

32 S., Leinen, farbig illustriert, gestanzter Schmuckschuber, mit Banderole, Artikelnr.:165961 aus der Reihe Petits Fours, Büchergilde, 2013, www.buechergilde.de

 

Wir glauben, dass Klagen falsch ist. Du weinst, gehst traurig nach Hause, sagst: ‚wie schön hab ich geweint‘, und schläfst erleichtert ein. Nein, wir wollen Euch zum Lachen bringen …. Es öffnet sich nicht nur der Mund beim Lachen, sondern das Gehirn. Und ins Gehirn können Nägel der Vernunft eintreten. Ich hoffe, dass heute Abend einige Leute mit Nägeln im Kopf heimgehen ….

Franca Rame, Theatermacherin, † 29.05.2013 in Mailand  

 

Zum 195. Geburtstag und/oder 130. Todestag hat Karl Marx (*5. Mai 1818 in Trier; † 14. März 1883 in London) in Trier einen Platz zwischen Radfahrern  und als deutscher Gartenzwerg bekommen. Guerillataktik des Künstlers Ottmar Hörl oder Missverständnis!? - Lesen wäre eine prima Alternative. 
© Foto: Hannelore Hölzer


Robert Walser, zum 135sten: Zu philosophisch
Wie geisterhaft im Sinken / Und Steigen ist mein Leben. /Stets seh' ich mich mir winken, / dem Winkendem entschweben. // Ich seh' mich als Gelächter, / als tiefe Trauer wieder, / als wilden Redeflechter; / d
och alles dies sinkt nieder. // Und ist zu allen Zeiten / wohl niemals recht gewesen. / Ich bin vergeßne Weiten /Zu wandern auserlesen.


Was auch immer geschieht:
Nie dürft ihr so tief sinken
Von dem Kakao, durch den man euch zieht
auch noch zu trinken. (Erich Kästner)

 

`The best fisherman is not the one who catches the most fish
but the one who enjoys fishing the most’

 


Vanessa Safavi 2011, neon, dimensions variable, edition of 30
Produced by Chert, Berlin and Motto,
in collaboration with Creative Match Kreuzberg

 

 

 

 

2013-EU-12

Alle Ergebnisse der Studie eines US-amerikanischen Meinungsinstiwww.pewglobal.org/

   

Prag mal anders erleben: Street Art und künstlerische Treffpunkte

Tipps
Trafačka, Kurta Konráda 1, Prag 9, U-Bahn B Českomoravská, Tram 8, 25 Ocelářskámore
50.103749 N, 14.488802 O

Jana & Vitché, Na Hrázi 17-19, Prag 8, U-Bahn B Palmovka, 50.105277 N, 14.475249 O

Pasta Oner, Verdunská 37, Prag 6, U-Bahn A Dejvická, 50.101863 N, 14.396623 O

ESCIF, Pod Vítkovem 1, Prag 3, Bus 133, 175, 207 Tachovské náměstí, 50.087408 N, 14.451106 O

Těšnov, Těšnov, Prag 8, Tram 14 Těšnov, 50.092944 N, 14.437194 O

John-Lennon-Mauer, Velkopřevorské náměstí 5, Prag 1, Tram 12, 20, 22 Malostranské náměstí
50.08626 N, 14.40681 O

MeetFactory – Internationales Zentrum für zeitgenössische Künste, Ke sklárně 15, Prag 5, Tram 6, 12, 14, 20 Lihovar, 50.052978 N, 14.408247 O

Barrandov Brücke, Barrandovský most, Prag 5, Tram 6, 12, 14, 20 Hlubočepy, 50.039888 N, 14.405308 O

Pobřežní cesta, Pobřežní cesta, Prag 4, Tram 3, 17 Přístaviště, 50.036911 N, 14.407969 O

Belárie – Orionka, Mezi vodami, Prag 12, Tram 3, 17 Belárie/ Modřanská škola, 50.013158 N, 14.401596 O – 50.008815 N, 14.403055 O (s. auch: goethe.de/prag).Oft ist die langjährige Kunst im Stadtraum, die man gerade entdeckt hat, schon wieder bedroht. Häuser und Gelände, die benutzt werden konnten, werden anderweitig gebraucht. Vieles ist fragil und im Wandel begriffen – wie in jeder anderen Stadt auch, in der gentrification stattfindet.

 

           

© Tatyana Synková

 

Tatyana Synková

 

© Namensfest

 

Pasta Oner, Dejvická; Duke ©phatbeatz.cz

Reise nach Brünn (s. hier auch: Text mit gleichem Titel von Karl Schlögel über die Weiße Moderne)

"Der Habsburger Charme der Stadt Brünn ist unverwechselbar. Ein kleiner Altstadtkern mit Kopfsteinpflastern, einem Marktplatz voll frischem Gemüse und einer gotischen Kathedrale prägen das Flair der Hauptstadt Mährens. Alles scheint sauber und gepflegt, doch entfernt man sich vom zentralen Hügel, werden die Ecken moderner, die Architektur sozialistischer und Fabrikareale und Abrisshäuser ermöglichen Kreativität im urbanen Raum“ – so wirbt etwas zu blumig für die Stadt erstaunlicherweise das vom deutschen Staat finanzierte Goethe-Institut für illegal Gesprühtes, für von Staats wegen verbotene Graffiti. Man findet sie an Bushaltestellen, leerstehenden Fabriken und Bahnhöfen auf teils ausgewiesenen Flächen, also legal gesprayt, aber auch als wilde Street Art, beispielsweise vorgestellt auf You Tube unter: East Side Brno 2010.  © Foto: Renneská, Tatyana Synková  
Merke: Augen auf beim Reisen! Tags findet man überall!!! 

 
Ostern: Kalender-Weisheiten. In den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung fielen Ostern und Pessach zusammen, was natürlich erscheint, da sowohl Jesus und seine Jünger als auch die ersten Anhänger des Christentums Juden waren. Erst beim Konzil in Nicäa im Jahre 325 beschloss man, dass Ostern fortan auf den ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond nach der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche fallen solle. Auf die Art wurde das Osterfest nicht mehr vom jüdischen Kalender festgelegt.- Zu jener Zeit benutzte man im Römischen Reich den Julianischen Kalender, der sich vom heute gültigen gregorianischen durch die Zahl der Schalttage unterscheidet. Es verhält sich nämlich so, dass ein tropisches Jahr nicht 365 Tage und 6 Stunden lang ist, was der Länge des Jahres nach dem Julianischen Kalender entspricht, bei dem alle vier Jahre ein Schalttag eingefügt wird. Eine exaktere Bestimmung der Umlaufzeit der Erde um die Sonne ergibt vielmehr 365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten und 45 Sekunden. Das heißt etwa 11 Minuten und 15 Sekunden weniger als das Julianische Jahr. Diese gut 11 Minuten pro Jahr führten dazu, dass die Zeitrechnung in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts zehn Tage vom Sonnenjahr abwich. Schlimmer noch, die Berechnung der Mondphasen, die benutzt wurde, um den Zeitpunkt für Ostern zu berechnen, war in einer Weise an den Julianischen Kalender gekoppelt, die dazu führte, dass der Kalender und der Mond 4 Tage voneinander abwichen. Deshalb erließ Papst Gregorius XIII. im Jahre 1582 eine Bulle zur Ersetzung des Julianischen Kalenders durch den gregorianischen, in dem in einem 400-Jahre-Zyklus 3 Schalttage weniger vorkommen. Der neue Kalender wurde im Oktober 1582 eingeführt, gleichzeitig wurden zehn Tage weggenommen, indem der Tag nach dem 4. Oktober der 15. Oktober war. Die meisten katholischen Länder übernahmen umgehend den gregorianischen Kalender. Die protestantischen und orthodoxen Kirchen wollten dagegen keinen Kalender einführen, der von einem Papst beschlossen worden war. Deshalb verzögerte sich die Einführung des gregorianischen Kalenders in manchen Ländern bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, und die orthodoxe Kirche folgt bis heute dem Julianischen Kalender, um zu bestimmen, auf welches Datum Ostern fällt. Deshalb ist es nicht weiter ungewöhnlich, dass die christlichen Gründonnerstage und der jüdische Pessach-Abend auf drei verschiedene Tage fallen. Torkel S. Waechter in: 
www.onthisday80yearsago.com

 

Frühlingsbeginn von Ernst Jandl (1925-2000)

weißen ich schneen

frier heißen finger

fußen eis rutschen

nasen ich tropf-tropf

 

2013: Als Schneemännchen getarnte Osterhasen

  

Über die deutsche Sprache:

Die Schachtelsätze sind ein deutsches Phänomen, glaube ich. Das gefällt mir: ausschweifend zu sein, aber trotzdem hat alles seine Ordnung. Im Ukrainischen, beziehungsweise im Russischen, das meine Muttersprache ist, verliere ich oft den Faden. Wenn man da einen Satz beginnt, weiß man nicht, wie er enden wird. Wobei es natürlich eine schöne, weiche Sprache ist, aber auch, als hätten wir sprachlich eine Knochenerweichung. Auf Deutsch hat man die langen Sätze, in denen ich wandele wie in einem Palast mit vielen Zimmern. Es ist kein Zelt ohne Wände, es ist ein Palast. Ich weiß, wenn ich nach links laufe, muss ich am Ende nach rechts und komme wieder zurück. Ein tolles Gefühl. Es passt zu den preußischen Tugenden, die ich erst später kennengelernt habe. Ich versuche selbst, pünktlich zu sein, auch wenn es meist nicht funktioniert. Meine Mutter versteht das nicht. Wenn ich zu ihr sage: Du musst pünktlich sein, kommt das zu ihr wie aus einem fantastischen Bereich.

Marjana Gaponenko, die für Wo ist Martha? den Adalbert von Chamisso-Preis der Robert Bosch-Stiftung erhielt (s. Spots) in einem Gespräch in der Frankfurter Rundschau, 20.02.2013

 

Zum fünfzigsten Todestag von Sylvia Plath:

Dying
Is an art, like everything else.
I do it exceptionally well.
I do it so it feels like hell
I do it so it feels real.
I guess you could say I've a call.

Sterben
Ist eine Kunst, wie alles.
Ich kann es besonders schön.
Ich kann es so, dass es die Hölle ist, es zu sehn.
Ich kann es so, dass man wirklich fühlt, es ist echt.
Sie können, glaube ich, sagen, ich bin berufen zu diesem Ziele. (s. auch: Empfehlungen)
 

 

Mögen hätt' ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut! - Karl Valentin - zum 65ten Todestag am 10.02.

 

So ist das mit Schlussstrichen...
Das ist das Dumme an Erinnerungen: eine einzige würde mir genügen, aber es überfallen mich gleich Dutzende – in: Wilhelm Genazino, Die Liebesblödigkeit (Hanser, dtv)

  

Atlantis ist wieder aufgetaucht  - als riesige Müllkippe im Pazifik ...

           

Atlantis, Müllkippe im Pazifik; noyonet.com

 

Echte Nachhaltigkeit; MKG Hamburg

 

Endstation Meer; oceanview.com

 

Der fliegende Plastikmüllbeutel; Tote Möwe - Chris Jordan, Midway-Atoll, 2009

Sechseinhalb Millionen Tonnen Plastikmüll landen jährlich in den Ozeanen. Am meisten verdreckt in unserer Hemisphäre ist übrigens das Mittelmeer. - Aus Ölpflanzen, Getreide, Zuckerrüben oder -rohr, Wald- und Restholz, Holz aus Schnellwuchsplantagen, aus speziellen Energiepflanzen und tierischen Abfällen wird heute Biosprit erzeugt, auf Kosten der Bevölkerung der Länder, in denen großflächig gepflanzt wird. Warum benutzen wir nicht unseren Plastikmüll dazu? Man nimmt offensichtlich lieber anderen die Lebensgrundlage und ernährt sich von der Müllkippe, die man selbst geschaffen hat. Der Müll landet auf unseren Tellern, in unseren Köpfen und Körpern. Dieser Müll, das sind wir – mit der Gier nach immer Mehr und der dazu passenden Wegwerfmentalität, die die ganze Welt mit Dreck & Schrott überzieht. Und: Wir fressen offensichtlich unseren eigenen Müll recht gerne, oder ....!?

   

2012 - 2013

 

Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir hin und keiner ginge, um zu sehen, wohin wir kämen, wenn wir gingen. Kurt Marti

   

zum 1. Todestag von Christa Wolf am 01.12.2012

Wenn ein Mensch stirbt, stirbt alles mit ihm, was er je erlebt, was er je gedacht hat, und das finde ich unfasslich. Es nützt nichts, wenn ich so wenig wie möglich vergesse, der Mensch ist ja trotzdem weg. Gerade bei Menschen, die ein reiches Leben hatten, die viel in sich gesammelt haben und vieles davon nicht weitergegeben haben, wie soll das auch gehen, da finde ich den Tod besonders unannehmbar. Schrecklich, was mit jedem Menschen stirbt. Vielleicht ist Schreiben das Einzige, was man dagegensetzen kann. Christa Wolf in einem ZEIT-Interview

 

Rose Ausländer, zum 25sten Todestag     

Kristalle / unregelmäßig / kompakt und durchsichtig / hinter ihnen die Dinge / erkennbarDiese Sucht / nach bindenden Worten / Satz an Satz / weiterzugreifen / in die bekannte / unbegreifliche / Welt in: Im Aschenregen die Spur deines Namens   

  

Der Sonntag-Abend
Ha! Noch habe ich diesen Stern nicht verlassen!
Noch umfängt mich süß untätiges Leid.
Doch eh' mich Bestimmung der Seele
Flutet aufs morgige Gestirn.
Fließe ich noch durch die lange Welt-Nacht,
Flattre ich noch mit den Abgeschiedenen
Durch unerwachte Forste und Wiesen.
Süße sinken durch mich
Des Verlassenen weinende Bilder.
Eh' die ersten Stürme schmettern,
Eh' die fremden Strahlen fallen,
Eh' im bitteren Arm das furchtbare Morgen mich hält.

Franz Werfel, aus: Wir sind. Neue Gedichte. Leipzig 1913

  

 

Es gibt zwei menschliche Hauptsünden, aus welchen sich alle andern ableiten: Ungeduld und Lässigkeit.

Wegen der Ungeduld sind sie aus dem Paradiese vertrieben worden, wegen der Lässigkeit kehren sie nicht zurück. Franz Kafka, in: Die Zürauer Aphorismen

 

Winter-Traum: 

Und dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, ummusikalische Kehlen, klassische Leiber und eine kommode Religion. Georg Büchner, Leonce und Lena

  

Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft. -
Wenn du laufen willst, dann lauf´ eine Meile. Willst du aber ein neues Leben, dann lauf´ Marathon. Emil Zátopek, zum 90sten

   

Zweifel // bleibt es, im großen und ganzen, unentschieden / auf immer und immer, das zeitliche spiel / mit den weißen und schwarzen würfeln? / bleibt es dabei: wenig verlorene sieger, / viele verlorne Verlierer? / ja, sagen meine feinde. / ich sage: fast alles, was ich sehe, / könnte anders sein, aber um welchen preis? / die spuren des fortschritts sind blutig, / sind es die spuren des fortschritts? / meine wünsche sind einfach, / einfach unerfüllbar? / ja, sagen meine feinde. / die sekretärinnen sind am leben, / die müllkutscher wissen von nichts, / die forscher gehen ihren forschungen nach, / die esser essen, gut so. / indessen frage ich mich: / ist morgen auch noch ein tag? / ist dies bett eine bahre? / hat einer recht, oder nicht? / ist es erlaubt, auch an den zweifeln zu zweifeln? / nein, euern ratschlag, mich aufzuhängen, / so gut er gemeint ist, ich werde ihn nicht befolgen, / morgen ist auch noch ein tag (wirklich?), / die augen aufzuschlagen und zu erblicken: / etwas gutes, zu sagen: ich habe unrecht behalten. / süßer tag, an dem das selbstverständliche / sich von selber versteht, im großen und ganzen! / was für ein triumph, kassandra, / eine zukunft zu schmecken, die sich widerlegte! / etwas neues, das gut wäre, / (das gute alte kennen wir schon …) / ich höre aufmerksam meinen feinden zu. / wer sind meine feinde? / die schwarzen nennen mich weiß, / die weißen nennen mich schwarz. / das höre ich gern, es könnte bedeuten: / ich bin auf dem richtigen weg. / (gibt es einen richtigen weg?) / ich beklage mich nicht, ich beklage die, / denen mein zweifel gleichgültig ist. / die haben andere sorgen. / meine feinde setzen mich in erstaunen, / sie meinen es gut mit mir. / dem wäre alles verziehen, der sich abfände / mit sich und mit ihnen. ein wenig vergesslichkeit macht schon beliebt. / ein einziges amen, / gleichgültig auf welches credo, / und ich säße gemütlich bei ihnen / und könnte das zeitliche segnen, / mich aufhängen, im großen und ganzen,/ getrost, und versöhnt, ohne zweifel, / mit aller welt. ( Anfang des Gedichts zweifel) [...] sorglos entglitten wir  / der zeit des gleitens, / furchtlos also unwissend / ruhig also überflüssig / heiter also unbarmherzig: / also schwanden wir / aus jenen jahren. / die felsen dort, / unwissend furchtlos / überflüssig ruhig / unbarmherzig heiter: / die felsen sind noch am leben.(Ende des Gedichts zweifel) aus: Hans Magnus Enzensberger, blindenschrift, Suhrkamp Verlag

  

© Havana Cultura, José Fuster, Künstlerische Stadtplanung

„Als ich herkam, war mein Haus aus Holz, sehr klein“, erinnert sich Fuster. „Also beschloss ich, etwas dagegen zu tun. Ich begann, meinen Traum zu bauen.“ Er hatte Europa besucht und war voller Inspiration nach Kuba zurückgekehrt. Er hatte Gaudí in Barcelona gesehen und Brancusi in Rumänien. „Es schien mir unmöglich, etwas Ähnliches in Kuba zu verwirklichen. Aber alle Träume werden im Laufe der Zeit wahr.”
Obgleich Fusters Kunst eigentlich nicht als bahnbrechend beschrieben werden kann (seine visuelle Sprache ist stark von Picasso und Jean Dubuffet beeinflusst), hat er unbestreitbar beeindruckende Spuren hinterlassen. Dächer, Wände, Türen und Bänke, Häuserblock um Häuserblock rings um das Epizentrum seiner Atelierenklave, sind mit seinen bunten Skulpturen und Mosaiken geschmückt: Meerjungfrauen, Fische, Palmen, Hähne und Santería-Heilige, Zitate von Alejo Carpentier, Onelio Jorge Cardoso und Ernest Hemingway. Mehr als achtzig Nachbarn überließen Fuster ihre Häuser als Leinwand. Sein eigenes Geld – das er aus dem Verkauf seiner Gemälde und Skulpturen verdient – steckt er wieder in die Gemeinschaft, indem er die Häuser seiner Nachbarn, die oft kein, auf alle Fälle viel weniger Geld haben als er, saniert und sie in das Gesamtkunstwerk integriert. „Bei diesem Projekt geht es nicht nur um mein Haus, sondern auch um die Häuser meiner Nachbarn, die ihre eigenen Architekten und Ingenieure werden.

 

MEDITIEREN // Was das sei, tochter? // Gegen morgen / noch am schreibtisch sitzen, am hosenbein / einen nachtfalter der / schläft // Und keiner weiß vom anderen - Reiner Kunze, aus: Zimmerlautstärke (1972)

 

ÜBER EUROPA: Die Alten, die an ihre Träume glaubten, glaubten an die Bedeutungshaltigkeit ihrer Träume, sie glaubten nicht an die Formen, die der Traum jeweils annahm. Hinter ihren Träumen ahnten die Alten eine Hierarchie von Kräften, und sie tauchten mitten in diese Kräfte hinein. Sie waren hingerissen, wenn sie fühlten, dass diese Kräfte gegenwärtig waren, und ihr ganzer Organismus suchte auf irgendeine Weise mit den flüchtigen Kräften Kontakt zu halten. Heute ist der Kopf eines Europäers eine Gruft, in der sich kraftlose Scheinbilder regen, die Europa für seine Gedanken hält. Antonín Artaud 

 

Stufen

 

Im Nebel

 

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

1949

 

 

 

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Voll Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

1905

 

 

Hermann Hesse

*2.Juli 1877, † 9. August 1962 

 

 

 

Wider das Sinnmachen - eine der beliebtesten bildungsbürgerlichen Begriffe der Postmoderne; zeitnah und bildungsfern gehören auch dazu...

Wo ist eigentlich der Sinn? Der eine sucht auf dem Gipfel des Himalayas, der andere auf dem Boden des Weinglases.Aber warum eigentlich? Ergibt die Suche nach dem Sinn überhaupt Sinn? Jetzt aber nicht gleich sentimental werden! Alles hat schon seinen Sinn, nur bevor wir ihn suchen, sollten wir erst einmal klären, was Sinn bedeutet. - Es geht hier nicht um den Sinn des Lebens, einen schicken Stein der Weisen, den man aus einer Höhle im Dschungel klauen muss – und schwupps macht alles Sinn...Nein. Der Sinn setzt viel früher an. In der Bedeutung der Worte nämlich.

Der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein wollte die bisherige Philosophie entrümpeln. Angefangen bei den Basics – der Sprache, in der sie geschrieben war. Klar, wenn schon die Gebrauchsanweisung für die neue Mikrowelle so unverständlich geschrieben ist, dass man nicht mal weiß, wo man sie anschaltet…

Soll ich einen Text über Sinn und Bedeutung verfassen, frage ich nach dem Sinn der „Bedeutung“ oder nach der Bedeutung von „Sinn“. Wir müssen unsere Sprache richtig einsetzen, um Sinn und Bedeutung auch verstehen zu können.„Die meisten Fragen und Sätze der Philosophen beruhen darauf, dass wir unsere Sprachlogik nicht verstehen“, wusste Wittgenstein. Kommunikation ist alles. Aber klar! Denn wie sollen wir auch den Sinn finden, wenn die Suche danach schon sprachlich falsch startet?

Die Wörter sind das Problem. „Was in den Zeichen nicht zum Ausdruck kommt, das zeigt ihre Anwendung,“ sagt Wittgenstein. Dann liegt der Sinn eines Begriffes darin, wie man ihn gebraucht. „Jedes Zeichen scheint allein tot. Was gibt ihm Leben? – Im Gebrauch lebt es.“ Allein der Ausdruck Sinn machen ist doch schon Quatsch. Entweder ist der Sinn schon da oder nicht. Wobei es natürlich auch Leute gibt, die Doppelwopper machen. Sinn ergeben kann eine Aussage nur aus sich selbst heraus. Alles andere ergibt sich dann von alleine.

Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Auch Wittgenstein. Stimmt! (Philosophie, 3sat.de)

  

Zum 300. Geburtstag von Jean-Jacques Rousseau (*28. Juni) schreibt der ungarische Philosoph Miklós Tamás Gáspár, er könne dessen Enttäuschung über die Gesellschaft nur teilen:  

"Sagen wir denn unserem  Kind heute, dass wir (aus Angst vor den Konsequenzen) als Steuerzahler und 'gesetzeskonforme' Bürger  einem Staat gehorchen, der besser wie eine Spatzenschar verjagt werden sollte, weil er gewaltsam Zustände aufrecht erhält, die ein rechtschaffener Mensch nicht gutheißen kann; dass in den Schulen und Universitäten Unwissenden durch andere Unwissende konventionelle und konformistische Lügen 'vermittelt' werden; [...] dass die meisten im Internet auffindbaren 'Informationen' eine Fiktion oder ein Missverständnis sind, [...] dass die meisten gesellschaftlichen Vorteile (Karriere, Reichtum, Ruhm) nicht legitimierbar, sondern zufällig oder unmoralisch sind, dass die Macht zumeist auf reiner Waffengewalt oder auf von Resignation und Hoffnungslosigkeit geprägter Gleichgültigkeit basiert, dass Tiere gequält, Kranke vernachlässigt und Lebensmittel gefälscht werden...? [...] Jene, die die einzig relevante Frage stellen - nämlich, wie man leben soll -, werden als naiv bezeichnet. Aber das sollte uns nicht kümmern, das ist nur ein Wort, flatus vocis. Wie  soll ich diesen Artikel beenden? Ich weiß es nicht." 

(aus der ungarischen Elet es Irodalom, 13.07.2012)

 

Jedes Wort, ehe es sich von mir niederschreiben lässt, sieht sich zuerst nach allen Seiten um.
(Franz Kafka in einem Brief an Max Brod)

 

© Poliça, Wandering Star, YouTube, 2012 

 

Die ägyptische Autorin Mansura Eseddin wünscht sich echte revolutionäre Kunst: Wie erfinden wir eine Sprache, die dem Erfahrenen gerecht wird? Die Kunst ist eine schlechte Lügnerin, sie bietet weder Platz für laue Gefühle noch für Übertreibung und wohlfeiles Lob. Sentimentalität und der Druck auf die Tränendrüse passen nicht zur Revolution; sie braucht eine Kunst, die ihr ähnelt: kühn, voran stürmend und überraschend; eine Kunst, die nicht bei der Revolution um Ruhm und Glanz für ihren Schöpfer bettelt. (Juli 2012; s. auch hier: Protest 2011)

 

Die wirklich wichtige Ausbildung im Denken, um die es in Institutionen wie dieser geht, betrifft gar nicht die Fähigkeit zu denken, sondern die Entscheidung für das, worüber es sich nachzudenken lohnt. -
Wenn ich etwas lese, das gut und wahr ist, gelingt es mir, die Mauer meines Selbst zu überwinden und Teil einer anderen Person zu werden, wie ich es sonst nicht kann, wie wir es alle im normalen Leben nicht können. Ich merke dann, dass andere Menschen genauso denken, reden und fühlen wie ich, denn ich habe manchmal etwas Angst, dass etwas mit mir nicht stimmt. Dass niemand so ist wie ich. In dieser Art von Gemeinschaft und Mitgefühl liegt ein unglaublicher Trost. David Foster Wallace, 2005   
 

bratwurst im zoo. so sind die menschen - Tweed von Markus Angermeier

 

Eine Gesellschaft ist so gut wie ihr Umgang mit den schwächsten ihrer Mitglieder. Adorno 

 

Wilhelm Busch zum 180. Geburtstag am 15. April 2012:

 

Der Virtuose - Finale furioso

"Das Gute – dieser Satz steht fest - / Ist stets das Böse, was man lässt."

 

Die Selbstkritik hat viel für sich
   
Kritik des Herzens
   
Wenn alles sitzen bliebe
Gesetzt den Fall, ich tadle mich,
So hab ich erstens den Gewinn,
Daß ich so hübsch bescheiden bin;
Zum zweiten denken sich die Leut,
Der Mann ist lauter Redlichkeit;
Auch schnapp ich drittens diesen Bissen
Vorweg den andern Kritiküssen;
Und viertens hoff ich außerdem
Auf Widerspruch, der mir genehm.
So kommt es denn zuletzt heraus,
Dass ich ein ganz famoses Haus.
 

Ich, sprach er, bin der volle Sack.
Ihr Ähren seid nur dünnes Pack,
Ich bin´s, der euch auf dieser Welt
In Ewigkeit zusammenhält.
Ich bin´s, der hoch vonnöten ist
Dass euch das Federvieh nicht frisst;
Ich, dessen hohe Fassungskraft
Euch schließlich in die Mühle schafft.
Verneigt euch tief, denn ich bin Der!
Was wäret ihr, wenn ich nicht wär?

Sanft rauschen die Ähren :
Du wärst ein leerer Schlauch, wenn wir nicht wären.

 

  

 

Wenn alles sitzen bliebe,
Was wir in Hass und Liebe
So voneinander schwatzen;
Wenn Lügen Haare wären,
Wir wären rau wie Bären
Und hätten keine Glatzen.

 

 

Gewidmet den Eisbären vor Giglio und den Palmen auf Neufundland (im Costa Concordia- und Titanic-Fieber,  Aprilapril 2012)

Eine Eisscholle kann man nicht mehr wenden./Kein Eisbär hat das je gekonnt./Wie soll das alles bloß noch enden?//Ein Luxusschiff fährt am Horizont./Dem Eisbärn wird es warm in seiner weißen Wolle,/allein auf einer kleinen Scholle, /die weiter in warme Gewässer treibt,/bis nichts mehr übrigbleibt.//Er kann sich nicht von seiner Scholle trennen/und krallt sich in sein bißchen Eis./Man kann ihn beinah nicht erkennen/in seiner Tarnfarbe weiß auf weiß.//So wird die Scholle immer kleiner./Touristen liegen auf Liegestühlen/auf dem Sonnendeck vom Luxusliner,/um sich ein bißchen abzukühlen.

- zum Hundertsten und mit Ausblick aufs Absaufen ganzheitlich-nachhaltigen Größenwahns,

Bernhard Lassahn, in: Dem Eisbärn wird warm aus dem Buch Ohnmacht und Größenwahn, 1983

 

Christian Morgenstern, gestorben am 31.03.1914 (Gedichte aus: Christian-Morgenstern-Archiv, dcma.de)

 

© Arnold Newman, Schablonen für den Geigenbau

 

         

Der Lattenzaun 

 

Es war einmal ein Lattenzaun,
mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.

Ein Architekt, der dieses sah

stand eines Abends plötzlich da -

und nahm den Zwischenraum heraus
und baute draus ein großes Haus.

Der Zaun indessen stand ganz dumm,
mit Latten ohne was herum,

Ein Anblick grässlich und gemein.
Drum zog ihn der Senat auch ein.

Der Architekt jedoch entfloh
nach Afri - od - Ameriko.

 

Apropos Rettungsschirm..... 

Ein Kindergedicht von Christian Morgenstern

 

Spann dein kleines Schirmchen auf;
denn es möchte regnen drauf.

Denn es möchte regnen drauf,
halt nur fest den Schirmchen-Knauf -

und jetzt lauf! und jetzt lauf!
Lauf zum Kaufmann hin und kauf!

Lauf zum Kaufmann hin und sag:
Guten Tag! guten Tag!

Guten Tag, Herr Kaufmann mein,
gib mir doch ein Stückchen Sonnenschein.

Gib mir doch ein Stückchen Sonnenschein;
denn ich will mein Schirmchen trocknen fein
Und der Kaufmann geht hinein ins Haus,

und er bringt ein Stückchen Sonne raus.
Sieht es nicht wie gelber Honig aus ?

Sieht es nicht wie gelber Honig schier?
Und er tut es sorgsam in Papier.
Und dies Päckchen dann, das bringst du mir.

Und zu Haus da packen wir es aus -
sieht es nicht wie gelber Honig aus?

Und die Hälfte kriegst dann du, mein Irmchen,
und die andre Hälfte kriegt das Schirmchen.

Und jetzt spann dein Schirmchen auf -
und lauf! und lauf!

 

Fisches Nachtgesang

 

Das Böse ist der Sternhimmel des Guten. Franz Kafka

 

manche meinen / lechts und rinks / kann man nicht velwechsern // werch ein illtum (Ernst Jandl)

The Joy of Books, Type in Toronto - YouTube

 

Einige Bücher soll man schmecken, andere verschlucken, und einige wenige kauen und verdauen - Francis Bacon

   

Achtundachtzig-jährig starb die polnische Dichterin, die 1996 den Literaturnobelpreis erhielt, am 1. Februar 2012 in Kraków

 

Wisława Szymborska - Die drei seltsamsten Worte
Sage ich das Wort Zukunft, / verabschiedet die erste Silbe sich schon in die Vergangenheit. // Sage ich das Wort Stille, / zerstöre ich sie. // Sage ich das Wort Nichts, / bilde ich etwas, das passt in kein Nichtsein. © : Aus dem Band Wiersze wybrane, Übersetzung: Ursula Usakowska-Wolff

 

Augenblick

Eigentlich könnte jedes Gedicht / ,Augenblick' heißen. // Eine Phrase genügt / in Präsens, / im Perfekt und sogar im Futur; // es genügt, dass irgendetwas / von Wörtern getragenes / raschelt, aufblitzt, / vorbeifließt / oder die vermeintliche Unveränderlichkeit bewahrt, / aber mit beweglichen Schatten. (aus: Der Augenblick/Chwila, Gedichte - Polnisch und Deutsch, Ü.: Karl Dedecius, Suhrkamp 2005)

 

 

 

Rainer Maria Rilke (1875 – 1926) 

 

 PAPAGEIEN-PARK - Jardin des Plantes, Paris
Unter türkischen Linden, die blühen, an Rasenrändern
in leise von ihrem Heimweh geschaukelten Ständern
atmen die Ara und wissen von ihren Ländern,
die sich, auch wenn sie nicht hinsehn, nicht verändern.
Fremd im beschäftigten Grünen wie eine Parade,
zieren sie sich und fühlen sich selber zu schade,
und mit den kostbaren Schnäbeln aus Jaspis und Jade
kauen sie Graues, verschleudern es, finden es fade.
Unten klauben die duffen Tauben, was sie nicht mögen,
während sich oben die höhnischen Vögel verbeugen
zwischen den beiden fast leeren vergeudeten Trögen.
Aber dann wiegen sie wieder und schläfern und äugen,
spielen mit dunkelen Zungen, die gerne lögen,
zerstreut an den Fußfesselringen. Warten auf Zeugen.
(Herbst 1907/Paris oder Frühjahr 1908/Capri)

 

   

07.12. 2011 - Enthüllung der Gedenktafel für Rainer Maria Rilke in Prag 

Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist  schrecklich.
Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen
wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
und die findigen Tiere merken es schon,
daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht
irgend ein Baum an dem Abhang, daß wir ihn täglich

wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern
und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,
der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht....

(Anfang der Ersten Duineser Elegie) 




 

Das Karussell -  Jardin du Luxembourg

Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
sich eine kleine Weile der Bestand
von bunten Pferden, alle aus dem Land,
das lange zögert, eh es untergeht.
Zwar manche sind an Wagen angespannt,
doch alle haben Mut in ihren Mienen;
ein böser roter Löwe geht mit ihnen
und dann und wann ein weißer Elefant.
                                                                         Sogar ein Hirsch ist da ganz wie im Wald,
                                                                         nur daß er einen Sattel trägt und drüber
                                                                         ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.
                                                                         Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge
                                                                         und hält sich mit der kleinen heißen Hand,
                                                                         dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.
Und dann und wann ein weißer Elefant.
Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
schauen sie auf, irgendwohin, herüber -

                                                                          Und dann und wann ein weißer Elefant.
Und das geht hin und eilt sich, daß es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
ein kleines kaum begonnenes Profil.
Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
ein seliges, das blendet und verschwendet,
an dieses atemlose blinde Spiel. - Rainer Maria Rilke

 

Wacht auf!

Wacht auf, - denn eure Träume sind schlecht!
Bleibt wach, - weil das Entsetzliche näher kommt.

Auch zu dir kommt es, der weitentfernt wohnt
von den Stätten, wo Blut vergossen wird,
auch zu dir und deinem Nachmittagsschlaf,
worin du ungern gestört wirst.
Wenn es heute nicht kommt, kommt es morgen,
aber sei gewiß.

"Oh, angenehmer Schlaf
auf dem Kissen mit roten Blumen,
einem Weihnachtsgeschenk von Anita, woran sie drei Wochen gestickt hat,

oh, angenehmer Schlaf,
wenn der Braten fett war und das Gemüse zart.
Man denkt im Einschlummern an die Wochenschau von gestern abend:
Osterlämmer, erwachende Natur, Eröffnung der Spielbank in Baden-Baden,
Cambridge siegte gegen Oxford mit zweieinhalb Längen, -
das genügt, das Gehirn zu beschäftigen.

Oh, diese weichen Kissen, Daunen aus erster Wahl!
Auf ihm vergißt man das Ärgerliche der Welt, jene Nachricht zum Beispiel:
Die wegen Abtreibung Angeklagte sagte zu ihrer Verteidigung:
Die Frau, Mutter von sieben Kindern, kam zu mir mit einem Säugling,
für den sie keine Windeln hatte und der
in Zeitungspapier gewickelt war.
Nun, das sind Angelegenheiten des Gerichtes, nicht unsre.
Man kann dagegen nichts tun, wenn einer etwas härter liegt als der andre.
Und was kommen mag, unsere Enkel mögen es ausfechten."

Ach, du schläfst schon? Wache gut auf, mein Freund!
Schon läuft der Strom in den Umzäunungen, und die Posten sind aufgestellt.
Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind!
Seid mißtrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für
euch erwerben zu müssen.
Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind, wenn mit
der Leere eurer Herzen gerechnet wird!
Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt! (Günther Eich)

 

Günter Eich - Wo ich wohne

Als ich das Fenster öffnete,
schwammen Fische ins Zimmer,
Heringe. Es schien
eben ein Schwarm vorüberzuziehen.
Auch zwischen den Birnbäumen spielten sie.
Die meisten aber
hielten sich noch im Wald,
über den Schonungen und den Kiesgruben.
Sie sind lästig. Lästiger aber sind noch die Matrosen
(auch höhere Ränge, Steuerleute, Kapitäne),
die vielfach ans offene Fenster kommen
und um Feuer bitten für ihren schlechten Tabak.//
Ich will ausziehen.

 

Hoffnung ist eben nicht Optimismus. Es ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern
die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht. - Václav Havel

 

                                                                                                                       Manifest der 2000 Worte

Ich kann nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber soviel kann ich sagen: Es muß anders werden, wenn es gut werden soll. Georg Christoph Lichtenberg

 

Wege, die in die Zukunft führen, liegen nie als Wege vor uns. Sie werden zu Wegen erst dadurch,daß man sie geht. Franz Kafka

 

In dein Betragen - Welt,/ In deinen Beutel - Geld,/ Witz unter deinen Hut,/ Feuer in dein Blut -/ Ist der Wunsch nicht gut? Lichtenberg

 

Vom erkennenden Ich lehrt er [Kant], daß es nur in der Beziehung auf das Erkennen, an seinen Früchten also, nicht „an sich selbst", zu erkennen ist. Und gar vom wollenden weiß er, daß die eigentliche Moralität, Verdienst und Schuld, der Handlungen, selbst unsrer eigenen, uns stets verborgen bleibt.

Franz Rosenzweig, in: Der Stern der Erlösung; zum 125sten

 

Vor der Auslage von Casinelli drückten sich zwei Kinder herum, ein etwa sechs Jahre alter Junge, ein sieben Jahre altes Mädchen, reich angezogen, sprachen von Gott und von Sünden. Ich blieb hinter ihnen stehen. Das Mädchen, vielleicht katholisch, hielt nur das Belügen Gottes für eine eigentliche Sünde. Kindlich hartnäckig fragte der Junge, vielleicht ein Protestant, was das Belügen der Menschen oder das Stehlen sei. "Auch eine sehr große Sünde", sagte das Mädchen, "aber nicht die größte, nur die Sünden an Gott sind die größten, für die Sünden an Menschen haben wir die Beichte. Wenn ich beichte, steht gleich wieder der Engel hinter mir, wenn ich nämlich eine Sünde begehe, kommt der Teufel hinter mich, nur sieht man ihn nicht." Und des halben Ernstes müde, drehte sie sich zum Spaße auf den Hacken um und sagte: »Siehst du, niemand ist hinter mir." Ebenso drehte sich der Junge um und sah dort mich. "Siehst du", sagte er ohne Rücksicht darauf, daß ich es hören müßte, oder auch ohne daran zu denken, "hinter mir steht der Teufel."
"Den sehe ich auch", sagte das Mädchen, "aber den meine ich nicht."

(Aus Franz Kafka: Er – Aufzeichnungen aus dem Jahre 1920, Von den Engeln und den Teufeln)

Warte, wenn du erst entdecken wirst, wie falsch das Richtige ist.

 

Die trüben Stunden nutzend//

Laß das Gelichter/auf den Feldern rasten,/im Dunst, der aufsteigt,/denn nichts leuchtet dir./Die Grottenbahnen auf den Hügeln/sind jetzt geschlossen,/die Rüben lange aus der Erde,/die Kinder fort./Die Blumenflechter sind die letzten,/die noch blieben ,/sie brennen Ol,/mit ihnen läßt sich reden.

 

Ende des Ungeschriebenen//

So wird niemand wissen/von unseren Atemstößen,/als wir über die Brücke liefen,/und was hinter uns liegt,/ erfahren sie nicht:/Die schwachen Namenszüge,/die geköpften Sonnen./Die Vorhallen der Spitäler/sind still.

Ilse Aichinger, die am 1.Nobember 2011 neunzig Jahre wurde; aus: verschenkter Rat - Gedichte, S. Fischer Verlag, 1978

 

Für Peter Lützkendorf - 10/2011

Toward another/he has gone/to breathe an air/beyond his own/from the forest/from the foam/from the field/that he had known
toward a river/twice as blessed/toward the inn/of happiness
from a chaos/raging sweet/from the deep/and dismal street
toward another/kind of peace/toward the great emptiness
toward a wisdom/beyond the shelf/toward a dream/that dreams itself 
|: about a boy/beyond it all :||  - Patti Smith – Gone again

                                                                                 *

Klopfzeichen sind zu hören von Zelle zu Zelle
und der Raum strömt herauf aus dem Bodenfrost.//
Manche Steine leuchten wie Vollmonde.   -  Tomas Tranströmer, Literaturnobelpreis 2011

  

Vielleicht ist da noch ein alter Metallspiegel, in einem schlichten Lackschrein bewahrt, blank und silbern. Er nimmt kaum einen Hauch an, wirft dir dein Bild zurück, sodaß du nicht mehr sagen kannst, ob du das Bild bist, oder das Bild du, und dir Schein und Wirklichkeit ganz ineinander fließen. Sonst aber wirst du nichts mehr in dieser letzten, windzerrissenen Einsamkeit finden; keine Gegenwart, keine Zukunft, keine Erinnerung, kein Lachen mehr, und was schlimmer ist ... keine Tränen. Und sobald der Spiegel wieder in seinen Lackschrein zurücktaucht, so wird dein Bild darin verloschen sein, sich gelöst haben, wie dieser Wolkenfetzen da oben im Blau, der einen Augenblick dahintrieb und nun in Licht und Sonne inmitten seiner Bahn in regenbogenschillernde Atome zerspellte, unerbittlich sich löste, verschwand und dem Auge spurlos wie Salz im Wasser zerging.«

Georg Hermann (Borchardt), 07.10.1871- Berlin – 19.11.1943 – Auschwitz ;in: Der etruskische Spiegel, Amsterdam 1936 – Werkausgabe, 1999 – Verlag Das Neue Berlin (Autor von: Jettchen Geberts Geschichte, Kubinke, Die Nacht des Doktor Herzfeld u.a.)

 

Sabine Richter: "Wer auf dem Kopf geht..."
 

   

"Wer auf dem Kopf geht, der hat den Himmel als Abgrund unter sich"
© Paul Celan, Gesammelte Werke, Suhrkamp Verlag Frankfurt a. M. 1983, S. 195

Fotocollagen, C-Print, 50 x 60 cm. © Sabine Richter, www,richter-sabine.de

 

Niemand kann von mir verlangen, dass ich Zusammenhänge herstelle, solange sie vermeidbar sind. (Ilse Aichinger)

 

In irgend einem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der "Weltgeschichte": aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Tiere mußten sterben. – So könnte jemand eine Fabel erfinden und würde doch nicht genügend illustriert haben, wie kläglich, wie schattenhaft und flüchtig, wie zwecklos und beliebig sich der menschliche Intellekt innerhalb der Natur ausnimmt. Es gab Ewigkeiten, in denen er nicht war; wenn es wieder mit ihm vorbei ist, wird sich nichts begeben haben. Denn es gibt für jenen Intellekt keine weitere Mission, die über das Menschenleben hinausführte. Sondern menschlich ist er, und nur sein Besitzer und Erzeuger nimmt ihn so pathetisch, als ob die Angeln der Welt sich in ihm drehten. Könnten wir uns aber mit der Mücke verständigen, so würden wir vernehmen, daß auch sie mit diesem Pathos durch die Luft schwimmt und in sich das fliegende Zentrum dieser Welt fühlt. (Friedrich Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn, 1873, aus dem Nachlass)

 

Der Vogel, der die Luft durchschifft,
ist froh, daß er kein Schiffchen trifft,
denn träfe er ein Schiffchen,
wüßt´ er: Ich bin ein Fischchen.
(Robert Gernhardt, Toscana mia, S. Fischer Vlg.)

  

  

SAPERE AUDE! 

Der Flug des Abbas ibn Firnas (*810 Ronda - 887 Cordoba): 

Er war unter den Emiren al-Hakam I., Abd ar-Rahman I. und Muhammad I. Hofdichter der Umayyaden im Emirat von Córdoba. Als Gelehrter interessierte er sich für Mathematik, Astronomie und Physik und machte das indische Dezimalsystem in Andalusien bekannt, das er selbst bei einer Reise in den heutigen Irak kennengelernt hatte. Darüber hinaus entwickelte er ein Verfahren zur Herstellung farblosen Glases für Sehhilfen -Lesesteine - und eine Wasseruhr (Al Maqata). Ihm wird auch der Bau des ersten Flugapparates zugeschrieben. Die Flugvorrichtung bestand aus Federflügeln und soll es Abbas ermöglicht haben, 875 bei seinem zweiten Versuch von einem Hügel nahe Cordoba mehrere hundert Meter weit zu fliegen und zum Startpunkt zurück zukehren; vermutlich bereits 852 flog er vom Minarett der Großen Moschee in Cordoba. Nach Abbas wurde der Krater Ibn Firnas auf dem Mond benannt. Auch einer der vier Flughäfen von Bagdad trägt seinen Namen. Leonardo da Vinci entwarf dagegen lediglich Skizzen zu Flügeln. Und Albrecht Ludwig Berblinger, der Schneider von Ulm, scheiterte zwar mit seinen Flugversuchen 1811 bei seinem Versuch, von der Stadtmauer aus die Donau zu überfliegen. Sein Gerät war jedoch ebenfalls flugfähig

 

Wer es könnte
die Welt
hochwerfen
daß der Wind
hindurchfährt (Hilde Domin) 

 

Was das Leben uns versprochen hat, das wollen wir dem Leben halten. (Hannah Arendt)

 

Um das Reich des Friedens herzustellen, werden nicht alle Dinge zu zerstören sein und eine ganz neue Welt fängt an, sondern diese Tasse oder jener Strauch oder jener Stein und so alle Dinge sind nur ein wenig zu verrücken. (Martin Buber, Chassidische Geschichten) 

 

Und könntet ihr?

 

Die Farbe direkt aus dem Becher verspritzend
hab ich die Karte des Alltags bestrichen;
aus einer Schüssel Sülze gezogen,
zeig ich des Meeres Wangenbogen.
Von Blechfischschuppen las ich viele
Rufe neuer Lippen vor.
Und ihr?
Könnt ihr Nocturne spielen
auf einer
Flöte aus Wasserrohren?

1913

 

©Wladimir Majakovskij, Bild: Eugen Schönebeck 1965, Schirn Frankfurt 

  

Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin 

Was ich habe, will ich nicht verlieren,
aber wo ich bin, will ich nicht bleiben,
aber die ich liebe, will ich nicht verlassen,
aber die ich kenne, will ich nicht mehr sehen,
aber wo ich lebe, da will ich nicht sterben,
aber wo ich sterbe, da will ich nicht hin:
Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.

  

Der schöne 27. September

Ich habe keine Zeitung gelesen.
Ich habe keiner Frau nachgesehn.
Ich habe den Briefkasten nicht geöffnet.
Ich habe keinem einen Guten Tag gewünscht.
Ich habe nicht in den Spiegel gesehn.
Ich habe mit keinem über alte Zeiten gesprochen
und mit keinem über neue Zeiten.
Ich habe nicht über mich nachgedacht.
Ich habe keine Zeile geschrieben.
Ich habe keinen Stein ins Rollen gebracht.

© Beide Gedichte:  Thomas Brasch (1980)

  

Für Christiop Schlingensief, gestorben am  21.08.2010 

... Ich strebte zu der Stadt im Süden hin, von der es in unserem Dorf hieß:
"Dort sind Leute! Denkt Euch, die schlafen nicht!"
"Und warum denn nicht?"
"Weil sie nicht müde werden."
"Und warum denn nicht?"
"Weil sie Narren sind"
"Werden denn Narren nicht müde?"
"Wie könnten Narren müde werden!"    
(aus: Franz Kafka, Sämtliche Erzählungen, 1. Betrachtung, Kinder auf der Landstraße, S. 9, Fischer Bücherei 1970)

  

Zu Kurz    

Schnee im Haar
komme ich zu dir //
lege dir meine Worte
zu Füßen // Du
traurig wie ich
weil der Tag zu kurz
das Jahr zu kurz
das Leben zu kurz //
um das vollkommene
JA
zu sagen
(aus: Rose Ausländer, Gesammelte Gedichte, Fischer Verlag Ffm)

  

Vorwärts wagend aber und rückwärts
wollen wir nicht sehn. Uns wiegen lassen
wie auf schwankem Kahne der See - Friedrich Hölderlin (Gesamtausgabe: stroemfeld.de) 
 

Liegt Böhmen am Meer, glaub ich/den Meeren wieder. Und glaub ich/noch ans Meer, so hoffe ich auf Land. 
Aus: Böhmen liegt am Meer von Ingeborg Bachmann.

 

Ich huste plötzlich und weiß, wie meine Zeit atmet und aussieht. Sie liegt an der Oberfläche!  Sie ist schnell zu packen, an ihrer scheinbaren Grundlosigkeit. Sie ist banal, langweilig: das ist sie. Man hat sie in ihrer Tiefe erkannt, wenn man gar keine Tiefe suchen will!. In ihrer Sinnlosigkeit liegt ihr Sinn.

Sinnlos sein, heißt viel vom Leben wissen. Denn dann spielt man mit dem Leben. Das heißt man steht darüber.

Man macht einen Purzelbaum über sich selbst.

(aus: Melchior Vischer - Chaplin, Theaterstück, 1930)

  

Die Zeiten stapeln sich, blick hindurch,
es ist dickes Glas, das Gedächtnis
sind übereinandergelegte Fotoplatten.
Eine Farbe übermalt die nächste,
das Blau scheint durch ein Rot, so
daß alles dunkel bleibt.
 

aus dem Gedicht Das Buch - Johannes Schenk, Gesang des bremischen Privatmanns Johann Jakob Daniel Meyer, Gedichte, 1982

 

Ein blauer Tag

Ein blauer Tag
Nichts Böses kann dir kommen
an einem blauen Tag
Ein blauer Tag
die Kriegserklärung
Die Blumen öffneten ihr Nein
Die Vögel sangen Nein
ein König weinte
Niemand konnte es glauben
Ein blauer Tag
und doch war Krieg
Gestorben wird auch an blauen Tagen
bei jedem Wetter
Auch an blauen Tagen wirst du verlassen
und verläßt du
begnadigst nicht
und wirst nicht begnadigt
Auch an blauen Tagen
wird nichts zurückgenommen 

Niemand kann es glauben:
Auch an blauen Tagen
bricht das Herz - Hilde Domin

© 
Natascha Ungeheuer, Wo ist der Ausgang, 1991
 

 

Gespräche im Wald  - von Hans Werner Kolben

Frage: Du alter Mann, ich weiß, Du warst schon hier
Als Deine Haare noch ganz dunkel waren,
Und immer suchst Du, wie vor vielen Jahren
Was denn? Ist dieser Wald noch nicht in Dir?
Das Tal spielt Dir doch stets das Gleiche vor,
Hier einen Strahl, dort einen Nebelreigen,
Ein Vogel ruft ganz schwach von fernsten Zweigen
Und dauernd ragen Säulen schwarz empor.

Antwort: Das Unsagbare hab ich einst besessen,
Als Kind vielleicht in meiner frühsten Zeit,
Vielleicht noch früher in der Ewigkeit;
Im Wind der Jahre hab ich es vergessen.

Nun such ich wieder tastend zu erfahren,
Was diese Bäume zu einander sagen.
Ich fühl, der Wald muß das Geheimnis tragen.
Vielleicht wird er mir's einmal offenbaren.

aus: Peter Demetz, Böhmen böhmisch, Zsolnay Verlag, Wien 2006  

   

Für Prof. Kurt Krolop zum Geburtstag, Mai 2010

Schwebende Zukunft

Habt ihr einen Kummer in der Brust/Anfang Mai bis August/Seht euch einmal bewußt/An, was wir als Kinder übersahn.//Da schickte der Löwenzahn/Seinen Samen fort in die Luft./Der ist so leicht wie Duft/Und sinnreich rund umgeben/Von Faserstrahlen, zart wie Spinnweben.//Und er reist hoch über euer Dach,/Von Winden, schon vom Hauch gepustet./Wenn einer von euch hustet,/Wirkt das auf ihn wie Krach,/Und er entweicht.//Luftglücklich leicht./Wird sich sanft wo in Erde betten./Und im Nächstjahr stehn/Dort die fetten, goldigen Rosetten/Kuhblumen, die wir als Kinder übersehn.//Zartheit und Freimut lenken/Wieder später deren Samen Fahrt.//Flöge doch unser aller Zukunftsdenken/So frei aus und so zart. (Ringelnatz), Foto: dpa

                                                                                                                                                            

Peter Kien, Bilder und Gedichte, 1933 - 1944

Damm und Lindlar Verlag, Berlin 2009

 

 

  

 

 

 

 

Prag

Immer träume ich nach Prag
immer kam etwas dazwischen
Zeitnot Krankheit Krieg

Kafka stand
vor dem Hradschin
verirrter Himmelsbote

Ich schwöre
beim heiligen Franz
ich kann die Mauern
nicht durchbrechen
die Zauberkünste schlafen

Dort träumen Dichter
ihre Wunder
Gut mit ihnen
Kirschen essen

Trauert Prag
um meinen Traum?
Mein Traum
trauert um Prag
(aus: Rose Ausländer: Ich höre das Herz des Oleanders. Gedichte 1977-1979, Fischer Verlag Ffm 1984)
                                                                 

Rezept

         

Mascha Kaleko (1907 - 1975)

Jage die Ängste fort
Und die Angst vor den Ängsten.
Für die paar Jahre
Wird wohl alles noch reichen.
Das Brot im Kasten
Und der Anzug im Schrank.

Sage nicht mein.
Es ist dir alles geliehen.
Lebe auf Zeit und sieh,
Wie wenig du brauchst.
Richte dich ein.
Und halte den Koffer bereit.

Es ist wahr, was sie sagen:
Was kommen muß, kommt.
Geh dem Leid nicht entgegen.
Und ist es da,
Sieh ihm still ins Gesicht.
Es ist vergänglich wie Glück.

 

Erwarte nichts.
Und hüte besorgt dein Geheimnis.
Auch der Bruder verrät,
Geht es um dich oder ihn.
Den eignen Schatten nimm
Zum Weggefährten.

Feg deine Stube wohl.
Und tausche den Gruß mit dem Nachbarn.
Flicke heiter den Zaun
Und auch die Glocke am Tor.
Die Wunde in dir halte wach
Unter dem Dach im Einstweilen.

Zerreiß deine Pläne. Sei klug
Und halte dich an Wunder.
Sie sind lang schon verzeichnet
Im grossen Plan.
Jage die Ängste fort
Und die Angst vor den Ängsten.

 

 

Nenne dich nicht arm, weil deine Träume nicht in Erfüllung gegangen sind; wirklich arm ist nur, der nie geträumt hat.“ (Marie von Ebner-Eschenbach)

  

© Harry Oberländer, Frankfurt/Main

 

  

 

 

 

© www.letnapark-prager-kleine-seiten.com

 

 

 

 

 

 

 



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