LETNA PARK     Prager Kleine Seiten
Kulturmagazin aus Prag
info@letnapark-prager-kleine-seiten.com


Bedřich Utitz

Zum Tod des tschechischen Publizisten (1920–2017)

von Volker Strebel

 

 

Herkunft und Lebenslauf von Bedřich Utitz bilden auf geradezu frappierende Weise das Mitteleuropa des 20. Jahrhunderts ab. Geboren wurde Utitz 1920 in Wien, die Kindheit verbrachte er in Prag und die totalitären Bedrohungen hatten auch an seiner Familie ihre blutigen Spuren hinterlassen. Seine Schulzeit erlebte der junge Utitz im Prag der ersten tschechoslowakischen Republik, 1938 legte er im Deutschen Gymnasium das Abitur ab. Als Jude wäre ihm dies ab dem deutschen Einmarsch in Prag nicht mehr möglich gewesen.

 

Utitz gelang es im Frühjahr 1939, rechtzeitig das Land zu verlassen und er landete nach einer abenteuerlichen Flucht in Palästina. Unter anderem schlug er sich als Kellner durch und meldete sich schließlich freiwillig bei der Tschechoslowakischen Exilarmee. Nach Kampfeinsätzen bei Tobruk und um das französische Dunkerque folgte die Gefangenschaft, die er glimpflich überlebte.


Gleich nach seiner Befreiung im Mai 1945 war Utitz zum Militärdienst nach Böhmisch Eisenstein / Železná Ruda abkommandiert. Erst dort erfuhr er vom eigentlichen Ausmaß der Liquidation seiner Freunde, Nachbarn und Verwandten. Ab Oktober 1945 folgte die Rückkehr nach Prag. Utitz gründete eine Familie und tastete sich in das zivile Leben zurück. Sein Arbeitseintritt bei der Tschechoslowakischen Presseagentur (ČTK) bildete eine Weichenstellung für sein weiteres Leben als Journalist und Publizist. 


Bei der Tschechoslowakischen Presseagentur, die Utitz als Auslandskorrespondent nach Berlin geschickt hatte, waren die Tage jedoch bald gezählt. Schließlich war Utitz bürgerlicher Herkunft und hatte seinen Armeedienst im westlichen Exil absolviert – ausreichende Gründe für einen Ausschluss in den finsteren Jahren des Hochstalinismus. Umso überraschender war es für Utitz, nach einigen Jahren in der Versenkung ein Angebot vom tschechoslowakischen Rundfunk zu bekommen. Dort stieg er bis zum Chefredakteur der Hauptredaktion für den Auslandshörfunk auf. Er begleitete unter anderem den beruflichen Werdegang blutjunger Mitarbeiter wie Jiří Dienstbier oder Luboš Dobrovský, die später, nach der „Samtenen Revolution“ vom November 1989, Minister werden sollten. 


In der widersprüchlichen Phase der tschechoslowakischen Entstalinisierung war Utitz mit seiner Familie 1963 für zwei Jahre nach Kuba abkommandiert worden und somit aus der Schusslinie der Parteidogmatiker. Zudem sah sich Bedřich Utitz immer wieder mit Reaktionen von SED-Genossen aus der DDR konfrontiert, denen bereits vor dem legendären Reformfrühling von 1968 die lebendige Berichterstattung der deutschsprachen Redaktion beim Prager Rundfunk ein Dorn im Auge waren.

 

Den bewaffneten Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen am 21. August 1968 bezeichnete Utitz als „zweite Okkupation“, ganz im Gegensatz zum russischen Staatsfernsehen im Putin-Zeitalter des Jahres 2015, wo bezüglich dieser damaligen Ereignisse wieder von brüderlicher Hilfe gegen NATO und Faschismus die Rede war.

Ein neues Leben begann für Utitz nach seiner „zweiten Emigration“ in die BRD, wo er als Redakteur, Journalist und Übersetzer arbeitete. Zusammen mit Adolf Müller hatte Utitz 1971 den exiltschechischen Verlag „Index“ gegründet, der im Laufe der Jahre rund 200 Titel publizierte.

 

Nach der „samtenen Revolution“ vom Herbst 1989 konnte Bedřich Utitz wieder die Tschechoslowakei besuchen. Er sprach von einer „zweiten Heimkehr“, als er sich 2005 in Prag niederließ. Seine Erinnerungen hat er in seinem 2015 erschienenen Buch Kaleidoskop meines Jahrhunderts festgehalten.

Am 13. Februar 2017 ist Bedřich Utitz im Alter von 96 Jahren verstorben. 

 

© Mit freundlicher Genehmigung des Autors; Erstveröffentlichung: www.literaturkritik.de

 


Besprechung folgt...

 

 

 

 

 

 



Tweet