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Sowohl in Tschechien wie in der Slowakei wird über die zukünftige Handhabung des Fremdsprachenunterrichts an Schulen und weiterbildenden Institutionen diskutiert. Man will eine Sprache  - Englisch - favorisieren, Deutsch (wie auch andere Sprachen) als zweite Fremdsprache - vermutlich auch aus Kostengründen - gar nicht mehr anbieten, den Unterricht auf freiwilliger Basis ausserhalb des regulären Unterrichts  stattfinden lassen oder gar ganz privatisieren. Die Goethe-Institute, Deutschen Botschaften und jeweiligen Handelskammern diskutieren neue Konzepte, die das Sprachangebot attraktiver und für alle Interessierten zugänglich machen könnten.

Daniela Capcarová sprach mit dem deutschen Botschafter in der Slowakei, Dr. Axel Hartmann

DC. Herr Dr. Hartmann, wie nehmen Sie das English-First-Gesetz, das das slowakische Bildungsministerium durchgesetzt hat und ab dem neuen Schuljahr plant, wahr?

Hartmann: Die ersten konkreten Überlegungen des Schulministerium zur Reform des Fremdsprachenerwerbs in der Slowakei sind bereits im Herbst 2010 bekannt geworden. Seit diesem Zeitpunkt begleiten und beobachten wir als Deutsche Botschaft die zirkulierenden Vorschläge und Entwicklungen ganz genau. Dabei koordinieren wir uns eng mit den deutschen Sprachmittlern in der Slowakei wie dem Goethe-Institut, der Fachberatung der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) für die Deutschen Sprachdiplomschulen, der Deutschen Schule und auch den an den Universitäten tätigen DAAD-Lektoren. Daneben stehen wir in direktem Kontakt mit den Vertretern des Slowakischen Germanisten- und Deutschlehrerverbands.
Bereits im letzten Jahr haben wir unsere Bedenken darüber zum Ausdruck gebracht, dass eine Stärkung der Sprachkompetenz in Englisch nicht zu Lasten des Erwerbs anderer Fremdsprachen gehen darf, darunter natürlich auch der deutschen Sprache. Zusammen mit den Vertretern anderer Fremdsprachen, u.a. Romanisten und Russisten, haben wir schon damals auf die Problematik der zu geringen Stundenzahl für die zweite Fremdsprache hingewiesen.
Wir haben gleichzeitig von Anfang an klargestellt, dass unser Einsatz für Deutsch und andere Fremdsprachen keinesfalls die Bedeutung guter Englischkenntnisse in Frage stellen soll. Englisch ist ganz klar die Weltsprache Nr. 1 . Gerade weil dies der Fall ist und gute Englischkenntnisse heute bereits zur Basisqualifikation auf der Suche nach einem Arbeitsplatz gezählt werden müssen, wird das Beherrschen einer zweiten Fremdsprache zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Dies steht auch im Einklang mit den Zielen der Europäischen Union, dass jeder Bürger neben seiner Muttersprache noch zwei weitere Fremdsprachen beherrschen sollte.
Vor diesem Hintergrund können wir auch unserer Enttäuschung nicht verhehlen, dass nun ab dem kommenden Schuljahr die Möglichkeiten zum Erwerb einer zweiten Fremdsprache neben Englisch drastisch beschnitten werden. Auch die Ergebnisse einer jüngst vom Institut für Öffentliche Fragen (IVO) durchgeführten wissenschaftlichen Studie zur Fremdsprachenkompetenz in der Slowakei zeigen klar, dass eine Mehrheit der Slowaken die Beherrschung von mindestens zwei Fremdsprachen als wichtig erachtet.
Wir werden uns auch zukünftig weiter für eine auch den spezifischen Verhältnissen der Slowakei Rechnung tragende Fremdsprachenausbildung einsetzen – das heißt für uns als Deutsche Botschaft ganz konkret, dass wir uns für die deutsche Sprache aussprechen werden. Dies nicht nur, weil Deutsch auf eine mehr als 800-jährige Geschichte in der Slowakei zurückblickt, nicht nur, weil Deutschland der wichtigste Handelspartner der Slowakei und einer der bedeutendsten Investoren ist, sondern nicht zuletzt auch deswegen, weil rund zwei Drittel der Slowaken der Meinung sind, dass deutsche Kultur und Wissenschaft einen bedeutenden Einfluss in der Welt haben. Dem wollen wir mit unserem Bemühen Rechnung tragen.

Ab der 6. Klasse sollen die slowakischen Kinder die zweite Fremdsprache im Volumen von nur einer Stunde pro Woche lernen. Denken Sie, dass das Volumen zum Erlernen der komplizierten deutschen Grammatik  bis hin zum Abitur mit dem Fach Deutsch auf Gymnasien und Fachoberschulen ausreichen kann?

Die ab September in Kraft tretenden Bestimmungen des neuen Bildungsplans werden in ihrer augenblicklichen Fassung die Ausgangsbedingungen für das Erlernen einer zweiten Fremdsprache drastisch verschlechtern. Nach Meinung von Experten wird es mit der geplanten Regelung, eine zweite Fremdsprache erst in der 6. Klassenstufe mit lediglich einer Wochenstunde einzuführen, nicht mehr möglich sein, bis zum Abitur, bzw. der slowakischen Maturita, ein Niveau B2 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen zu erreichen. Dieses Niveau gilt in den meisten europäischen Ländern als Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums in der entsprechenden Sprache.

Befürchten Sie, dass zum Beispiel die schwächeren Schüler an den Grundschulen als zweite Sprache eher Russisch als Deutsch wählen werden?

Die Ergebnisse der jüngsten, von mir bereits zitierten Studie zum Fremdsprachenerwerb haben ganz klar gezeigt, dass Deutsch nach Englisch die mit Abstand wichtigste Fremdsprache in der Slowakei ist – dies weit vor Russisch, Französisch und anderen Fremdsprachen. Wir sind daher zuversichtlich, dass sich auch in Zukunft die überwiegende Mehrheit der Schüler für die deutsche Sprache entscheiden wird.

Die 400 deutschen Investoren in der Slowakei beschäftigen 90 000 slowakische Arbeitnehmer. Wie kann sich diese Sprachregelung auf  deutsche Investitionen in der Slowakei und auf die Beschäftigungszahlen auswirken?

Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und der Slowakei sind sehr eng. Neben den von Ihnen erwähnten rund 400 deutschen Firmen im Land ist Deutschland auch der bedeutendste Handelspartner für die Slowakei. Für deutsche Unternehmen ist die Slowakei in mehrerlei Hinsicht ein wichtiger Investitionsstandort - einer der wichtigsten Standortfaktoren ist dabei die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte. Eine Schlüsselrolle spielt in diesem Zusammenhang natürlich das Bildungssystem – das zentrale Thema beim 2. Deutsch-Slowakischen Wirtschaftsgespräch am 02.06.11. Neben der Forderung nach einer stärker praxisorientierten Ausbildung wurden auch die Fremdsprachenkenntnisse der Schulabgänger und Universitätsabsolventen angesprochen und dabei auch Defizite benannt.
Umfassende Fremdsprachenkenntnisse sind eine wichtige Qualifikation für Arbeitskräfte deutscher Unternehmen in der Slowakei. Eine aktuelle Umfrage der Deutsch-Slowakischen Industrie- und Handelskammer unter ihren deutschen Mitgliedsunternehmen in der Slowakei hat ergeben, dass rund 70% der Auffassung sind, dass die deutsche Sprache in ihrem Unternehmen eine hohe Bedeutung hat. Ob und inwieweit ein in Folge der neuen Gesetzgebung sinkendes Sprachniveau der deutschen Sprache konkrete Auswirkungen auf deutsche Investitionen in der Slowakei haben wird, kann man jetzt noch nicht mit Bestimmheit sagen. Letztendlich ist es immer eine Abwägung von Vor- und Nachteilen an einem konkreten Investitionsstandortes, die zu einer bestimmten Investitionsentscheidung führen. Schlechtere Deutschkenntnisse der Arbeitskräfte zählen dabei aber mit Sicherheit zu den Nachteilen.

Die Vertreter der DSIHK in der Slowakei zeigten sich auf der Jobbörse in Žilina über das Niveau der Sprachkenntnisse der Studenten der technischen Fächer besorgt. Woher kommt Ihrer Meinung nach dieses Handicap und wie negativ können die fehlenden Sprachkenntnisse die Jobaussichten der jungen slowakischen Ingenieure in der Slowakei, in Deutschland und in Österreich beeinflussen?
 

Umfassende Fremdsprachenkenntnisse spielen in den meisten Berufsbildern ein große Rolle – geht es doch zum einen oft darum, sich in international zusammengesetzten Expertenteams über technische Abläufe zu verständigen und gemeinsame Projekte über Ländergrenzen hinweg zu realisieren. Dabei kommt es natürlich auch auf hervorragende Englischkenntnisse an. Bedingt durch die Stärke der deutschen Industrie besitzt aber insbesondere im technischen Bereich die deutsche Sprache auch international eine hohe Verbreitung. Eine hohe Qualifikation im technischen Bereich muss somit einhergehen mit einer nicht minder hohen Qualifikation bei der Beherrschung von Fremdsprachen.

An Schulen in Deutschland wird Englisch auch als erste Fremdsprache unterrichtet. Die Entscheidung des slowakischen Bildungsministeriums ist auch verständlich, weil Englisch weltweit die Sprache Nr.1 ist. Ab welcher Klasse und in welchem Umfang wird die zweite Fremdsprache an deutschen Gymnasien bzw. deutschen Grundschulen unterrichtet?

Bildung ist in Deutschland aufgrund unseres föderalen Systems Ländersache. Jedes der sechzehn Bundesländer trifft damit auch spezifische Regelungen zum Fremdsprachenerwerb, der auch regionalen Unterschieden Rechnung trägt. Englisch wird dabei in den meisten Fällen als erste Fremdsprache, oft auch schon in der Grundschule ab der 3. Klasse unterrichtet, aber auch Französisch wird in einigen an Frankreich grenzenden Gebieten Deutschlands an Schulen als erste Fremdsprache angeboten. Auch der Beginn und Umfang des Erwerbs einer zweiten Fremdsprache variieren entsprechend. Ich stamme beispielsweise aus Niedersachsen. Die Bildungspläne für das Gymnasium Sekundarstufe I (5.-10.Klasse) sehen dort für die zweite Fremdsprache einen Beginn in der 6. Klasse mit vier Wochenstunden vor. Insgesamt stehen von der 6.-10. Klasse neunzehn Wochenstunden für die 2. Fremdsprache zur Verfügung.

Die Deutschlehrer in der Slowakei haben das Desinteresse der Slowaken an der deutschen Sprache schon während der Übergangsregelung Deutschlands und Österreichs zum Schutz ihrer Arbeitsmärkte gespürt. Englisch hat vielen Slowaken die Tore nach England, Irland und Schottland geöffnet.  Deutsch tat das leider nicht und blieb daher auf der Strecke. Waren diese Arbeitsmarktschutzmaßnahmen nicht ein Meilenstein, der zur heutigen Situation mit dem Deutschunterricht geführt hat?

In der Ökonomie gibt es ein schönes englisches Sprichwort, das da heißt: „ Don’t cry over spilled milk!“ was im übertragenden Sinne und als Antwort auf die Frage so viel bedeuten will wie, dass es aus unserer Sicht in jedem Fall heißt, nach vorne zu schauen und unser Möglichstes für die Verbreitung der deutschen Sprache zu tun. Ob und inwieweit der damalige Beschluss, die Arbeitnehmerfreizügigkeit für acht neue EU-Mitgliedsstaaten ab 2004, darunter die Slowakei, erst zum 01. Mai dieses Jahres zu gewähren, steht heute hinter der Frage zurück, wie wir alle, Deutschen und Slowaken, mit den aktuellen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen umgehen.

Die deutschen Unternehmen in der Slowakei und in Tschechien schalten ihre Stellenanzeigen in Zeitungen und auf Jobbörsen im Internet schon lange auf Englisch, nicht auf Deutsch. Dieselbe Regel gilt auch für die interne Kommunikation der Deutschen mit den Slowaken innerhalb der Firma. Ist das für die Bewerber, die Deutsch besser als Englisch beherrschen nicht ein Signal, dass Englisch auch bei deutschen Firmen eher gefragt ist als Deutsch?

Die breite Masse der in der Slowakei tätigen deutschen Investoren sind klein- und mittelständische Unternehmen, die bis zu 100 Mitarbeiter beschäftigen. In diesen Unternehmen spielt mehrheitlich – und das zeigt ja auch die bereits erwähnte Umfrage der DSIHK – die deutsche Sprache eine große Rolle. Insbesondere große, international operierende Konzerne, deren Konzernsprache Englisch ist, kommunizieren auch nach außen in Englisch. Natürlich würden wir uns wünschen, dass vermehrt auch hier die deutsche Sprache in den Vordergrund gerückt wird, aber da bleiben wir realistisch.

Ist die finanzielle Förderung einer einzigen deutschen Schule in der Slowakei seitens der BRD nicht zu wenig, um das Interesse der Slowaken am Deutschen wachzuhalten? Die Germanistiklehrstühle der slowakischen Universitäten klagen schon lange über Mangel an Finanzen. Sie können oft auch kein zusätzliches Personal, das Deutsch bei Studenten attraktiv machen könnte, anstellen. Denkbar wäre zum Beispiel die Förderung der deutschsprachigen Studiengänge in Wirtschafts-und Ingenieurfächern an slowakischen Universitäten. Wie engagiert sich die BRD in der Unterstützung der universitären Germanistik und deutschsprachigen Studiengänge an Universitäten?

Die Bundesrepublik Deutschland engagiert sich in vielfältiger Weise für die deutsche Sprache in der Slowakei. Dazu zählt die Deutsche Schule in Bratislava genauso wie die Bilinguale Abteilung in Poprad, die Sprachabteilung des Goethe-Instituts in Bratislava, die entsandten deutschen Lehrkräfte an den vierundzwanzig Sprachdiplomschulen in der ganzen Slowakei und auch die fünf DAAD-Lektoren, die an den Germanistiken der Universitäten in Bratislava, Nitra, Banska Bystrica und Presov arbeiten. Jedes Jahr investiert Deutschland damit einen hohen einstelligen Millionenbetrag in die Förderung der Deutschen Sprache allein in der Slowakei – dazu kommen noch die umfangreichen Förder- und Stipendienmöglichkeiten, die slowakischen Schülern und Studenten einen Studien- oder Forschungsaufenthalt in Deutschland ermöglichen. Wir als Botschaft unterstützen zudem regelmäßig Projekte germanistischer Lehrstühle, halten Vorträge zu politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Themen oder vermitteln Kontakte zu deutschen Universitäten.
Wir wollen und werden uns auch zukünftig darum bemühen, neue Förder- und Unterstützungs- möglichkeiten auch in Zusammenarbeit mit dem Slowakischen Germanisten- und Deutschlehrerverband zu entwickeln.

 

© Daniela Capcarová, Erstveröffentlichung: n-ost



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