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Laco Deczi, Slowake, geboren 1938 in Bernolákovo bei Bratislava

 

gehört zu den wichtigsten Jazz-Musikern aus Osteuropa. Nach seiner Emigration hat er sich auch in den USA einen Namen gemacht.

 

Daniela Capcarová

 

  

interviewte ihn

nach einem Konzert

in der Ostslowakei

  

Wie gefällt es Ihnen in Amerika, wo Sie zurzeit leben?

Ich bin sehr zufrieden, weil es mittlerweile mein Lebensmittelpunkt ist, denn ich lebe ja schon lange dort. In den Staaten habe ich mein eigenes Aufnahmestudio und schon über 20 Alben aufgenommen. Für eine Tournee nehmen wir vorher eine neue CD auf, die wir dann auch auf der Tournee verkaufen können. Heutzutage muss man um den CD-Verkauf kämpfen, weil die meisten Leute die Musik illegal aus dem Internet herunter laden. Alle großen Platten-Läden in New York haben pleite gemacht, die meisten sind verschwunden.

Was waren Ihre ersten Eindrücke nach der Ankunft in den USA?

Man wird vor allem dadurch überrascht, dass alles anders ist, sogar die Türklinken sind anders. Für mich waren die Anfänge nicht so schwer, weil ich vom Kommunismus in ein besseres System ging. Manche Leute, die zum Beispiel aus Westdeutschland kamen, hielten nicht durch. Erst nach etwa fünf Jahren begann ich, die Mentalität der Menschen zu verstehen. Dennoch würde ich nie sagen, dass die Amerikaner dumm sind.

 

Wie sind denn die Amerikaner Ihrer Meinung nach?

 

Großartig. Vor allem kennen Sie keinen Neid, und wenn doch, dann so minimal, dass man die Eigenschaft an ihnen nicht bemerkt. Die Mehrheit lebt nach dem Motto: Wenn einer etwas erreicht und ich ihn dafür beneide, quäle ich mich nur selbst. Die Amerikaner befreien sich einfach vom Neid, indem sie versuchen das zu erreichen, was der Andere erreicht hat.

Wie hat sich Ihre Frau nach der Emigration in die USA eingewöhnt?

Sie starb bereits 1988 an Krebs. Mit meiner zweiten Ehefrau, die asiatischer Herkunft ist, habe ich einen zwanzigjährigen Sohn. Jetzt habe ich eine tschechische Ehefrau, mit der ich absolut zufrieden bin. Alles an ihr gefällt mir. In meinen Augen ist sie perfekt. Zwischen uns herrscht absolutes Vertrauen. Seit diesem Jahr lebt sie ganz in Amerika, davor flog sie mehrmals im Jahr zwischen Tschechien und den USA hin und her.

Vor ihrer Abreise nach Amerika spielten Sie trotz Ihrer slowakischen Herkunft vor allem in Tschechien. Warum?

Nach Tschechien kam ich nach meinem Armeedienst. Fünfzehn Jahre spielte ich im tschechischen Rundfunk – in der Jazzsektion des Tanzorchesters des Tschechoslowakischen Rundfunks, das von Karel Krautgarnter gegründet worden war. Später wurde das Orchester von Otruba geleitet, und im Jahr 1984 emigrierte ich nach Deutschland. Ich floh mit dem Ziel, nach Amerika zu kommen. Wir waren aber in Westdeutschland und warteten auf alle für die Einreise notwendigen Papiere. Wir verbrachten zwei Monate in der BRD und flogen dann in die USA.

Warum wollten Sie nicht in Westdeutschland bleiben?

Es war einfach nicht mein Plan, obwohl es mir dort gut ging.Wir landeten in Köln. Die Deutschen haben sich damals sehr gut um uns gekümmert, was wunderbar war. In Amerika war es das krasse Gegenteil, überhaupt keiner kümmerte sich um uns.

  

Wie sah es mit Jazz in der Tschechoslowakei vor 1989 aus?

Die Kommunisten waren, wenn ich es in der Sprache der Musiker sagen soll, im Grunde genommen Amateure. Sie haben sich in der Musik, bis auf ein paar wenige Ausnahmen, nicht ausgekannt. Mit Jazz konnten sie nichts anfangen. Sie haben sich Jazzmusik als etwas vorgestellt, das von den Schwarzen erfunden worden war - und die Schwarzen wurden laut Meinung der Nomenklatura deswegen unterdrückt. Mehr als Jazzmusik lag den Kommunisten die Rockmusik im Magen, die im Unterschied zum Jazz provokative Texte hatte. Ich würde eher sagen, dass die Kommunisten den Jazz in Ruhe gelassen haben - trotz dessen offensichtlich imperialistischen Ursprung. Während der gemeinsamen sozialistischen Tschechoslowakei war Jazz in Tschechien populärer als in der Slowakei.

Ihnen ist es in totalitären Zeiten sogar gelungen, einen Musikpreis der Amerikanischen Botschaft in Prag zu gewinnen. Wie war das denn überhaupt möglich?

Ja, und diesen Preis schätze ich bis heute am meisten. Es war der Louis Armstrong-Preis, den die Amerikanische Botschaft in Prag nach dessen Tod ausgeschrieben hatte. Es handelte sich um einen Wettbewerb für Trompeter; wir waren etwa zwanzig Leute. Ich gewann den Wettbewerb und bekam von der Botschaft ein Louis-Armstrong-Trompetenmundstück und einen Brief von Frau Armstrong. Nur wenige wissen, dass Louis Armstrong und seine Frau 1965 die kommunistische Tschechoslowakei besucht haben. Er gab ein Konzert in Prag, und unsere Filmemacher haben es schwarz aufgezeichnet. Ich hatte die Ehre, diesen wunderbaren Jazzer direkt im Konzert beobachten zu dürfen. Armstrong blieb nach dem Konzert noch etwa einen Monat in Prag und trank viel Bier. Wenn Armstrong jemand in der Kneipe erzählt hätte, er sei Armstrong, hätte ihm sowieso keiner geglaubt.

 

Trotz der Tatsache, dass Sie kein leidenschaftlicher Anhänger des Systems waren, wurden sie von der damaligen tschechoslowakischen Agentur

Pragokoncert regelmäßig auf Tournee nach West-und Ostdeutschland geschickt. Wie kam es dazu?

Pragokoncert hat an unseren Auftritten verdient, der Staat kassierte Devisen - und wir, die Musiker, wurden natürlich finanziell kalt gestellt. Vor der Samtenen Revolution trat ich regelmäßig in Ostberlin auf. Die Auftritte wurden von Pragokonzert vermittelt. Ich hatte dort auch dreiwöchige Aufenthalte, ich musste allerdings immer nach Prag zurückkehren. Ich spielte auch im deutschen Radio SNB und im RIAS (Radio im amerikanischen Sektor) in West-Berlin. Ein großer Gewinn dieser Auftritte war, dass ich dort den schwarzen Trompeter Johns kennenlernte, der mein großer Lehrer und lebenslanger Freund wurde; er starb 1998.

Die ausländischen Engagements der sozialistischen Künstler und ihre Äußerungen im Westen wurden oft von der tschechoslowakischen Staatsicherheit (Štb) verfolgt. Haben auch Sie Erfahrungen mit der Štb gemacht?

Ja, wir wurden überwacht. Die größten Probleme begannen für mich allerdings erst nach meinem Auftritt auf Kuba.

Wieso, die Kubanische Republik gehörte doch in den Club der sozialistischen Länder?

Ja, aber dort machte mich eine Frau ausfindig, die Amerikanerin war. Sie fragte mich ständig, wie das Leben im Kommunismus so aussieht. Im Gespräch mit ihr kritisierte ich das kommunistische System und Pragokonzert. Ich wusste nicht, dass sie von einer amerikanischen Zeitung kam. Die Zeitung hat meine Ansichten ohne mein Wissen abgedruckt, und unsere Parteimänner habe diese natürlich in dieser Zeitung gelesen. Vier Tage nach meiner Rückkehr aus Kuba wurde ich festgenommen, dann wieder freigelassen; dann wurde ich wieder verhaftet und verhört. Das wiederholte sich ständig. Ich wusste aber gar nicht, warum, ich kannte den Grund meiner Verhaftungen und Verhöre nicht. Erst später erfuhr ich von der Štb über den Artikel in Amerika. Danach bot mir die Staatssicherheit eine Zusammenarbeit an. Ich stimmte zunächst zu, weil ich einen Pass brauchte. Sobald ich den bekommen hatte, ging ich sofort über die Grenze. Heute noch erinnere ich mich an einen Štb-Polizisten, der mir drohte: „Wenn du abhaust, finde ich dich überall auf der Welt“. Mein Sohn Vaico hatte damals noch kein Visum, deshalb wurde es von meinem Freund Beďa Budil gefälscht. Er fälschte auch das Visum meiner Frau. So passierten wir die Grenzen, und es war vorbei. Zuerst landeten wir in Deutschland, wo wir auf die notwendigen Dokumente warteten und auf den Abflug in die USA.

  

Wie waren Ihre Anfänge in Amerika?

In den USA fing ich an, den Radiosender US-Canon zu hören. Den konnte ich bereits in der Tschechoslowakei empfangen und auf Mittelwelle hören, jeden Abend außer Samstag und Sonntag. Das Programm wurde aus Washington gesendet, es waren für gewöhnlich 15 Minuten Nachrichten und 45 Minuten Musik. Dort habe ich zum ersten Mal Cliff Braun und weitere führenden Jazzmusiker aus den Staaten gehört, die mich sehr inspiriert haben. In den USA waren diese Musiker oft nicht ganz so bekannt, weil das Radio vor allem für den Ostblock sendete. Aber alle osteuropäische Jazzmusiker kannten ihre Namen.

Welche Gefühle hatten Sie, als Sie in den USA von der Samtenen Revolution in der Tschechoslowakei erfuhren?

Von der Revolution wusste ich schon, bevor sie ausbrach. Kurz vor dem November 1989 machte ein amerikanischer Fernsehsender ein Interview mit mir. Ich wurde gefragt, was ich davon halte, dass der Kommunismus bald fallen würde. Ich wollte das nicht glauben, die Amerikaner wussten es offenbar besser. Einen Monat nach diesem Interview ist bei uns die Revolution ausgebrochen. 

Wie sieht es in der Slowakei und Tschechien jetzt aus im Vergleich zu der Zeit vor 1989?

In der Slowakei funktionieren die Sachen besser als vorher; die Städte sind sauberer, es ist ein Riesenunterschied zu der Zeit davor, natürlich. Ich bin in Bernolákovo geboren, ich bin fast Bratislaver, und Bratislava hat sich auch sehr verändert. Wenn ich nach Bratislava komme, besuche ich vor allem meine Mutter, ich gehe selten in die Jazzbars, eigentlich besuche ich die auch in Amerika kaum. Ich gehe in der Slowakei und in Tschechien nur dort hin, wo ich eventuell auch mit meiner Band spielen könnte. Manche osteuropäische Staaten, wie zum Beispiel Tschechien, sind heutzutage wesentlich weiter als z.B. Österreich. Manche Österreicher denken allerdings über uns, dass wir ihr Niveau noch nicht erreicht haben, was natürlich absoluter Blödsinn ist. Die Slowakei kann heute der Welt viel mehr als Skilauf anbieten.

Wo in New York kann man Ihre Musik und Ihre Band hören?

An unterschiedlichen Orten, und es ändert sich auch ständig. Wir haben zwei Jahre in Harlem gespielt, das ist nun zuende. Wir sind ständig unterwegs. Natürlich geben wir regelmäßig Konzerte in Europa und sind auf Tourneen durch Tschechien und durch die Slowakei.

Spielen Sie auf Konzerten die Songs der weltbekannten Jazzmusiker oder komponieren und spielen Sie Ihre eigene Musik?

Beim heutigen Konzert spielten wir alle meine Lieder. In unseren Konzerten spielen wir ausschließlich eigene Sachen. In den USA spielen wir manchmal auch älteren Jazz.

Wovon werden Sie beim Songschreiben am meisten inspiriert?

Am meisten inspiriert mich der Drang, eine neue CD zu machen. Ein Lied zu schreiben, gelingt ja nicht immer auf Anhieb. In den meisten Fällen werfe ich die Noten immer wieder weg und komponiere von neuem. Ich schreibe fast alle Songs allein. Die Lieder werden dann bei Proben mit der Band modifiziert. Sie werden nach Maßgabe und den Bedürfnissen der Band verändert. Im Nachhinein höre ich mir meine Songs auf den CDs aber nicht mehr an, ich höre die Fehler. Damit ich gut schlafen kann, spiele ich sie lieber nicht ab (Deczi lacht).

Warum haben Sie sich aus allen Jazzinstrumenten ausgerechnet die Trompete gewählt?

Ich weiß nicht; dieses Instrument hat mir immer gefallen. Mit zwölf Jahren fing ich an zu spielen. Dann ging ich aufs Konservatorium (Musikschule mit Abitur in der Slowakei und in Tschechien), das ich allerdings nicht abgeschlossen habe, weil ich in die Armee musste. Nach meiner Entlassung aus der Armee ging ich nicht zurück nach Bratislava, sondern direkt nach Prag.

 

 

Nach welchen Kriterien haben sie die Musiker Ihrer international besetzten Band Laco Deczi & Celula New York ausgewählt?

Den Bassgitarristen Nob Kinukawa traf ich in einem Aufnahmestudio. Seit diesem Treffen spielen wir zusammen. Schon lange arbeite ich auch mit meinem Sohn Vaico Déczi, dem Schlagzeuger, zusammen. Den Pianisten Brian Charette habe ich persönlich nach New York gebracht, als er siebzehn war. In Amerika spiele ich öfter mit ihm. Er ist ein atemberaubender Musiker. Den österreichischen Keyboarder Walter Fischbacher habe ich auch in New York kennengelernt.

 

Nur sehr wenige Leute wissen, dass Sie auch malen?

Malen nehme ich eher als Entspannung wahr. Während meines Musikerlebens in Prag war ich mit vielen Malern befreundet. Ich bewegte mich in ihrem Milieu, einer von ihnen war der berühmte Maler Béďa Budil, der fünf Jahre bei Salvator Dalí gearbeitet hat. Er zeichnete seine Bilder fertig. Als Béďa Budil meine Bilder zum ersten Mal sah, haben sie ihm sehr gefallen und manche wurden sogar verkauft.

Wie erhalten Sie Ihre physische und psychische Kondition? Ihr Alter sieht man Ihnen jedenfalls nicht an.

Ich gehe regelmäßig, meist morgens, schwimmen. Das ist alles.

Sie haben jetzt die Konzerttournee in Tschechien und in der Slowakei hinter sich. Planen Sie hierzulande noch andere Auftritte?

Ich habe ein paar Konzerte in Tschechien und ein Projekt mit der Brauerei Eggenberg in Český Krumlov vor mir. Mit der Brauerei plane ich eine neue CD, die ich demnächst in den USA, in meinem Studio, aufnehmen werde.

 

Herr Déczi, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

 

 


 

 

© Fotos: Laco Deczi Homepage; Musik: Poison Bird von Laco Deczi


 


 

 



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