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Das vergessene Haus

Karla Morbitzer


Der Platz lag jahrelang da, als würde er frei gehalten; als hätte man das Haus nur eben einmal weggenommen, um es von oben bis unten genauestens zu inspizieren; um auszuprobieren, wie es sich in anderen Häuserzeilen fühlt, wie es in andere Straßenzüge passt; oder vielleicht sogar alleinsteht auf dem Hügel über einem Dorf mit einem wunderbar weiten Panorama, das an der Grenze zum Himmel allmählich verschwindet wie ein ängstlicher, aber umsichtiger Flüchtling



Über eine lange Zeitspanne hinweg hat man ein Modell favorisiert, nun sind neue Spieler dazu gekommen bzw. die alten ausgetauscht worden. Häuser wechseln ihre Besitzer wie Geldscheine die Brieftaschen, nehmen andere Form und Gestalt an, Tarnkappen sind der letzte Schrei. Die besten Geschäfte macht man seit jeher im Geheimen, heißt es. Und wie beim Zocken üblich, geht es um schnelle Entschlüsse und geduldiges Abwarten.

 

Der Platz geriet in Vergessenheit. Er diente als Müllhalde für ausrangierte Möbel und benutzte Präservative, kaum begonnene oder nicht zu ende gebrachte Geschichten, war aufgerissener Betonschlund, versteppte Sandwüste und grünes Biotop zwischen Plastik und Kartons. Er lebte oder besser, es lebte auf und unter ihm, auch wenn die Menschen hastig an ihm vorbeiliefen und ihn keines Blickes mehr würdigten, weil auch unbeachtete Lücken zum Bild gehören und es auf unerklärliche Weise mitbestimmen. Mit dem lange leerstehenden, dann abgerissenen Haus waren auch seine Bewohner verschwunden, ein kleiner virtueller Friedhof unbekannter Mieter inmitten des Autolärms, unsichtbar für alle, die die Geschichte nicht kannten.

Mit der Beseitigung des Hauses waren auch die Fassaden der Häuser gegenüber endlich sonnenbestrahlt, und nur die hochragende, stolze Pappel am anderen Ende des Areals spendete lichte Schatten quer über das Gelände hinweg, fing allzu stürmische Winde auf und stand wie ein verlässlicher Wächter am Rand zwischen Getöse und allgegenwärtiger Verlassenheit.


Viele kluge Köpfe dachten, hinter Plänen und Kalkulationen versteckt, anderenorts darüber nach, was zu tun sei, mit dem Platz, der Stadt und dem Erdball. Die Reihenfolge ist nicht verbrieft. Die Chemie aber stimmte. Old School-Elemente schütteten, wie es hieß, mit jugendlich-erregtem Adrenalin auch das feinsinnig-massakerorientierte Troja aus, und man machte sich gemeinsam ans Werk.


Ein riesiger umgekippter Obelisk aus schwarzem Marmor und Granit liegt auf dem Platz, ein Koloss im stumm gewordenen Liliput, in den hellen Dunst des aufgewirbelten Feinstaubs gehüllt, als käme er aus einer anderen Welt, archäologische Ausgrabung oder Steinschlag aus dem All; wie ein glänzendes Schwert und Schutzschild zur grauen Asphalttrasse hin; Spiegel seiner selbst, dessen Antlitz sich in den schweren Quadern bricht, mit kaum sichtbaren schmalen Luken, aus denen man die große, verkehrsreiche Kreuzung im Auge behalten kann, wenn es die Arbeit zulässt, die in diesem Komplex verrichtet wird.


Schwarzes Handtuch nennen es die Leute, passend zum Grund, einem schmalen Filetstück, wie es handelsüblich heißt, das man in taumeliger Fresslaune, der Goldgräberstimmung geschuldet, die seinerzeit über der ganzen Stadt lag – in irgendeiner Zeit also, die heute Damals genannt wird – gerade noch ergattern konnte. Es sollte und konnte nur hoch hinaus gehen. Das war das einzige Limit, das zählte. Geld saß locker, heißt es, besonders solches, das man nicht hatte. Es soll durch so viele schmutzige Hände gegangen sein, bis es nach vielen Jahren fleißigen Drehens und Wendens endlich Form und Bestimmung fand – eine Bank, auf engstem Raum hohe Erwartungen erfüllend, errichtet, das heißt mit Geld ausgestattet, von anderen Banken, Vermittler zwischen Versprechen und Rendite, unsere Wehr und Waffen. Natürlich.

Ein Gerücht. Nichts sonst. Kein Sonnenstrahl dringt mehr in die gegenüberliegenden, jetzt wertloser gewordenen Häuser. Die mächtige Pappel ist gefällt. Die Zeiten fallen ineinander und übereinander her.

 

Der Platz liegt still und schweigt.

Nur manchmal feiern wir im Haus Feste, so laut und ausgelassen, wie wir es früher niemals taten.

 


 

© Karla Morbitzer, Veröffentlichungen in Magazinen und Anthologien; Gruppenausstellungen


27VII2013



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