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TÖTEN AUF TSCHECHISCH

von Katja Schickel


Ausgerechnet in die Zeit der Gedenkfeierlichkeiten zum Ende des 2.Weltkriegs und des Prager Aufstands vor 65 Jahren fiel die TV-Ausstrahlung eines Film, der seither für reichlich Aufregung und Gesprächsstoff sorgt: Der Prager Bauingenieur und Amateurfilmer Jiři Chmělniček, der im Prager Stadtteil Borislavka wohnte, wollte am 10. Mai 1945 die Befreiung der Stadt dokumentieren. Er filmte Panzer, Soldaten und Flüchtende, auch die Kolonnen von Deutschen, die Rotarmisten und tschechische Milizionäre aus den Häusern gejagt hatten. Mit verwackelter Kamera hielt Chmělniček fest, was sich da fast wie beiläufig ereignete. Man kann sein atemloses Entsetzen in den unruhigen Schwenks förmlich spüren. Da vollzog sich etwas öffentlich vor aller Augen, das aber in Bildern gar nicht festgehalten werden sollte: Zwei Tage nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden am Rande einer Wiese vierzig deutsche Zivilisten erschossen. Die Dokumentation "Töten auf Tschechisch" zeigt dieses Geschehen: Menschen, die geprügelt werden, die Hände hoch halten, auf der Straße kniende Frauen, die Exekution und Körper, die langsam auf die Erde sacken, ein Militärlaster, der Leichen, die am Straßenrand liegen, überrollt. Regisseur David Vondráček hat das Material von der Tochter, Helena Dvořáčková, erhalten, die es bereits vor zehn Jahren einem Programmdirektor angeboten hatte. Der befürchtete schlimme Folgen, auch für sich selbst. Auch jetzt gibt es heftige Kontroversen, aber es wird zumindest diskutiert. Von den einen als gerechte Strafe für die Gräueltaten der Deutschen verteidigt, für ihre Grausamkeiten bis zuletzt, als verständliche Racheakte Einzelner oder als kurzfristige Aktionen von Rotarmisten und Revolutionsgarden („Exzesse“)gesehen, gibt es auch vermehrt Stimmen, die vollkommene Aufklärung der Vorkommnisse („ein Krieg nach dem Krieg“ -. Vondráček) fordern, an denen Tschechen beteiligt bzw. für die sie verantwortlich waren.

Da es sich damals herumgesprochen hatte, jemand hätte gefilmt, wurde Jiři Chmělniček mehrmals vom tschechischen Geheimdienst und der Polizei verhört. Er hatte sein Schwarzweiß-Material allerdings sorgsam im Garten vergraben. Es ist jedoch kein Gras über die Geschichte gewachsen, Zeitzeugen hatten immer wieder über die Ereignisse gesprochen, nun gibt es die Bilder zu ihren Berichten.

Der Regisseur Vondráček dokumentiert in seinem Film auch den Massenmord an Deutschen im nordböhmischen Postoloprty, dem früheren Postelberg, Dort waren im Juni 1945 mehr als 700 Menschen getötet worden.

Vor allem Radka Denemarková (s. hier: Gespräch, Buchbesprechung und Betrachtung) und Kateřina Tučková haben sich in ihren preisgekrönten Romanen mit diesen Themen beschäftigt. Eine neue, kritische Generation von SchriftstellerInnen und KünstlerInnen greift die Tabuthemen auf und hinterfragt die alten, lieb gewonnenen nationalen Mythen.

Text: Katja Schickel

Hier ein Ausschnitt aus der Dokumentation:

 

 

 

 

 



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