LETNA PARK     Prager Kleine Seiten
Kulturmagazin aus Prag
info@letnapark-prager-kleine-seiten.com



Im Unbehausten zuhause

von Volker Strebel




 

Emil Hakl

Regeln des lächerlichen Benehmens

Aus dem Tschechischen von Mirko Kraetsch.

191 S., geb., 19,90 Euro

Braumüller Verlag, Wien 2013, ISBN 978-3-99200-083-8




Mit seinen fünfzig Jahren steht Jan mitten im Leben. Höchste Zeit, sich bislang noch nicht in Erfüllung gegangenen Wünschen zu widmen. So kommt es, dass Jan gleich zu Beginn dieses aufregenden Romans in die Luft geht. Zwei jugendliche Zufallsbekannte hatten ihm als verspätetes Geburtstagsgeschenk ermöglicht, sich mithilfe eines Gleitschirms über die nordböhmische Gegend um Louny zu erheben. Kann er das alleine? Will er das eigentlich wirklich? Fragen, die nicht beantwortet werden können, da Jan bereits einsam in der Luft hängt. Die Kommunikation zur Erde hält ein an seiner Wange mit Pflaster festgeklebtes Handy aufrecht. Oben am Hügel hatte er sich schon über das Publikum gewundert, das ebenfalls zum Abflug bereit stand: „Pickelgesichtige, zappelige Moskitos, rebellische Karrieristinnen, viehisch fertige Vierfachmütter, dröge Doktorandinnen, Muskelbullen jeder Art, Gutmenschen, Bescheidwisser, Military-Typen, Rōnins, Kapuziner, Wu-Tang-Clan-Fans, Blödis wie aus rotem Gummi gegossen, quicksilbrige Adoranten ewiger Jugend mit blondierten Haaren.“


Jan genießt den überraschenden Flug, so gut er kann, und lässt sich von der Strömung und seinen Gedanken tragen. Monologe, Dialoge, zwischengeschaltete Unterbrechungen sowie angefügte Ergänzungen beschreiben einen bunten Wirbel von Eindrücken und Erinnerungen. Jan, ein Mann von Fünfzig, mäßig erfolgreicher Schriftsteller, reflektiert sein Leben. Er dreht und wendet es in alle erdenklichen Richtungen, um sich Auskunft über sich selbst zu geben. In bewusster Distanz zu seinen jugendlichen Bekannten kommt er, was seine eigene Rolle betrifft, schließlich zu einem Ergebnis. Wer er ist? – „Ein Beobachter. Er hört zu und vergleicht. Ist seinen Erinnerungen ausgeliefert, das ist alles.“ Der Roman entfaltet sich mit den Erinnerungen und wird so zur literarischen Inszenierung einer unablässigen Selbstvergewisserung. Eine zuweilen schnoddrige Sprache kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier ein subtiler Beobachter am Werke ist.


Der Roman ist in drei Teile gegliedert, die jeweils für sich erzählen und sich dennoch zu einem Gesamtbild fügen. Während sich der Fünfzigjährige im ersten Teil buchstäblich aus der Vogelperspektive ein Bild über sein bisheriges Leben zu verschaffen sucht, werden im zweiten Teil Einblicke in den Alltag von Jan gewährt. Ein Schriftsteller, der eher schlecht als recht über die Runden kommt, ewig unglücklich verliebt ist und letztlich vielleicht gar nicht in der Lage, eine Bindung einzugehen. Eine bei seinem Vater diagnostizierte Dickdarmentzündung bringt die beiden einander wieder näher. Jan widmet ihm Zeit und beide plaudern sich fest. Im letzten Teil des Romans begibt sich Jan auf Reisen, wieder zusammen mit den beiden jugendlichen Freunden, die ihm den Geburtstagsflug verschafft hatten. Nach einer Fahrt mit der Eisenbahn landen sie im rumänischen Donaudelta. Jan kommt dem Versprechen, das er seinem Vater gab, immer näher, nämlich dessen Asche ins Meer zu streuen.

In einem Ruderboot sitzend vergewissert sich Jan seines neuen Aktionsplans: „Nicht in der Küche sitzen, Bewegung. Das Notebook zuklappen. Sich am Riemen reißen. Aus dem Hamsterrad raus. Reisen. Die Türkei. Die Kalahari.“ Selbst im Binsen- und Schilfgewirr des verzweigten Donaudeltas erreichen Jan auf dem Handy immer wieder SMS-Nachrichten seiner Exfreundin Hanka. Hier illustriert die Natur die widersprüchliche Beziehung Jans, seine inneren Monologe, die von Dialogen mit den Kumpels ergänzt und von dazwischengeschalteten Botschaften Hankas unterbrochen werden. Auch fern der Großstadt Prag ist Jan im Unbehausten zuhause. Ein konstanter Zustand, der den frappierend genauen Blick auf sich und seine Umgebung sowie sein verblüffend eindringliches Berichten darüber erst gestattet. Noch im Schlafsack liegend hört er die nahen Schiffe so: „Von draußen dringt das fettige Trommeln der Schiffsmotoren zu mir, eine Mischung aus alkoholisiertem Geschrei, Quietschen und Vogelwahnsinn.“


In den neunziger Jahren hat der 1958 in Prag geborene Hakl, der mit bürgerlichem Namen Jan Beneš heißt, literarisch auf sich aufmerksam gemacht. Für den Roman Regeln des lächerlichen Benehmens erhielt er den in Tschechien renommierten Josef-Škvorecký-Preis. Jetzt kann sich auch das deutsche Lesepublikum von Hakls literarischem Können überzeugen.


©Text, geänderte Fassung: Volker Strebel – mit freundlicher Genehmigung des Autors; Erstveröffentlichung des Ursprungstextes: Prager Zeitung. Fotos: Braumüller Literaturverlag, Emil Hakl




 

Emil Hakl (d.i. Jan Beneš, inicht mit dem namensgleichen Autoren Jan Beneš (1936-2007) identisch, der ebenfalls unter Pseudonymen schrieb), *1958 in Prag. Studium auf dem Jaroslav-Ježek-Konservatorium, Arbeit in manuellen Berufen wie auch als Texter in Werbeagenturen, als Redakteur und Journalist. 1991 debütiert er als Lyriker, veröffentlicht aber seit 2001 vor allem Erzählungen und Romane, 2008 Let čarodějnice (Hexenflug; Roman) und 2010 Pravidla směšného chování (Regeln für ein lächerliches Benehmen; Novelle). Für das inzwischen verfilmte Buch O rodičích a dětech (Von Eltern und Kindern, Prag 2002) wurde er mit dem tschechischen Literaturpreis Magnesia Litera ausgezeichnet, für Pravidla směšného chování (Regeln für ein lächerliches Benehmen) mit dem Josef-Škvorecký-Preis.
Ebenfalls im Braumüller Literaturverlag erschienen: Treffpunkt Pinguinhaus, Spaziergänge mit dem Vater. Aus dem Tschechischen von Mirko Kraetsch, 2010, € 18,90. ISBN: 978-3-99200-012-8

 


Veroffentlichungen
Rozpojená slova, Mladá fronta, 1991 – Gedichte
Zkušební trylky z Marsu, Cherm, 2000 – Gedichte
Konec světa, (Ende der Welt), Argo, 2001 – Kurzgeschicht
Intimní schránka Sabriny Black, Argo, 2002 – Roman
Intimní schránka Sabriny Black (Final Cut), Argo, völlig neue Bearbeitung des Romanthemas 2010
O rodičích a dětech (Von Eltern und Kindern), Argo, 2002 – Kurzgeschichte, mit Preis Magnesia Litera gewürdigt.
O létajících objektech, Argo, 2004 – Kurzgeschichten
Let čarodějnice (Hexenflug), Argo, 2008 – Roman
O rodičích a dětech, Novelle 2008, gleichnamig verfilmt
Treffpunkt Pinguinhaus: Spaziergänge mit dem Vater. übersetzt von Mirko Kraetsch. Braumüller Literaturverlag, Wien 2010. ISBN 978-3-99200-012-8
Pravidla směšného chování, (Regeln für ein lächerliches Benehmen), Argo, 2010

s.a. seine Website (Tschechisch / Englisch): www.emilhakl.cz


10VI2013



Tweet