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ERINNERUNGS-STÜCKE

ER: Ständig sind neue Transporte gekommen und weitere sind weggegangen. Da musste ständig Platz für die neuen Transporte gemacht werden, und das war wahrscheinlich notwendig. Diese Holzbaracken waren schrecklich, voller Ungeziefer. Dieses Ungeziefer hat sich im Holz gehalten, und es war unmöglich, es zu vergasen und zu vernichten. Die sind immer irgendwo gewesen, und im Sommer war es besonders unerträglich. Im Sommer haben wir zwischen den Baracken gewohnt. Wir haben uns diese Strohmatratzen genommen und da gewohnt, denn in den Baracken, das war unmöglich, mit diesem Ungeziefer zu existieren. Aber das hat alles dazu gehört. Ja.

Vergasen, das konnte man damals noch einfach so sagen!?

ER: Das konnte man eben nicht, da waren Öffnungen oder Löcher, und das Ungeziefer konnte anderswohin gehen, dann ist es wieder zurückgekommen. Aber etwas war komisch: Nach dem Krieg, als ich meinen Mann schon getroffen hatte, sagte er einmal, ich möchte gerne sehen, wie Theresienstadt ausgesehen hat. Zuerst war die Quarantäne dort, dann das Rote Kreuz, und als dann alle Leute weg waren, die Krankenhäuser waren leer, da war Theresienstadt wieder eine offene Stadt. Die Leute, die dort vorher gelebt haben, sind allerdings nicht mehr zurückgekommen.Zu meinem Mann habe ich gesagt, wir können es versuchen, ich kann dir zeigen, wo wir gewohnt haben, also versuchen können wir es ja. Bei der Gelegenheit haben wir auch Karel Košvanec besucht, der in einem Nebendorf lebte.

No gut, wir sind hingekommen, und man hat sich fast nicht mehr vorstellen können, was da kurz vorher passiert war. Aber das Ungeziefer ist dort geblieben und war richtig hungrig. Ich zeigte meinem Mann die Kaserne, in der wir gewohnt haben, und alle anderen Baracken.

Und alle Läuse, Flöhe und Wanzen haben sich auf uns geworfen, wir waren voller Ungeziefer. Wir konnten uns nicht wehren, uns nicht davon befreien. Ständig waren wir bedeckt von diesem Ungeziefer. Die waren alle so hungrig, nach all der vergangenen Zeit. Ganz ausgehungert, die können angeblich zwei Jahre ohne Blut überleben. Wir jedenfalls waren bedeckt mit diesen Läusen, Flöhen und Wanzen und sind so schnell wie möglich wieder weg. Dann haben wir aber einen Ausschlag bekommen, am ganzen Körper. Wir sind hier zum Arzt, der entsetzt gefragt hat: Um Gottes Willen, was habt ihr gemacht, wo wart ihr? Und wir: Im Konzentrationslager. Und er war sehr überrascht: Wer geht denn freiwillig ins Konzentrationslager? Na, mein Mann wollte das sehen! Dann haben wir verschiedene Salben bekommen und waren ständig bedeckt mit verschiedenen Salben, zum Schluss war es wieder gut. Damit hatten wir einfach nicht gerechnet. Die waren so glücklich, jemanden zu finden. Ja, das war komisch damals. Etwas Ähnliches passierte, als meine Tochter den Wunsch hatte, einmal Saaz zu sehen. Es gab ein Foto vom Haus, das hat ihr sehr gut gefallen und sie fragte mich: Kannst du mir nicht einmal das Haus zeigen, in dem du geboren bist!? Na ja, ich wollte zuerst nicht, aber dann sind wir dort hingekommen, da lebte schon die zweite oder dritte Generation Roma dort, die das Haus besetzt hatten, und es war in schrecklichem Zustand. Ich wollte meiner Tochter also das Haus zeigen, da haben sie einen Hund auf uns gehetzt und wir mussten schnell verschwinden, denn dieser Hund hätte uns gebissen, er war ein guter Wachhund. Ich konnte ihr nicht einmal den Garten zeigen, den ich so geliebt habe. Ich habe den Garten lieber gehabt als das ganze Haus. Das einzig Zugängliche war der Keller, wo wir früher Kartoffeln und Kohle und solche Sachen gelagert hatten, da war jetzt eine Bar. Ich habe meine Tochter dorthin geführt. Es war schon komisch, sich zu erinnern, weil der Keller früher doch nur für Obst, Kartoffeln und Kohlen bestimmt war.. Wir haben dort Kaffee getrunken, und ich habe den Mann gefragt, wissen Sie eigentlich, wer hier vor dem Krieg gelebt hat. Er sagte: Nein, er hat keine Ahnung. Ich sagte ihm, ich sei hier geboren. Er war sehr überrascht. Das war alles sehr komisch. Ins Haus haben sie mich nicht gelassen. Ich durfte nur im Keller sein. 

Diese Episode zeigt ja, wie wichtig es ist, dass man sich erinnert, damit die Leute nicht sagen können: Was? - Keine Ahnung!

ER: Ja, das wäre wichtig gewesen. Direkt nach dem Krieg waren diese Gruppen, ich weiß nicht mehr, wie die hießen, die nur von einem Haus zum nächsten gegangen sind und gestohlen haben. Also zuerst mussten wir weg, der größte Teil, Möbel und alles, ist dort geblieben. Dann sind die Deutschen gekommen, die haben das übernommen. Und als die Deutschen weg mussten, da war wieder eine neue Gruppe von Dieben, die dorthin gekommen sind nur zum Stehlen, weil die Deutschen, ich weiß nicht, ob sie auch nicht alles mitnehmen konnten, sie durften ja auch bloß ein paar Kilo mitnehmen. Danach war dann das ganze Gebiet leer, und zuallererst sind die gekommen, die stehlen wollten und haben alles mitgenommen, was sie kriegen konnten. Das waren ja schöne Häuser, das waren teilweise ziemlich reiche Leute gewesen, und alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde gestohlen. Und nach denen sind weitere Diebe gekommen, und die haben wieder gestohlen, was noch übrig war. Und in der dritten Generation war das Haus also in schrecklichem Zustand, niemand hat das Haus repariert. Es war einmal ein schönes Haus, aber jetzt waren die Mauern schon halb eingestürzt an manchen Stellen, der schöne Balkon... es war wahrscheinlich lebensgefährlich, den zu betreten. Ich habe gesagt: Nie mehr! Ich möchte hier nicht einmal begraben sein. Ja, das war schrecklich zu sehen, wie dieses schöne Haus zerfällt, nach diesen vielen Generationen. Ich weiß nicht, wer dort hin gekommen ist, Zigeuner, Rumänen..

Das ist der Niedergang ab 1945 …

ER: Ja, die ersten kamen, um zu stehlen, die zweiten auch, und dann gab es irgendwann nichts mehr. Niemand hatte Lust, das irgendwie zu reparieren oder instand zusetzen. Es war nicht ihr Eigentum, also haben sie sich auch nicht bemüht


SAAZ – DIE ALTE HEIMAT

Was ist den Saaz für eine Stadt, damals und heute?

ER: Žatec auf Tschechisch, vielleicht sagen mache auch heute noch Saaz. Es war eine reiche Stadt, denn um Saaz herum war besonders guter Boden für Hopfen, der ein ausgezeichneter Exportartikel war. Saazer Hopfen war berühmt in der ganzen Welt. Und die Eigentümer dieser Hopfenfelder waren reich, die haben sehr gut gelebt. Jetzt ist dieser Hopfen nicht mehr begehrt, denn man kann ihn von überall her importieren. Ob der Saazer Hopfen jetzt schlechter geworden ist oder andere Länder ebenso guten anbauen können, weiß ich nicht. Saazer Hopfen war früher etwas wirklich Besonderes. Aber Bier getrunken wird ja immer... Immer zur Hopfenernte kamen viele Leute, aus der Slowakei und anderen Ländern, nur zu dieser Zeit zum Hopfen pflücken. Aber die gibt es heutzutage auch nicht mehr. Also ist es kompliziert geworden. Im Kommunismus mussten die Studenten Hopfen pflücken, das war Pflicht. Schon auf dem Gymnasium waren 14 Tage Pflicht. Unsere Tochter musste das auch, hat ihr nicht gut gefallen. Aber sie haben etwas Geld verdient, wenig. Es war ja klar, dass das keine gut bezahlte Arbeit war, aber ziemlich schwere, auch bei Regen. Manchmal war gutes, manchmal schlechtes Wetter, manchmal war es kalt oder sehr heiß, aber der Hopfen musste gepflückt werden, und das war nicht sehr angenehm. Aber früher kamen sie eben aus der Slowakei und anderen Ländern, haben sich ihr Geld verdient, das war für sie sehr vorteilhaft. Saisonarbeiter waren das. Heute kommt keiner mehr aus der Slowakei, es gibt keine Studenten, also ich weiß nicht, wie sie es jetzt machen, wer jetzt den Hopfen pflückt.


© Katja Schickel/www.letnapark-prager-kleine-seiten.com

 

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