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Felix Weltsch (1884 Prag - 1964 Jerusalem)

war gemeinsam mit Max Brod der beste Freund Franz Kafkas. Er war eine außergewöhnliche Persönlichkeit nicht nur bezüglich seiner Ausbildung (Jura und Philosophie), sondern auch durch seine vielseitigen Tätigkeiten - bis vor kurzem war es aber fast unmöglich etwas Näheres über sein Leben und Werk zu erfahren. Dies leistet die Biografie von Carsten Schmidt, die Anfang April in Deutschland erschienen ist. Anlässlich seines Besuchs in der Franz Kafka-Gesellschaft Prag hat Daniela Uherková mit ihm gesprochen.

Erzählen Sie bitte, wie Sie zu Person und Werk von Felix Weltsch gekommen sind. Warum haben Sie angefangen, sich mit ihm zu beschäftigen?

 

Zunächst: Danke für die Möglichkeit dieses Interviews.

Der Weg zum Buch Kafkas fast unbekannter Freund war relativ lang und eigentlich vierzig Jahre überfällig. Bereits 2003 war die Idee da, sich mit Kafkas Freunden zu beschäftigen. Jeder, der sich Kafka nähert, sieht sofort die engen Freunde in allen Biographien: Max Brod, Oskar Baum, Felix Weltsch, Hugo Bergman und so weiter. Da war der Gedanke: Wenn es nun mittlerweile tausende Bücher über Franz Kafka gibt – jedes Jahr erscheinen ja dutzende allein auf Deutsch: Kafka als Tscheche, als Österreicher, als Jude, als Deutscher, Kafka im Kino, Kafka am Strand, Kafka am Nordpol, was immer sie wollen. Da Kafka schüchtern war, und er nur wenige Freunde an sich heran ließ, wenn diese Freunde mit ihm aber 20 Jahre lang gelacht, geschrieben und gehofft haben, dann müssen sie eine große Bedeutung für ihn gehabt haben - und es müsste ja viel über diese Freunde geben. Das stimmt aber nicht. Vor allem Oskar Baum und Felix Weltsch sind fast völlig vergessen. Über Baum gibt es von Sabine Dominik ein Buch, zu Weltsch eine handvoll kleiner Aufsätze innerhalb der letzten 50 Jahre. Keine Biographie, gar nichts. Das war der Ansatz. Zudem hielten es Prof. Julius Schoeps und Prof. Helmut Peitsch für eine gute Idee, zu diesem Thema eine Dissertation.zu betreuen. Damit begann eine neugierige Suche, die nun mit einer umfangreichen wissenschaftlichen Biographie abgeschlossen ist.


 

Wie würden Sie Felix Weltsch in einigen Sätzen beschreiben? Was war das für ein Mensch; war er im Leben erfolgreich, was hat er fertig gebracht?

Zum Glück kam bei der Arbeit als Resultat nicht heraus, dass Felix Weltsch total unbedeutend und langweilig war, sondern sehr intelligent, interessant, lustig und erfolgreich. Das kann man an punktuellen Beispielen erkennen: Jemand, der mit einem gewissen Herrn T.G. Masaryk schon 1914 als philosophischem Kollegen spricht, dessen Bücher in mehrere Sprachen übersetzt und von Persönlichkeiten wie Stefan Zweig gelobt werden, und jemand der Fotos von sich mit dem israelischen Präsidenten hat, kann man durchaus erfolgreich nennen.

In Prag hatte Weltsch´ Familie schon 300 Jahre gelebt, so lange wie übrigens auch die von Max Brod, den er bereits im Alter von fünf Jahren kennenlernte, in der Grundschule der Piaristen in der Panská Straße. Diese Freundschaft hielt 75 Jahre. Weltsch wurde in Prag einer der wichtigsten Bibliothekare, aber er arbeitete auch als Journalist und Autor. Er gab über 20 Jahre die Wochenschrift „Selbstwehr“ heraus, bis er am 15. März 1939 mit dem letzten Zug aus Prag heraus kam, vorher war er schon von deutschen Soldaten und Gestapo-Leuten gesucht worden, weil er unter anderem kritische Texte über Hitlers Rassenpolitik gedruckt hatte.

Er war ein Mann des analytischen Denkens, ein Vordenker für viele politische Entscheidungsträger, ein Visionär, der mit Humor und dem Versuch einer „schöpferischen Mitte“ kreativ nach friedlichen Lösungen in der Welt suchte. Deshalb wurde Weltsch in der Magisterarbeit, aus der diese Biographie erwuchs, „Held des Geistes genannt“. Seine wichtigsten Werke sind noch in Antiquariaten vorhanden - sein philosophisches Buch Gnade und Freiheit schrieb er vor genau vor 90 Jahren. Es kommt vermutlich noch 2010 im Onomato Verlag Düsseldorf als Neudruck heraus.


 

Was hat Ihnen beim Schreiben der Biographie von Weltsch die größten Schwierigkeiten bereitet?

Die Schwierigkeiten sind, sich wie mit einer Machete durch den Dschungel zu kämpfen, auf der Suche nach etwas, wofür es fast keine Hinweisschilder gibt. Diese Probleme haben natürlich tausende andere Forscher genauso – glauben Sie nicht, es wäre bei etruskischen Vasen oder Max Brod viel leichter – aber es war bei Weltsch ein wenig so, als müsste man wie ein Wal tausende Liter Wasser filtern, um eine Hand voll Algen und Krill herauszufischen, wobei der Krill zudem leider nur Tschechisch versteht.

Am schwersten war vielleicht, Weltsch richtig einzuordnen, seine Bedeutung, denn er war wie Kafka sehr bescheiden und hätte sich wohl nie auf große Positionen beworben, auch wenn man ihn z. B. mehre Male zum Direktor und Vorsitzenden der Bibliotheken in Israel machen wollte. Dann helfen einem eben Urkunden, Preise und Funde, die seine Wirkung bestätigen. Seine Enkel wie Eli und Michael Gornstein, Neffen wie Prof. Chaim Adler und auch die Schwägerin Alice Herz Sommer haben da ebenfalls geholfen. Sie ist heute 106 Jahre alt.

 

 

Welche waren für Sie die wichtigsten Informationsquellen und wo befanden sie sich?

Drei kleine Worte vorweg: Kafka hilft nicht.

Man kann hunderte Kafka-Bücher durchforsten, es wird – leider – nicht viel heller im dunklen Raum. Man muss dahin, wo Weltsch gelebt, studiert und gewohnt hat. Manche kleine, eher bekannte Dinge liegen im DLA Marbach, manches auch in Schul- und Universitätsarchiven in Prag (Ovocný Straße und Dejvická Straße). Vor allem mit in der Dejvická beinahe zufällig entdeckten Inventarbänden namens Rad Piaristu konnte wesentlich mehr Licht in die Zeit der Piaristenschule gebracht werden, wo übrigens auch Rilke Schüler war.

Der Hauptteil der Quellen und Informationen stammt jedoch aus Jerusalem (JNUL), wo Weltsch bis zu seinem Tod 1964 über 20 Jahre Bibliothekar war und nahe seiner Arbeitsstätte viel selbst archiviert hat. Später hat seine Tochter Ruth (1920-1991) noch Einiges beigesteuert.


 

Was hat Sie bei der Arbeit über Weltsch am meisten überrascht und beeindruckt?

Beeindruckt haben mich die skeptische Distanz, die Weltsch zu fast allem halten konnte, und die Ehrlichkeit, mit der er relativ offen auch in Briefen über Peinlichkeiten geschrieben hat. Er hat in Essays und Artikeln Fakten präzise, beinahe chirurgisch zerpflückt, hatte aber auf der anderen Seite keine Angst, auch als doppelter Doktor (Dr. jur. et phil.) bei sich selbst banale Fehler zuzugeben. Leser erwartet eine – so das Ziel – spannende Reise mit Zoom-Technik ziemlich nah in die Artikel und Werke hinein und an den Charakter und die Persönlichkeit heran.

Und überraschend war zumindest der Gegenwind am Anfang. Einige haben 2005 noch geraten, doch lieber noch ein weiteres Buch über Kafka selbst zu schreiben. Manche meinten, Weltsch sei nicht interessant, und es solle auch lieber jemand anders über ihn schreiben als ausgerechnet ein unbekannter deutscher Student etc.

Hoffentlich kann dieses Buch zeigen, dass sich der Versuch gelohnt hat und viele, die sich z.B. für Prager Journalismus, für Philosophie, Zionismus und Kafka interessieren, hieraus viele Gedanken sowie exakt recherchierte, interessante Fakten erfahren. Es gibt ganz viele Türen. Sogar Menschen, die sich für Leoš Janáček begeistern, haben mir geschrieben, denn immerhin hat Brod ihm sehr geholfen und war wiederum 75 Jahre lang der engste Freund von Weltsch.


 

Welche Rolle spielte er im kulturellen und gesellschaftlichen Leben Prags?

Das ist eine komplexe Frage, deren Antwort lang ausfallen würde, aber ganz exakt in der Biographie beschrieben ist. Da es etwa über die „Selbstwehr“ fast nichts gibt, ist ihr ein extra Kapitel gewidmet, vor allem weil ja Weltsch knapp 20 Jahre ihr wichtigster Herausgeber war. Darin erkennt man schon viel. Er war ein bekannter Prager Autor, Herausgeber und Philosoph.

Die relativ kleinen deutschsprachigen Kreise, Cafés und Clubs wie die Lese- und Redehalle, Arco, Louvre, Fanta, Brentano-Kreise, Kasinos etc. waren den Freunden um Kafka nicht nur bekannt sondern natürlich auch gute Plattformen.

In der Biographie wird jedoch zudem dem Begriff der „Sprachinsel Prag“ ein bisschen der Zahn gezogen. Zugegeben, die Freunde um Kafka sahen sich religiös und sprachlich als Minderheit. Ihr eigener Zugang zum tschechischen Leben aber war viel leichter als oft beschrieben wird. Einige des Kafka-Kreises waren fast perfekt zweisprachig und lasen genauso tschechische Autoren und Zeitungen. Sie hatten Verwandtschaft und Kontakte überall hin, und – wie fast jeder schon weiß – verlegten sie ihre Bücher ja auch in Leipzig, Berlin, München oder Amsterdam. Außerdem sprachen und sprechen viele Tschechen, Slowaken und Ungarn ziemlich gut Deutsch.


 

Können Sie uns kurz erzählen, welche Bedeutung er für Franz Kafka hatte?

Diese Frage kommt wohltuend spät, denn man kann Weltsch auch wunderbar allein betrachten. Dennoch ist es ein sehr guter, für das Verständnis wichtiger Zufall, dass ausgerechnet Weltsch engster Freund zwischen Brod und dem heute so international berühmten Kafka war, aber eben fast vergessen, ja manche zählen Weltsch gar nicht zum engen Kafka-Kreis. Anhand alleine der Sätze dieses Interviews sieht man nun sehr leicht: Wen denn sonst? Tucholsky?

Die Arbeit Kafkas fast unbekannter Freund ist wissenschaftlich und kein spekulativer Roman, aber die Öffnung des Themas lässt jeden Leser verstehen, dass Kafka über zwanzig Jahre mit Felix Weltsch eng befreundet war, mit ihm gelacht hat, ihn nach schlechten Noten getröstet hat, er von Weltsch geträumt und sogar um seine Aufmerksamkeit gebuhlt hat wie ein Kind. Falls Ihnen diese Beispiele noch nicht reichen: Er nannte seine Freundschaft zu Weltsch um 1913 das „heilige Bündnis“. Er wollte viel Zeit mit ihm verbringen und schrieb – leicht nachzulesen in Kafkas Tagebüchern (10. Feb. 1914): „Felix will heiraten (mit ihm böse gewesen)“.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Schmidt, Carsten

Kafkas fast unbekannter Freund

Leben und Werk von Felix Weltsch. Philosoph, Journalist und Zionist

Verlag Königshausen u. Neumann, 2010

ISBN: 978-3-8260-4274-4

© Daniela Uherková, Erstveröffentlichung: www.franzkafka-soc.cz

mit freundlicher Genehmigung von D. Uherková, Franz Kafka-Gesellschaft Prag

Foto: Archiv Klaus Wagenbach 

Abb.: Pavel Schmidt, f.k., Stroemfeld Verlag, Frankfurt/Main 2006, S. 93  felix weltsch

 - mit freundlicher Genehmigung des Künstlers

 

 

 

 

 

  

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