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Zum 125. Geburtstag von Georg Trakl (1887 – 1914)


Winkel am Wald

An Karl Minnich

Braune Kastanien. Leise gleiten die alten Leute
In stilleren Abend; weich verwelken schöne Blätter.
Am Friedhof scherzt die Amsel mit dem toten Vetter,
Angelen gibt der blonde Lehrer das Geleite.

Des Todes reine Bilder schaun von Kirchenfenstern;
Doch wirkt ein blutiger Grund sehr trauervoll und düster.
Das Tor blieb heut verschlossen. Den Schlüssel hat der Küster.
Im Garten spricht die Schwester freundlich mit Gespenstern.

In alten Kellern reift der Wein ins Goldne, Klare.
Süß duften Äpfel. Freude glänzt nicht allzu ferne.
Den langen Abend hören Kinder Märchen gerne;
Auch zeigt sich sanftem Wahnsinn oft das Goldne, Wahre.

Das Blau fließt voll Reseden; in Zimmern Kerzenhelle.
Bescheiden ist ihre Stätte wohl bereitet.
Den Saum des Walds hinab ein einsam Schicksal gleitet;
Die Nacht erscheint, der Ruhe Engel, auf der Schwelle.

 

Die Sonne

Täglich kommt die gelbe Sonne uber den Hügel.
Schön ist der Wald, das dunkle Tier,
Der Mensch; Jäger oder Hirt.

Rötlich steigt im grünen Weiher der Fisch.
Unter dem runden Himmel
Fährt der Fischer leise im blauen Kahn.

Langsam reift die Traube, das Korn.
Wenn sich stille der Tag neigt,
Ist ein Gutes und Böses bereitet.

Wenn es Nacht wird,
Hebt der Wanderer leise die schweren Lider;
Sonne aus finsterer Schlucht bricht.

Abendland

Else Lasker-Schüler in Verehrung

1

Mond, als träte ein Totes
Aus blauer Höhle,
Und es fallen der Bluten
Viele über den Felsenpfad.
Silbern weint ein Krankes
Am Abendweiher,
Auf schwarzem Kahn
Hinüberstarben Liebende.

Oder es läuten die Schritte
Elis' durch den Hain
Den hyazinthenen
Wieder verhallend unter Eichen.
O des Knaben Gestalt
Geformt aus kristallenen Tränen,
Nächtigen Schatten.
Zackige Blitze erhellen die Schläfe
Die immerkühle,
Wenn am grünenden Hügel
Frühlingsgewitter ertönt.

2

So leise sind die grünen Wälder
Unsrer Heimat,
Die kristallene Woge
Hinsterbend an verfallner Mauer
Und wir haben im Schlaf geweint;
Wandern mit zögernden Schritten
An der dornigen Hecke hin Singende
im Abendsommer, In heiliger Ruh
Des fern verstrahlenden Weinbergs;
Schatten nun im kühlen Schoß
Der Nacht, trauernde Adler.
So leise schließt ein mondener Strahl
Die purpurnen Male der Schwermut.

 

3

Ihr großen Städte
Steinern aufgebaut
In der Ebene! So sprachlos folgt
Der Heimatlose
Mit dunbler Stirne dem Wind,
Kahlen Bäumen am Hügel.
Ihr weithin dämmernden Ströme!
Gewaltig ängstet
Schaurige Abendröte
Im Sturmgewölk.
Ihr sterbenden Völker!
Bleiche Woge
Zerschellend am Strande der Nacht,
Fallende Sterne.

 

 


 

 

Kaspar Hauser Lied

Für Bessie Loos

Er wahrlich liebte die Sonne, die purpurn den Hügel hinabstieg,
Die Wege des Walds, den singenden Schwarzvogel
Und die Freude des Grüns.

Ernsthaft war sein Wohnen im Schatten des Baums
Und rein sein Antlitz.
Gott sprach eine sanfte Flamme zu seinem Herzen:
O Mensch!

Stille fand sein Schritt die Stadt am Abend;
Die dunkle Klage seines Munds:
Ich will ein Reiter werden.

Ihm aber folgte Busch und Tier,
Haus und Dämmergarten weißer Menschen
Und sein Mörder suchte nach ihm.

Frühling und Sommer und schön der Herbst
Des Gerechten, sein leiser Schritt
An den dunklen Zimmern Träumender hin.
Nachts blieb er mit seinem Stern allein;

Sah, daß Schnee fiel in kahles Gezweig
Und im dämmernden Hausflur den Schatten des Mörders.

Silbern sank des Ungebornen Haupt hin.


 

Georg Trakl, *3. Februar 1887 in Salzburg geboren. Während seines Pharmaziestudiums in Wien begann er Gedichte zu publizieren und schloss 1910 die akademische Ausbildung ab; anschließend lebte er in Innsbruck. Im 1. Weltkrieg diente Trakl als Sanitätsfähnrich. Am 3. November 1914 starb er im Lazarett von Krakau an einer Überdosis Kokain. Er gilt neben Gottfried Benn (1886-1956) und Georg Heym (1887-1912) als der bedeutendste österreichische Dichter der literarischen Epoche des Expressionismus.

 

Als Taschenbuchausgabe ist das dichterische Werk ab 1972 bei dtv (dtv 6001 bzw. 12496) erschienen. (in der Textfassung und Anordnung der historisch-kritischen Ausgabe von Killy/Szklenar, zu ausgewählten Gedichten den kritischen Apparat und eine Zeittafel. Briefe hier nicht enthalten).

 

 

 

Sämtliche Werke und Briefwechsel. Innsbrucker Ausgabe, historisch-kritische Ausgabe mit Faksimiles der handschriftlichen Texte Trakls, hrsg. von Eberhard Sauermann und Hermann Zwerschina, 6 Bände und 2 Supplementbände (Reprints der Erstausgaben von 1913 und 1915), Stroemfeld Verlag, Basel-Frankfurt/M.

 

Musik: Victor Ullmann, Terezín 1940 – 44, Romantic Robot 1991 



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