Kaspar Hauser Lied
Für Bessie Loos
Er wahrlich liebte die Sonne, die purpurn den Hügel hinabstieg,
Die Wege des Walds, den singenden Schwarzvogel
Und die Freude des Grüns.
Ernsthaft war sein Wohnen im Schatten des Baums
Und rein sein Antlitz.
Gott sprach eine sanfte Flamme zu seinem Herzen:
O Mensch!
Stille fand sein Schritt die Stadt am Abend;
Die dunkle Klage seines Munds:
Ich will ein Reiter werden.
Ihm aber folgte Busch und Tier,
Haus und Dämmergarten weißer Menschen
Und sein Mörder suchte nach ihm.
Frühling und Sommer und schön der Herbst
Des Gerechten, sein leiser Schritt
An den dunklen Zimmern Träumender hin.
Nachts blieb er mit seinem Stern allein;
Sah, daß Schnee fiel in kahles Gezweig
Und im dämmernden Hausflur den Schatten des Mörders.
Silbern sank des Ungebornen Haupt hin.
Georg Trakl, *3. Februar 1887 in Salzburg geboren. Während seines Pharmaziestudiums in Wien begann er Gedichte zu publizieren und schloss 1910 die akademische Ausbildung ab; anschließend lebte er in Innsbruck. Im 1. Weltkrieg diente Trakl als Sanitätsfähnrich. Am 3. November 1914 starb er im Lazarett von Krakau an einer Überdosis Kokain. Er gilt neben Gottfried Benn (1886-1956) und Georg Heym (1887-1912) als der bedeutendste österreichische Dichter der literarischen Epoche des Expressionismus.
Als Taschenbuchausgabe ist das dichterische Werk ab 1972 bei dtv (dtv 6001 bzw. 12496) erschienen. (in der Textfassung und Anordnung der historisch-kritischen Ausgabe von Killy/Szklenar, zu ausgewählten Gedichten den kritischen Apparat und eine Zeittafel. Briefe hier nicht enthalten).