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Josef Čapek: Gedichte aus dem KZ

von Volker Strebel

 

 

Die erstmals in deutscher Übersetzung vorgelegten Gedichte aus dem KZ von Josef Čapek (1887˗1945) würdigen zugleich eine beeindruckende tschechische Künstlerbiographie

  


Josef Čapek: Gedichte aus dem KZ
Hg. Urs Heftrich und Jirí Opelík
Aus dem Tschechischen von Urs Heftrich
190 S., geb., Arco Verlag, Wuppertal 2015
26,00 €; ISBN-13: 9783938375594

 








 


Die versammelten „Gedichte aus dem KZ“ von Josef Čapek sind Dokumente existentieller Bedrückung in einem entmenschten Umfeld. Am 1. September 1939 wurde er von der Gestapo verhaftet und nacheinander in verschiedene Konzentrationslager verbracht. Brutaler konnte dieser Vorgang nicht sein, zu radikal war der Wechsel von einer angesehenen Existenz in die totale Rechtlosigkeit und Willkür. 

 

   

Porträt, galerieart.cz

 

Selbstporträt, 1920 (Erben)


Josef Čapek war in seiner tschechischen Heimat erfolgreich und eine bekannte Persönlichkeit; Autor von vielbeachteter Prosa, von Essays und Kinderbüchern, hatte sich als Maler und Zeichner etabliert und war Mitglied sowie Mitbegründer verschiedener bedeutender tschechischer Künstlergruppen. Sein jüngerer Bruder Karel Čapek hatte sich als Autor bedeutender Romane hervorgetan; seine publizierten Gespräche mit dem tschechoslowakischen Präsidenten Tomáš G. Masaryk waren nicht zuletzt Ausdruck einer demokratischen Gesinnung, geprägt von mitteleuropäischer Tradition und bürgerlicher Freiheit.
 

 

   

 Karel und Josef Čapek 

 

 Karel und Josef Čapek mit Radio


Die Brüder Čapek verkörperten die kulturelle Lebensfreude der ersten Tschechoslowakischen Republik. Beide verabscheuten demagogische Menschenversuche zugunsten totalitärer Erlösungsutopien, deren Vorboten sich in kommunistischer Militanz und nationalsozialistischer Aggressivität ankündigten. Während Karel Čapek am 25. Dezember 1938 sozusagen ‚rechtzeitig‘ verstorben war, hat Josef Čapek die Besetzung der tschechoslowakischen Republik durch die deutsche Wehrmacht erleben müssen. Es dauerte nicht lange, bis er den neuen Machthabern im Wege stand, zumal es keinerlei Anzeichen gab, dass Čapek seine demokratische Gesinnung verleugnen würde. Das Exil war für den Autor nicht infrage gekommen, und so hatte er einen Leidensweg anzutreten, der sich über fünf Jahre hinziehen sollte. Seine Spur verliert sich endgültig im April 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen.


In der Haft machte sich die sogenannte Schutzstaffel Čapeks künstlerische Fähigkeiten zunutze. Abgeschieden vom restlichen Lagerbetrieb wurde er mit einigen wenigen Häftlingen als Spezialist eingesetzt. Čapek musste für die SS unter anderem kitschige Gemälde anfertigen, wusste diese Situation jedoch zu nutzen, indem er unter Lebensgefahr seine Gedichte verfasste. Im vorliegenden, erstmals in deutscher Sprache erschienenen Band erweist sich, dass Čapek seine Verse als eine Art Gegenwehr verfasste, um mit dieser extremen Situation zurechtzukommen. Seine Gedichte aus dem KZ sind Anklage, Ausdruck der Erschütterung und wagemutig zugleich.

Die meisten sind naturgemäß von Eindrücken des Alltags im KZ geprägt. Die Trostlosigkeit und die Sehnsucht nach einem normalen Leben gehören zu den ständigen Begleitern eines jeden Häftlings. Zum anderen sind die Tage durchsetzt von der Brutalität der Schläge, dem Hunger, den Hinrichtungen und der Entwürdigung sogar des Todes. Achtlos werden die Leichen der Verstorbenen auf Handkarren gezerrt und in Schichten aufeinander gestapelt.


Die Diskussion über die Anmerkung Theodor W. Adornos, dass man nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben könne, drängt sich ebenso auf wie Bertolt Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“, in dem davon die Rede ist, dass unter bestimmten Umständen ein Gespräch über Bäume fast zum Verbrechen gerät, da es sich über das herrschende Unrecht ausschweigt. In diesen Kontext kann man Čapeks Vierzeiler „Heimchen“ einordnen, in dem sich in besonderer Weise die Qualität der kongenialen Übersetzungskunst von Urs Heftricht erweist:

 

Hör auf mit deinem Lied, du Heimchen, stelle

es ab, was willst du hier mit deiner Schelle?

Behaglichkeit und Frieden lügt dein Gassenhauer

wo stumme Seufzer eingesperrt sind hinter Mauern.

 

In anderen Gedichten wie beispielsweise „Zur Frühlingszeit“, „Wolken“ oder „Zu einem Gedicht Rilkes“ wird in bewegender Weise einer tiefen Sehnsucht nach Menschlichkeit Ausdruck verliehen. 

 

       

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Fantomás im Kino


Der vorliegende Band besticht durch seine sorgfältige Aufbereitung. Neben den Gedichten und einem behutsamen Anmerkungsapparat haben Josef Čapeks Mithäftling Josef Dobeš sowie der Mitherausgeber Jiří Opelík aufhellende Berichte beigesteuert. Zusätzlich finden sich zum Teil farbige Abdrucke von Gemälden und Karikaturen Čapeks sowie einige Fotos aus dem Leben der Čapek-Brüder. Eine besondere Note gewinnt diese Ausgabe durch die Gegenüberstellung des Reprints der handschriftlichen Niederschriften der Gedichte Čapeks mit den Übersetzungen durch Urs Heftrich. Eine bibliographisch ansprechende Gestaltung und die liebevolle Komposition dieser Ausgabe bilden zugleich eine demonstrative Geste der Wertschätzung der menschlichen und künstlerischen Biographie Josef Čapeks.

 


 



© Volker Strebel; Erstveröffentlichung: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=21590; Fotos: vorliegendes Buch, Josef Čapeks Werkverzeichnis

 

 

Weitere Texte von Volker Strebel
Noch einmal Vaculik; Günter Kunert; Daniil Granin, RomanArbeitslager Workuta, Emil Hakl, Literatur-slowakisch, Ahoj und guteReise, Vaclav Havel 


06II16


 



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