Ein Film ist so etwas wie eine Wallfahrts-Attraktion
Daniela Capcarová im Gespräch mit Juraj Jakubisko
Herr Jakubisko, vor ein paar Tagen haben Sie vom Bürgermeister Richard Raši die Ehrenplakette der Stadt Košice bekommen. Welchen Wert hat diese Ehrung für Sie – bei all den Auszeichnungen, den internationalen Preisen, die Sie für Ihre Filme bisher erhalten haben?
Ich hoffe, dass das Wort Plakette nicht vom Wort „plakať “ (auf Deutsch: weinen) kommt. Es gibt Dinge, die für einen Menschen wie mich immer einen besonderen Wert haben. Ich weiß, wie einzigartig es ist, einen Preis in der eigenen Heimat zu erhalten. In meiner Produktionsstätte im Lucerna-Komplex in Prag thronen auf einem Regal viele Filmpreise, heimische und auch internationale – aber einen besonderen Wert hat für mich eine kleine Urkunde mit einer Schneeflocke darauf. Und ich deute mit dem Finger auf sie und sage: Alle anderen Ehrungen und Auszeichnungen kann ich noch erwerben – dieses kleine Zertifikat aber nicht. Ich schätze es besonders, weil dort steht: Preis für den ersten Platz im Zehn-Kilometer-Skilanglauf an Juraj Jakubisko. Ähnliche, wie die bereits schon einmal ausgezeichneten, Filme könnte ich vielleicht noch einmal drehen, den Zehn-Kilometer-Skilanglauf definitiv leider nicht mehr.
Die Plakette ist für mich so bewegend, weil sie aus meiner Heimat kommt. Es fühlt sich an, als würden mich Mutter oder Vater loben.
Jetzt gerade befinden wir uns in einem Kino. Wann waren Sie persönlich zuletzt im Kino – einfach als Zuschauer Juraj Jakubisko? Und gab es einen Film, der sie besonders gefesselt hat?
Ja, in Prag gehe ich hin und wieder ins Kino. Ein Regisseur muss schließlich Schritt halten mit dem, was momentan im Westen so läuft. Ich muss gestehen, dass ich mir selten tschechische Filme ansehe, weil es oft nur ein Abklatsch ist, um den sich tschechischen Regisseure bemühen. Es gibt zurzeit viele junge Filmemacher, die die Theorie des Autorenfilms hochhalten. Zunächst begannen sie zu experimentieren, obwohl die Filmsprache längst etabliert ist – da gibt es nichts zu experimentieren. Sie machen also Stories, die ich jedoch alle schon mal gesehen habe. Wenn sie aus der Geschichte gelernt und die Geschichte des Films ein bisschen verfolgt hätten, würden sie die Thematik auf viel höherem Niveau bearbeiten. Ich wähle die Filme, die ich mir im Kino ansehen will, sorgfältig aus – ich schaue mir neue Filme an, die neue Technologien verwenden und neue Ansichten zeigen, damit ich selber nicht in der Vergangenheit stecken bleibe mit meinem Filmemachen. Denn ich mache doch Filme, die international sind – meistens Koproduktionen. An meinem nächsten Film sind sechs Länder beteiligt. Ich muss ein bisschen eine Vogelperspektive haben, deshalb gehe ich ins Kino. Ich bin froh, dass nicht alle Filme durch die Projektion geschändet werden, sie werden also nicht auf kleinen Leinwänden und in schlechter Tonqualität gezeigt, wie vorher häufig. Ein Film muss doch einen gewissen Ausdruck haben, er soll Emotionen vermitteln.
Was sagen Sie dazu, dass es in Košice kein Programmkino gibt?
Das wundert mich sehr. Ob es in einer Stadt ein Programmkino gibt, hängt vom Interesse der Zuschauer ab. Heutzutage ist Business wichtig, und alles richtet sich mehr oder weniger danach. Was Geld bringt, kommt an und was nicht, das eben nicht. In Amerika verdienen die Kinos vor allem mit Werbung, es kommen nicht einmal viele Leute. Es gibt ein gängiges System, die Menschen leben auf ihren Ranches und in der Stadt und haben nicht immer Lust, ins Kino zu gehen.
Wenn Sie die Kinos bei uns in Osteuropa nehmen: eine Kinokarte kostet heutzutage mindestens vier Euro und wenn die ganze Familie ins Kino geht, dann kostet es sechzehn Euro; dann kaufen sich die Kinder und Eltern Popcorn und Getränke natürlich, so kommt man leicht auf fünfundzwanzig Euro pro Kinobesuch (das monatliche Durchschnittsgehalt in der Slowakei liegt bei unter siebenhundert Euro – Anmerkung der Redaktion); dann müssen sie irgendwie noch in die Stadt kommen – per Taxi oder Straßenbahn – und wieder zurückfahren. Deshalb ist in den USA im Moment die Projektion durch DVD oder andere Filmmedien sehr populär. Man kann an der Tankstelle eine DVD des Films kaufen, für den gerade im Fernsehen geworben wird, im US-amerikanischen Fernsehen wird nur ein Bruchteil der beworbenen Filme gezeigt. Auf keinem US-Fernsehkanal gibt es so viele Filme wie bei uns auf öffentlich-rechtlichen und privaten Kanälen. Amerikaner kaufen sich für dreizehn Euro eine DVD, den Film sieht die ganze Familie bequem zu Hause. Man kann ihn zurückspulen, wenn man etwas nicht versteht, die DVD hat man für immer. In den Staaten gibt es ein großes Interesse an Heimkino, und mit dem DVD-Verkauf macht man große Umsätze, was bei uns nicht der Fall ist. Wenn diese Entwicklung jedoch zu uns kommt, dann sind die Kinos wirklich am Boden und werden nur noch von wenigen Liebhabern besucht. Das betrifft natürlich nicht die Filmproduktion, denn ein Film muss immer von irgendjemandem produziert werden.
Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere am Kino?
Kino hat einen besonderen Zauber – wenn wir zum Beispiel im vollen Kinosaal sitzen und die Leute beginnen wegen irgendetwas im Film zu lachen, wird auch der, der den Witz nicht verstanden hat, die Ohren spitzen und verstehen, dass es sich um Ironie handelt. Dieses gemeinsame Erleben macht den Zuschauer klüger und belehrt ihn. Wenn er den Film alleine zu Hause sieht, wird er manchen Humor gar nicht verstehen. Es existiert auch eine gewisse magische Kraft, wenn wir zusammen sind und von etwas erschreckt werden – dieser Schrecken geht von einem Zuschauer auf den anderen. Wenn es im Kino lustig wird, geht wiederum auch die Fröhlichkeit von einem zum anderen. Das gemeinsame Anschauen ist sehr gut für die Seele. Ich hatte mal eine Idee, unter den Zuschauersesseln Elektroden zu installieren, die sich durch die Bewegung der Zuschauer auf ihren Sesseln aufladen würden und damit Energie produziert werden könnte – die Projektion wäre fast kostenlos, weil die Projektionsgeräte eben von den Elektroden angetrieben würden.
Sie haben mal gesagt, dass sie sich bei all der Popularität nicht ganz wohl in Ihrer Haut fühlen. Haben Sie sich allmählich an Ihre Berühmtheit gewöhnt?
Wie Sie sehen, versuche ich, jeden offiziellen Vortrag oder eine Rede leichter zu machen und eher in Spaß zu verwandeln. Ich denke, dass es im Leben nicht um ein Immer-Mehr gehen sollte. Als ich mit meinem Vater ins Kino ging, fand er, dass es in den Filmen immer von allem zu viel gab. Handelte es ich beispielsweise um ein Drama und es wurde viel geschossen, sagte er: Juraj, es war ein guter Film, aber es wurde einfach zu viel geschossen. Wenn Dialoge und Konversation den Film ausmachten, sagte mein Vater: Er war gut, aber es wurde zu viel gesprochen, war es ein Musical, sagte er: Kein schlechter Film, aber es wurde zu viel gesungen. Einmal schleppte ich ihn in einen Film, der komplett in Afrika spielte und er sagte: Juraj, das war vielleicht der beste Film, er hat mir sehr gut gefallen, aber es waren zu viele Schwarze. Ich erwiderte, es sei ein afrikanischer Film, die Schauspieler dementsprechend eben Schwarze (lacht). Mein Vater entgegnete: Weißt Du, in einem Film muss es zugehen wie im Leben, es muss alles von allem geben. Auch im Leben gibt es nicht nur Weiß oder Schwarz. Gefühle überschneiden sich, einmal ist man traurig und dann plötzlich spürt man Überraschung, Neugier oder sogar Freude. Das Leben ist voll von Entdeckungen, es ist eine Reise, und es ist schön, dass wir an ihm hängen. Wenn wir geboren werden und so bis etwa Vierzig leben, sagen wir uns immer: Das Leben dauert ewig, es wird sicherlich noch ein Elixier für die ewige Jugend erfunden werden, und die schönen Momente schätzen wir nicht besonders. Ich bin jetzt schon ein bisschen älter, ich habe schon viele Freunde verloren, ich gehe also zu den Freunden, gebe ihnen die Hand und schaue ihnen in die Augen, weil ich viele vernachlässigt habe und diese vernachlässigte Zeit nicht mehr zurückdrehen kann. Deshalb mache ich auch meine Filme so, dass sie den Menschen die Angst vor dem Tod nehmen können. Film sollte den Tod als eine Station des Kreislaufs des Lebens darstellen. Ein Film ist so etwas wie eine Wallfahrts-Attraktion – er muss den Zuschauer in Erstaunen versetzen. Das gilt natürlich nicht nur für den Film, sondern für alle künstlerischen Genres.
Gleicht ihr Lebensgefühl dem Mantra: Glücklich und zufrieden?
Ich wurde mal gefragt, was ich von Beruf wäre, wenn ich noch einmal geboren würde und entscheiden könnte. Ich dachte einen Moment nach, ob ich nicht doch lieber Bankier werden sollte, der sorgt sich nicht ums Geld. Dann sagte ich mir: Sollte mich ein solches Leben wie mein jetziges erwarten, würde ich wieder Regisseur werden wollen, auch wenn es verdammt schwer ist – vor allem jetzt, weil es sehr schwer ist, sich durchzusetzen und die anderen zu überholen. Es gibt jede Menge großer Regisseure, und es gibt sehr viele Regisseure. Gegen solche Konkurrenz setzt man sich nur schwer durch, trotzdem würde ich gerne an diesem Rennen teilnehmen. Wenn sie in ihrem ästhetischen Anliegen gewinnen, entweder, weil sie die Zuschauer wie ein Magnet ins Kino ziehen, oder sie im Gegenteil aus dem Kino treiben – auf so einem Feld Gewinner zu sein, ist eine wunderschöne und abenteuerliche Sache gleichzeitig. Genauso sollte das Leben sein, weil auf dem abenteuerlichen Weg namens Leben von allem zu haben gerade gut genug ist.
Sie gewinnen die Preise nicht nur in der Slowakei, sondern auch in Deutschland. Das Festival der osteuropäischen Filme goEast in Wiesbaden hat Ihnen vor ein paar Jahren einen Schwerpunkt, eine Retrospektive Ihres Schaffens, gewidmet. Die Filmkunst wird in deutschsprachigen Ländern qualitativ besser, geht mehr in die Tiefe, als es vielleicht noch vor dreißig Jahren der Fall war. In der Slowakei ist der Trend umgekehrt, die guten alten Regisseure sind schwer zu schlagen von den neuen Filmemachern. Worin sehen Sie die Gründe?
Ein Grund steckt meiner Meinung nach in der Oberflächlichkeit unserer Zeit. Uns wurden während des Sozialismus manche politische Themen verboten, wir mussten nachdenken, wie wir die Zensur umgehen, wie wir das Thema in den Film in Form von Allegorien bringen könnten. Es war ein großes Paradoxon – wir wurden von den Kommunisten bezahlt und mussten einen Film gegen sie drehen. Es war eine schwierige Aufgabe, wir mussten viel mehr darüber nachdenken, wie wir unsere Botschaft quasi zwischen den Zeilen unter die Leute bringen konnten. Jetzt staunen die jungen Filmemacher schon über das Gefühl, eine Kamera in der Hand zu halten, und wenn sich dann noch Menschen darin bewegen, ist es schon umwerfend. Die Produzenten bevorzugen heutzutage eher billigere Filmproduktionen und graben damit ihr eigenes Grab. Man macht billigere Filme, die gar nicht im Stande sind, im Zuschauer etwas zu bewegen. Wissen Sie, auf der Leinwand, auf der vor ein paar Minuten ein amerikanischer Großfilm gezeigt wurde, können Sie nicht einen Dokumentarfilm zeigen und sich darauf freuen, dass viele Zuschauer ins Kino kommen. Es gibt ein paar Fans, ein paar Freunde, aber so funktioniert es nicht. Ich mag Dokumentarfilme, ich werde sie aber doch nicht auf dieser großen Leinwand verfolgen. Ich schaue mir solche Filme lieber im Fernsehen an, dort stört es mich nicht, wenn der Dokumentarfilm drei oder vier Stunden dauert. Hier, im Kino, heißt das Motto, von dem ich sprach: „Fülle mich mit Erstaunen“, ungeheuerlich! Sie kaufen sich Popcorn, setzen sich hin und wollen auf andere Gedanken kommen, aus der Leinwand muss etwas zu Ihnen hinüber strahlen, was Ihr Herz berühren wird.
Hängt die Oberflächlichkeit mancher Produktionen also mit der geringen Motivation junger Filmmacher zusammen, mit Film etwas in der Gesellschaft bewegen zu wollen?
Das Bemühen, einen Film zu machen, reicht nicht aus, auch die Genres sind nicht wichtig. Im Film kennen wir nur zwei Lager – einen guten oder einen schlechten Film. Ein guter Film ist schwer vorhersehbar, weil jeder Regisseur, der gerade einen Film dreht, sofort daran denkt, dass der Film mindestens zehn Oscars gewinnen wird. Dann stellt er fest, dass es ein Film war, den niemand im Kino sehen wollte. Man muss auch Glück haben, damit man einen Einklang mit dem Publikum findet. Es hat keinen Sinn etwas durchzusetzen, was der Zuschauer nicht annehmen oder was er nicht verstehen kann. Man kann auch nicht sagen: die Zuschauer sind dumm, ich bin intelligent. Wir müssen glauben, dass es ein Talent gibt. Es ist schwer zu beschreiben, was das ist – es ist einfach etwas, was vermutlich von Gott gegeben ist. Ein Quäntchen Glück ist dabei: manchmal kann auch ein Dummer ein Tor schießen, der nicht einmal weiß, wie er zum Ball gekommen ist. Man muss sich auch auf sein Glück verlassen können, man muss wissen, was die Zuschauer wollen – das Gewollte allerdings auf besondere Weise verarbeiten. Auch in der Slowakei wird sich etwas nach vorne bewegen müssen. Ich, zum Beispiel, habe die aktuellen slowakischen Serien satt, wenn ich sie im Fernsehen sehe. Die Leute werden irgendwann auch einen gewissen Typus von Film satthaben – es wird auch bei uns die Zeit kommen, wo Filmemacher ein bisschen tiefer in die Materie gehen werden müssen. Auch Schießen wird lächerlich, wenn man jede Minute schießen muss. Auch digitale Tricks werden irgendwann langweilig. Das Wichtigste überhaupt ist, die Herzen zu erreichen und einen Einklang mit dem Zuschauer herzustellen. Auch wenn Sie einen alten Film sehen, können Sie sich als Zuschauer identifizieren. Jetzt haben wir Helden, die immerzu schießen und sie sind Ihnen unsympathisch. Man kann mit denen im Film nicht leben – und man kann somit den Film auch nicht erleben.
Ihr nächster Film Slawische Odyssee wird also gut?!
Wissen Sie, wir machen jeden Film in der Überzeugung, dass er besser wird als sein Vorgänger. Natürlich wollen wir uns weiterentwickeln. Der jetzige Film beginnt zuerst ein bisschen wie eine Weltraum-Odyssee. Es ist zwar ein historischer Film, sein Beginn liegt aber fünfhundert Jahre in der Zukunft. Eine Crew kehrt auf die Erde zurück, die verbrannt ist, weil die Menschen versucht hatten, eine künstliche Sonne zu erschaffen. Die Crew findet heraus, dass irgendwo in Mitteleuropa Gras keimt. Sie nimmt Proben und plötzlich lässt unter ihr der Boden nach. Die Crewmitglieder fallen in sehr merkwürdige Räume, in denen sich ein Christus-Kopf in Form eines Mosaiks befindet. Sie stellen fest, dass sie sich im 9. Jahrhundert befinden und im Freilichtmuseum der Slawen gelandet sind. Das Freilichtmuseum wird mit seinen Projektionen zunächst eine nur virtuelle, später dann wirkliche Realität. Man kann heutzutage keinen rein historischen Film über Geschichte machen. Auch ich muss, in diesem unserem Zeitalter, einem Film eine anrührende Verkleidung geben. Diese müssen sie nicht nur in wirkliches Leben, sondern auch in einen historischen Film transferieren. Außerdem müssen sie den Film so machen, dass er keinem anderen vorherigen Film ähnelt. Sie müssen zum Beispiel die Typologie der Nationen kennen – wie waren die Slawen, wie waren die Russen. Die Ruthenen beispielsweise bekamen ihren Namen von der Farbe Rot – weil sie rothaarig waren. Sie müssen nachdenken, wie ein Slawe früher ausgesehen haben mag. Als wir Kinder waren, wussten wir, wie ein Finne, ein Schwede oder ein Spanier aussieht, wenn aber jemand fragte: Wie sieht denn ein Slowake aus, dann hatten wir darauf keine Antwort. In dem neuen Film hat es Probleme mit den Kostümen gegeben, denn die sind ebenfalls nicht erhalten geblieben. Bei der Typologie darf ich mich nicht irren. Von den Heiden-Liedern und -Bräuchen ist nämlich nichts geblieben. Die Slawen hatten im Vergleich zu den Germanen eine weichere Sprache, sie hatten auch größere Phantasie, ich musste mir also auch die Kostüme ausdenken
Sind Sie Ruthene? Im Film haben Sie griechisch-katholische Motive benutzt.
Ruthenen, das ist so ein Oberbegriff. Sie sind im Allgemeinen entweder griechisch-katholisch oder russisch-orthodox. Beide Kirchen haben dieselbe altslawische Liturgie – die von Kyrill (Konstantin) und Method, die auf dem Gebiet Großmährens, also der Westslowakei, die altslawische Schrift Glagoliza schufen, die die Grundlage der Altkirchensprache aller osteuropäischen orthodoxen Kirchen bildet. Während seiner Amtszeit bestand Stalin auf dem russisch-orthodoxen Glauben und verbot den griechisch-katholischen. Auch in den verbündeten Staaten bevorzugte er den russisch-orthodoxen Glauben – damit wollte er mithilfe der Sprache und des Glauben in die damalige Slowakei eindringen. Wenn alle Russisch gesprochen hätten und dem russisch-orthodoxen Glauben gefolgt wären, hätte man die Podkarpatská Rus und die Slowakei Russland einverleiben können. Deshalb kam es innerhalb der Gläubigen, die die Messen nach altslawischem Ritus zelebrierten, zu Spaltung und großem Hass. Ich erinnere mich an die Zeit des Verbots der griechisch-katholischen Kirche, da machte man schreckliche Sachen in den Fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Man steckte die griechisch-katholischen Priester ins Gefängnis, und auch hier in Košice begannen wir aus Protest, in den katholischen Dom zu gehen. In meinem Geburtsdorf Kojšov war die griechisch-katholische Kirche erstmals leer – ohne einen Priester. Später setzte der Staat einen russisch-orthodoxen Popen ein, aber die Leute besuchten seine Messe nicht. Die griechisch-katholischen Gläubigen ließen sich den russisch-orthodoxen Glauben nicht aufzwingen. Alle gingen auf den Friedhof, wo sie ein Hauptgrab mit goldener Alufolie markierten – das diente ihnen als Altar – und dort wurden ihre Messen zelebriert, bei Wind und Wetter. Vom Friedhof aus klang immer dieser wunderschöne, fromme Gesang bis in die Ferne.
Hatte der griechisch-katholische Glaube Einfluss auf Ihr Schaffen?
Ich kam aus diesem Glauben. Ich muss allerdings sagen, dass das Altslawische mir genauso fern war wie das Lateinische bei der katholischen Messe (bis in die 1960er Jahren zelebrierte man in der Slowakei die katholischen Messen auf Latein). Das Altslawische hat sich über die Jahrhunderte vom Slowakischen ziemlich entfernt, ich habe nur wenige Sätze der altslawischen Messe verstanden. Das Altslawische wie das Lateinische hat während der Messe jedoch Phantasien in mir evoziert. Ich sah die frommen Gemälden, die Ikonen – und versuchte für das, was ich in der Kirche gehört hatte, Geschichten zu erfinden. Gerade dort entwickelte ich meine Phantasie, die ich später beim Bildaufbau meiner Filme nutzte. Die altslawische Sprache, die durch die ganze Kirche klang, war so weich, kurz und wunderschön, deshalb gefiel mir eigentlich das Altslawische mehr als das Lateinische. Während der Messe hatte ich kein Sitzfleisch, sie schien mir manchmal endlos lang, natürlich hatte sie seitens meines Vaters einen Erziehungseffekt. Wenn ich allzu nervös wurde, nicht mehr ruhig sitzen konnte und an etwas Anderes dachte, wurde ich von ihm immer schnell in die Schranken verwiesen. Ich denke, dass dieser Glauben bei mir einen gewissen Barockismus hinterlassen hat. Sowohl der griechisch-katholische als auch der russisch-orthodoxe Glaube sind wunderbar barock.
Was war denn Ihre Muttersprache?
Trotz meiner Religionszugehörigkeit war es nicht Ruthenisch. Es war die Sprache, die dem Šarišer Dialekt ähnelt. Wir hatten in unserer Sprache sowohl ruthenische als auch deutsche Elemente bzw. Wörter. Wir lebten in der Nähe von Gelnica (Gollnitz), wo auch Deutsche gelebt haben. Meine Muttersprache war also eine Mischung. Wenn wir zum Beispiel das von Kojšov nicht allzu entfernte Košice betrachten, das war ja ursprünglich eine ungarische Stadt. In meiner Jugend haben viele Ladenbesitzer und Händler Ungarisch gesprochen, man konnte sich nicht immer verstehen, wenn man kein Ungarisch sprach – man musste sich in den Läden oft mit Händen und Füßen verständigen.
In Ihren Filmen, vor allem in Ihrer Kameraarbeit, sieht man, dass sie neben der qualitativ sehr guten Filmhochschule in Prag noch eine andere künstlerische Ausbildung haben. Vor kurzem haben Sie in Košice eine Ausstellung mit Ihrer Grafik eröffnet. Was befriedigt Sie mehr: die Film-Kunst oder die Bildende Kunst?
Die Bildende Kunst ist für mich großartige Entspannung. Ich setze mich ins Atelier, lege gute klassische Musik auf und male. Ich muss allerdings gestehen, dass ich, wenn ich die Leinwand vor mir habe und arbeite, oft den Gedanken vergesse, den ich auf dem Bild darstellen wollte. Ich male dann etwas ganz Anderes, als würde mein Unterbewusstsein das ursprüngliche Vorhaben verdrängen wollen. Dann bemühe ich mich, das Vorhaben zretten – so ist der Effekt am Ende auch für mich häufig sehr überraschend.
Die Begleiterscheinungen beim Filmemachen sind disproportional viel größerer Stress. Aber ein Leben ohne Filmemachen wäre für mich nicht gerade das Gelbe von Ei.
Herr Jakubisko, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.
Der Regisseur, Drehbuchautor, Kameramann und Bildende Künstler Juraj Jakubisko feierte am 30. April 2013 seinen 75. Geburtstag. Viele slowakische Filmkritiker halten ihn für den slowakischen Fellini. Ein Jahr nach seiner Herztransplantation ist Jakubisko wieder ein viel beschäftigter Mann. Neben seinen Memoiren Živé striebro (deutsch: Quecksilber), die er gerade vollendet, dreht er einen historischen Film Slovanská odysea (Slawische Odyssee). Drei Jakubiskos Filme: Zbehovia a pútnici (Deserteure und Pilger), Vtáčkovia, siroty a blázni (Vögel, Waisen und Narren) und Dovidenia v pekle priatelia (Auf Wiedersehen in der Hölle, Freunde) waren zuzeiten des Sozialismus verboten und landeten im Giftschrank. Der Regisseur konnte nur als Dokumentarfilmer arbeiten. Anfang der 1980er Jahre kam er jedoch zum Spielfilm zurück mit der Saga Tisícročná včela (Die tausendjährige Biene), die als Höhepunkt seines Schaffens gilt. Laut Filmkritik kann er auf besonders subtile Weise Details und Szenen montieren und schafft dadurch ungewöhnliche neue Film-und Kamerabilder. Seit 1993 lebt der gebürtige Slowake in Prag. Sein bisher letztes vollendetes Werk war der historische Großfilm Bathory aus dem Jahr 2008. Das deutsche TV-Publikum kennt ihn als Regisseur des Filmmärchens Frau Holle (Perinbaba) und der Mini-Serie Frankensteins Tante (Frankensteinova teta). Der 75-jährige Filmemacher erhielt mehrere slowakische, tschechische und internationale Preise. Jakubisko wurde zu einer der vier wichtigsten Persönlichkeiten der Kulturhauptstadt Košice 2013 gewählt. Er stammt aus dem ostslowakischen Dorf Kojšov, das zur Košicer Kreisverwaltung gehört.
© Fotos der Ausstellungseröffnung: Pressestelle Kulturamt der Europäischen Kulturhauptstadt Košice
© Bilder: Juraj Jakubisko
22V2013