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In der Orthodoxen Synagoge von Košice


 

Mit dem Maler Viktor Šefčík in der Synagoge
in der Zvonárska

 












von Katja Schickel


Gespannt warte ich auf den Künstler Viktor Šefčík (gesprochen: Scheftschik). Er hat den Schlüssel zur Orthodoxen Synagoge, die in der leicht geschwungenen Zvonárska, früher Glockengasse, gleich gegenüber von der Smelly Cat liegt, einer Mischung aus Wohnzimmer, Diskutierclub und Wirtshaus mit einem langgestreckten Tresen an der Wand und Sofas, Sesseln, Tischen und Stühlen davor, die es zuzeiten des Bürgerforums zu einiger Berühmtheit gebracht hat. Wenn man eintritt, weiß man sofort, warum das Lokal so heißt, ein süßlicher Geruch von Gegärtem und Zigarettenrauch weht einem entgegen. Sonntags ist geschlossen, weil überall Ruhetag ist und bis in die Nachmittagsstunden hinein kaum Košicer auf der Straße sind. Sonntag ist Familientag, man besucht sich gegenseitig oder fährt raus aus der Stadt.


Nachdem die Synagoge lange Jahre als Bücherlager der Universität genutzt wurde, ansonsten aber allmählich verfiel, ist sie nun während des Kulturhauptstadtjahres immerhin manchmal für die Allgemeinheit geöffnet, zuletzt für die Ausstellung von Yuri Doic, und damit (hoffentlich!) auch mehr im Fokus einer europäischen, einer internationalen Öffentlichkeit. Vor achtzig Jahren waren von den ca. 70.000 Einwohnern der Stadt 12.000 Juden und Košice galt als ein Zentrum des Judentums in Zentraleuropa. Es gab insgesamt sechs Synagogen, orthodoxe und neologische, also reform-liberale; drei sind erhalten geblieben, eine (in der Puškinová) wird noch für Gottesdienste genutzt, die andere ist Sitz der Philharmonie, die dritte in der ehemaligen Glockengasse, harrt immer noch ihres Schicksals. 
1930 besetzten die Ungarn die Stadt, die von nun an Kassa hieß. Horthy und die ungarischen Pfeilkreuzler übernahmen das Regime. Sie waren offen antisemitisch, drangsalierten Einzelpersonen und Familien, ließen sie entweder sofort ausweisen oder Zwangsarbeit verrichten.
Als die deutsche Wehrmacht im März 1944 Ungarn besetzte, kam sie auch nach Kassa / Kaschau / Košice. Auf Befehl Eichmanns wurde auf einem Ziegelei-Gelände das Judenghetto eingerichtet, in das sich alle Juden der Stadt umgehend einzufinden hatten. Am 15. Mai 1944 begannen die Transporte in das Vernichtungslager Auschwitz. Bis 2. Juni 1944 verließen insgesamt fünf Züge den Bahnhof, mit denen die jüdische Bevölkerung der Stadt in den Tod fahren sollte. Nach einem Befehl des Sonderkommandos Eichmann wurde der Bahnhof Kaschau zum „Umschlagplatz“ erklärt, über den alle ungarischen Juden und die wenigen noch verbliebenen slowakischen Juden nach Auschwitz deportiert wurden. Auch die in der Region ansässigen Roma, als "Zigeuner" erfasst, kamen nach Auschwitz-Birkenau, wenn es ihnen nicht vorher gelungen war, in die Wälder und Berge zu flüchten. Einige hunderte jüdische Überlebende kamen zwar nach dem Krieg zurück, verließen die Stadt aber bald wieder, als sie tschechoslowakisch und kommunistisch wurde. Viele emigrierten 1948, viele erst nach 1968, sodass heutzutage nur noch wenige, meist hochbetagte jüdische Menschen in der Stadt leben. Einen Kindergarten gibt es allerdings auch. Nicht jeder Exodus war freiwillig, denn der latente Antisemitismus bestand im Kommunismus fort und erschwerte das Leben, zumal ein bewusst jüdisches Leben, ungemein. Heute findet man oft Gleichgültigkeit und Indifferenz, die Belange der Jüdischen Gemeinde stehen nicht auf der politischen Agenda, sie werden entweder erst gar nicht wahrgenommen oder schnell weggeschoben. 

 


Das wunderbare Ensemble, in den 1920er Jahren von Ľudovit Oehlschlägel konzipiert, besteht aus der Orthodoxen Synagoge, einer Schule mit Gebetsraum, hinter einem verwilderten Gärtchen führt ein schmaler Weg zu einem Gebäude, in dem die Verwaltung der Jüdische Gemeinde untergebracht ist, die rund zweihundertsiebzig Mitglieder hat, und einem etwas windschief wirkenden Haus, das man bereits von der Straßenseite durch das schmiedeeiserne Tor sehen kann. In seinem Keller befindet sich eine erstaunlicherweise vollständig erhaltene Mikwe (das rituelle jüdische Bad). Über einen Laubengang erreichbar ist das im ersten Stock befindliche Atelier des Künstlers, das gleich neben der nun schon länger leerstehenden Wohnung des Rabbiners liegt, weil der nicht mehr von Budapest nach Košice reist, entweder, munkelt man, weil er die zehn Männer, die für das Abhalten eines Gottesdienst notwendig sind, nicht zusammengebracht hat oder weil es Querelen mit der Gemeinde gab. 

 

           


 


 


 


  

           


 


 


 


  

   


       


 


 


 


So vage bleibt jedenfalls Viktor Šefčík, der sozusagen in Personalunion Haus- und Hofmeister und guter Geist über ein kleines Reich ist, das er, wie man leicht bemerken kann, sehr liebt und das sich mit seinem verwinkelten Gebäudekomplex – gleichsam verwunschen und versteckt – hinter Mauer und Tor verbirgt, die das Geheimnis bewahren und schützen. Allzu romantisch-sentimental wird man jedoch nicht, denn unter den schön gestrichenen Fassaden entdeckt man die Risse im heruntergekommenen Mauerwerk, brüchige Stellen, morsches Holz, Zeichen des Verfalls. Dennoch verkörpert das Areal südliche Leichtigkeit, Schönheit und Grandezza. Der Künstler schließt die Tür zur Synagoge auf, und obwohl ich den Raum bereits von Bildern und aus Videos kenne (s. hier: Yuri Doic), bin ich doch überwältigt und ergriffen von seiner magischen Aura. Ein Ort der Stille und des Gedenkens. Der Feier und der Freude. Vom Deckengewölbe, den beiden Galerien und den Wänden blättern zwar die Farben, aber selbst unter den weißen Schimmelbelägen, den vergilbten Flächen sind immer noch die kraftvoll geschwungenen Ornamente und Mosaiken zu sehen, das strahlende Blau und Rot, die goldenen Einfassungen an den schmalen Säulen und dem Altar. Ornamentale Fresken in mediterranen Farben schaffen Begrenzung des Raumes und seine Öffnung. Irisierendes Licht fällt durch die mit farbigen Scheiben verzierten Fenster und die jetzt geöffnete Tür, gibt dem Halbdunkel Kontur und Leuchtkraft. Der Altar wird sichtbar, die Empore mit den kunstvollen Intarsien und Schnitzereien. Der klare, einfach strukturierte, jetzt leere Raum ist klamm und feucht, der ungeflieste Boden wurde ganz mit Kieselsteinen bedeckt, vielleicht auch dies ein Zeichen des Gedenkens, auf denen nun vereinzelt bunte Lichtflecken liegen. Das Dach wurde zwar gleich nach der Wende repariert, weist aber schon wieder massive Löcher auf, durch die Nässe und Kälte dringen. Vor dem Kulturhauptstadtjahr finanzierte die Rothschild Foundation die Außenrenovierung. Der slowakische Staat beteiligte sich nicht. Viktor Šefčík berührt den Putz am Eingang, kleine Brocken fallen herab. Alles Pfusch, schimpft er, die Jüdische Gemeinde vernachlässige die notwendige weitere Instandsetzung, wie es vorher schon der Staat gemacht habe. Draußen an der Mauer, die schon wieder Stockflecken aufweist, kauert eine Taube mit offenbar verletztem Flügel, der ihre gesamte linke Seite bedeckt wie ein zu schwerer Umhang. So ist der Zustand der Jüdischen Gemeinde, frotzelt Šefčík, und es klingt ironisch und traurig zugleich.

  

   



       



 


 


 


Im voll gepackten Atelier des Künstlers hängen unzählige Porträts, Stadt- und Landschaftsbilder, die an Marc Chagalls spirituelle Shtetl-Bilder erinnern, Rekonstruktionen und Entwürfe von Mosaiken neben Skizzenblättern und neueren kubistisch anmutenden Versuchen. Der 1960 hier geborene Šefčík studiert Bildende Kunst, Malerei und Graphik in Košice und Bratislava, ist in den 1980er Jahren Aktivist in der Bürgerbewegung, mit den neuen gesellschaftlichen Gegebenheiten ab 1989 jedoch nicht einverstanden. Er zieht durch halb Europa, bleibt eine Zeitlang in Frankreich und Italien, lebt in New York, bis er schließlich doch wieder zurückkehrt nach Košice, malt und weiterkämpft. Schon der kommunistische Staat habe die Synagoge verkommen lassen bzw. als Lagerhalle missbraucht. Man kann es selber sehen und spüren: Wenn nicht bald etwas geschieht, ist dieses einzigartige Kulturdenkmal, eigentlich doch ein nationales, ein jüdisches Erbe von immenser Bedeutung, vor dem endgültigen Verfall nicht mehr zu retten. Die Sirenen schlagen Alarm. Es wird aber weg gehört, weggesehen. Das ist in der Tat schwer zu ertragen: Der Sakralbau hat den nationalsozialistischen Terror, die kommunistische Entweihung überstanden und soll jetzt an Vernachlässigung und Nichtbeachtung zugrunde gehen. In der nahegelegenen Stadt Prešov wurde die dortige Synagoge von der Stadt und der Gemeinde, mithilfe von Sponsoren aus der ganzen Welt, vollständig restauriert und ist ein Besuchermagnet geworden. Jana Tesserová von der Jüdischen Gemeinde in Košice sagt, man habe nicht genügend Geld für den Innenausbau, für Rekonstruktion und Restaurierung, Šefčík versteht nicht, dass sich die Mehrheit der Gemeinde gleichzeitig immer noch gegen eine zeitgemäße Nutzung mithilfe von Sponsoren ausspricht. Er möchte der weiteren Zerstörung etwas entgegensetzen, die Synagoge retten. Und er hat Pläne: Wie bereits sporadisch schon geschehen, könnte die ehemalige Synagoge für Kunstausstellungen und Konzerte genutzt werden, ein Museum für Moderne Kunst entstehen, auf der Frauengalerie ein Holocaust-Museum eingerichtet werden. Die Vergangenheit soll nicht länger vergessen oder tabuisiert, für alle wieder sichtbar werden, zeitgenössische Kunst endlich einen Raum erhalten. Er sucht Gleichgesinnte, vor allem Künstler, Architekten, Geldgeber, die diesem – auch symbolisch so wichtigen – Ort zumindest einen Teil der Würde und Spiritualität zurückgeben, die er einmal hatte und die man spürt, sobald man in betritt.

 

 

       


 


 


 

 

       


 


 


  

 

       


 


 


  

 

       


 


 


Dieser Artikel versteht sich durchaus als Aufruf zur Unterstützung der Pläne, die Synagoge vor dem weiteren Verfall zu bewahren!


© Text und Fotos: Katja Schickel

 

06XI13

 



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