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FEINDLICHE LANDNAHME

von Katja Schickel 

 

 

Mehr als 227 Millionen Hektar Land, immerhin die Größe von Westeuropa, sind im letzten Jahrzehnt in Entwicklungs- und Schwellenländern an ausländische Investoren verkauft worden. Nach der Finanzkrise hat sich der Run derart verstärkt, dass von einem Wettlauf um Land gesprochen wird. Anfangs waren es vor allem China und die Arabischen Emirate, die Flächen in großem Stil aufgekauft oder gepachtet haben, jetzt sichern sich auch Investmentfonds und Industriekonzerne die krisenbeständige Ressource.

Die Folgen des sogenannten Land Grabbing sind gravierend, denn es gedeiht gerade dort, wo Menschen ohnehin schon hungern. Die Einheimischen werden gewaltsam und ohne Entschädigung von ihrem bisschen Grund und Boden, der zur Subsistenz diente, vertrieben. Die Investoren fordern  Straßen und andere Infrastruktur von den Regierungen, die diese der Bevölkerung seit Jahrzehnten vorenthalten. Neue Arbeitsplätze entstehen fast nie; die Investoren bringen ihr eigenes Personal mit. Genutzt werden die Flächen nicht für den Anbau von Nahrungsmitteln (und wenn, dann für den Export), sondern für Blumenzucht oder die Produktion von Biotreibstoffen. Der Teufelskreis von Armut und Hunger wird billigend in Kauf genommen: die teuren Nahrungsmittel kann sich die einheimische Bevölkerung nicht leisten, die eigene Produktion wird vom Markt verdrängt.

Von einer neuen Form des Kolonialismus ist die Rede. Auch der scheidende Chef der UNO-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung (FAO) in Rom, Jacques Diouf, bezeichnet die Landnahme als Neokolonialismus. Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, diese Geschäfte zu regeln, kommen nur langsam voran. Dem Welternährungsausschuss (CFS), der in dieser Woche in Rom getagt hat, gelang es nicht einmal, die Freiwilligen Leitlinien für den verantwortlichen Umgang mit Land zu verabschieden. Es wird von den Betroffenen dennoch als Fortschritt gewertet, dass es künftig keine Zwangsvertreibungen mehr geben und auch die Gewohnheitsrechte der Bevölkerung bei Landfragen berücksichtigt werden  sollen. In Afrika hungern prozentual die meisten Menschen auf der Welt; die Besitzrechte für Kleinbauern sind nur selten geregelt. Die oft fruchtbaren Ackerflächen locken Investoren umso mehr, als es auch an demokratischen Kontrollmechanismen fehlt. So mussten beispielsweise in Uganda 22000 Menschen einer Holz-Plantage weichen, die ein britischer Konzern mit der Regierung ausgehandelt hatte, ohne dass die Betroffenen auch nur gefragt worden wären.
Welche Art von Kapitalinvestitionen künftig zulässig sind, ist allerdings weiter strittig. Sowohl Nichtregierungsorganisationen (NGO´s) als auch Vertreter der UNO sind allerdings zuversichtlich, dass die Richtlinien spätestens Anfang nächsten Jahres vorliegen, da 75 Prozent bereits abschließend verhandelt  sind, wie Olivier de Schutter, der UN-Beauftragte für das Recht auf Nahrung betont. Dass die internationale Gemeinschaft über das heikle Thema verhandele, übe Druck auf Investoren aus – allerdings auch im negativen Sinne: „Viele versuchen, sich noch schnell die besten Deals zu sichern.“  (dpa, 23.10.2011)

© das Bild ist ein Ausschnitt aus einem Plakat von Brot für die Welt (Motto: Land zum Leben - Grund zur Hoffnung)

 

 

ZUM BEISPIEL: REBELLION IN WUKAN / CHINA

 

Nach schweren Unruhen haben Sicherheitskräfte einen südchinesischen Ort abgeriegelt. Ein monatelanger Streit über Landverkäufe war in den vergangenen Tagen eskaliert, nachdem ein Unterhändler der 20.000 Bewohner von Wukan am Sonntag in Polizeihaft ums Leben gekommen war. Wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua meldete, bestritten offizielle Verantwortungsträger, dass der 42-Jährige zu Tode geprügelt worden sei. Der plötzliche Tod von Xue Jinbo in Polizeihaft sei auf "Herzversagen" zurückzuführen, hieß es unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft der Provinz Guangdong.

In dem Konflikt in Wukan geht es um Land, das die Lokalregierung an das große Immobilienunternehmen Country Garden Co. verkaufte. Schon im September war es deshalb zu gewalttätigen Unruhen gekommen, durch die nach Behördenangaben sechs Polizeiwagen zerstört und zehn Polizisten verletzt wurden. Zwar mussten anschließend mehrere Funktionäre ihre Posten räumen, doch brachten Verhandlungen keine Lösung. Fünf Unterhändler des Dorfes, darunter Xue Jinbo, wurden Ende vergangener Woche wegen ihrer Teilnahme an den Protesten im September festgenommen.

Während die Polizei das Dorf abriegelte, errichteten die Einwohner ebenfalls Straßensperren. Die Rebellion des Fischerortes in der wirtschaftlich erfolgreichen Provinz ist bezeichnend für die zunehmenden sozialen Unruhen und Proteste in China. Ursachen sind häufig Konflikte über zwangsweise Landenteignungen, unzureichende Entschädigungen, Umweltverschmutzung, unbezahlte Löhne oder Polizeigewalt. Im vergangenen Jahr zählten Soziologen rund 180.000 solcher Fälle. (dpa,15.12.2011)



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