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Bin Ladens Erledigung Live -

von Prof. Dr. Manfred Schneider

 

Die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus kann nicht als Bilderkrieg, sondern nur vor Gericht geführt werden.

 

 

© AP/Biswaranian Bout; Aus Sand geformt - an einem indischen Strand

 

Die Freudentänze, die nach der Bekanntgabe der erfolgreichen Aktion gegen den Al-Kaida-Führer Osama bin Laden vor dem Ground Zero in New York und in den amerikanischen Medien aufgeführt wurden, könnten uns glauben machen, dass jetzt der Fluch vieler Tausender Amerikaner in Erfüllung gegangen ist und dass die Nemesis in Gestalt einer Spezialeinheit der US-Navy für welthistorische Gerechtigkeit gesorgt hat. „Justice is done“ verkündete Präsident Obama.

Allerdings läuft nach den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte bei jeder amerikanischen Militäraktion der Verdacht mit, dass Gerechtigkeit ein Begriffsjoker für rein politisch kalkulierte Manöver geworden ist. Während die Befriedigung über den Tod des Scheichs, der durch die amerikanische Seele geht, begreiflich ist, sind wir nicht sicher, welcher Begriff aus unserem Lexikon der Todesarten auf dieses gewaltsame Ende passt: Während sich Osama bin Laden schon längst das Passwort Märtyrer für den Eintritt in die Ewigkeit gesichert hatte, heißt es im amerikanischen Militärjargon „ennemy killed in action“. Eine an die Tatsachen angelehnte Übersetzung könnte sowohl „im Kampf gefallen“ als auch „liquidiert“, „getötet“ oder vielmehr „hingerichtet“ lauten. Die sprachliche Sensibilität für die Worte, die das blutige Geschehen in Abottabad fassen, die auch unsere Kanzlerin Angela Merkel aus Pastorenmund zu spüren bekam, ist das einzige positive Zeichen im Wirbel der Nachrichten der letzten Tage.

 

© AP/ Pete Souza; Präsident Obama und sein Stab verfolgen live den Einsatz gegen Osama bin Laden

 

Die welthistorische Dimension dieses Ereignisses liest sich indessen an dem Foto ab, das in den vergangenen Tagen durch die Weltöffentlichkeit ging: Das Bild dokumentiert, wie der amerikanische Präsident und seine Mitarbeiter im Weißen Haus den nächtlichen Überfall der Navy Seals auf dem Territorium Pakistans live verfolgen. Das Foto gibt den Blick auf den Feldherrnhügel des 21. Jahrhunderts frei. Diese Blitzaktion und der dazugehörige Konflikt, für die keine der sauber gefügten Begriffe des internationalen Rechts mehr zu passen scheinen, bildet eine so komplexe symbolische, mediale und politische Botschaft, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis wir auf der Höhe dieser Ereignisse denken können.

Die globale Struktur des Terrorismus, der seinen Schrecken unbekümmert um nationale Rechte und Gewährleistungen verbreitet, der die Unterscheidung von militärischen und zivilen Personen, von Schuld und Unschuld ignoriert, ist das zugleich moderne wie archaische Gegenbild zu einer Politik, die sich bei der Verfolgung ihrer Interessen und Ziele an kein internationales Recht mehr hält.

Die Übertragung des Militäreinsatzes auf fremden Territorium via Satelliten macht noch einmal klar, dass die Weltmacht USA nicht nur global, indifferent gegenüber Souveränitätsrechten, sondern auch orbital agiert, dass der von Flugmaschinen, Raketen und Nachrichtenautomaten bevölkerte Himmel mit der terrestrischen Einflusssphäre verschmolzen ist.

 

Die Kunst des Verbergens

Die Tatsache, dass Osama bin Laden den Satellitenaugen der amerikanischen Geheimdienste so lange entgehen konnte, ist der List dieses großen Feindes geschuldet: Man muss das Gesuchte unter den Augen des Suchenden verbergen. Das ist die Lehre aus dem Geschichte vom entwendeten Brief, die Edgar Allan Poe vor 180 Jahren erzählt hat: Das fragliche Objekt, das über Wohl und Wehe des Staates entschied, und das die Polizei nicht fand, war weder versteckt noch vergraben, sondern hing zum Greifen nah am Kamin.

Ein TV-Sender zeigte am Montag dieses Foto, es soll den durch einen Kopfschuss getöteten Osama bin Laden zeigen. Später kam heraus: Es war eine Montage. Das Bild sei eine Fälschung gewesen, die bereits 2009 im Internet kursierte, sagte Rana Jawad vom privaten pakistanischen Fernsehsender Geo am Montag der Nachrichtenagentur AFP. Nachdem der Fehler bei einer Kontrolle auffiel, wurde es zurückgezogen. Es zeigt ein verstümmeltes Gesicht mit dichtem, schwarzen Bart und Blut auf Stirn und Schläfen. Das eine Auge ist geschlossen, bei dem ist anderen das Weiß des Augapfels zu sehen. Der Bart ist dunkler als auf den jüngsten Aufnahmen Bin Ladens, auf denen er viele graue und weiße Barthaare hatte. Offenbar basiert die Montage auf einem früheren Bild des El-Kaida-Führers.

Ein TV-Sender zeigte am Montag dieses Foto, es soll den durch einen Kopfschuss getöteten Osama bin Laden zeigen. Später kam heraus: Es war eine Montage. Das Bild sei eine Fälschung gewesen, die bereits 2009 im Internet kursierte, sagte Rana Jawad vom privaten pakistanischen Fernsehsender Geo am Montag der Nachrichtenagentur AFP. Nachdem der Fehler bei einer Kontrolle auffiel, wurde es zurückgezogen. Es zeigt ein verstümmeltes Gesicht mit dichtem, schwarzen Bart und Blut auf Stirn und Schläfen. Das eine Auge ist geschlossen, bei dem ist anderen das Weiß des Augapfels zu sehen. Der Bart ist dunkler als auf den jüngsten Aufnahmen Bin Ladens, auf denen er viele graue und weiße Barthaare hatte. Offenbar basiert die Montage auf einem früheren Bild des El-Kaida-Führers.

 

© Newseum.org/Wolfram Arntzen

 

Was heute auffällt, ist der ungeheure Abstand zwischen der minimalen politischen Macht des Al-Kaida-Hauptes, seinen geschrumpften Möglichkeiten des Handelns, und der aufwändigen Jagd auf ihn, die gleich zwei blutige Kriege auslöste. Die vermeintliche Schlüsselfigur des 11. September 2001 war längst zu einer Ikone geworden, zu einem politischen Zeichen und entfaltete als Symbol und Bild mehr imaginäre Kräfte, als es konkrete politische oder militärische Machtmittel vermöchten. Auch hier zeigt sich die Spiegelbeziehung zwischen der Weltmacht und ihren terroristischen Feinden. Ihr Konflikt spielt vor allem im visuellen Raum, er ist ein Krieg der Bilder und der wechselseitigen Überwältigung durch den Augenschein dessen, was sich auf Bildschirmen zeigt.

Bereits die Ereignisse des 11. September 2001 leben im politischen Gedächtnis beider Seiten nicht wegen der vielen tausend Opfer fort, die sie kosteten, sondern weil sie aus Bildern bestehen, die alle Vorstellungskraft übersteigen. Das war das richtige Kalkül der Drahtzieher, und heute geht die Rechnung der US- Regierung auf, dass nur die Leiche Osama bin Ladens die traumatische Gewalt der Bilder vom Crash der WTC-Türme und von den aus ihnen stürzenden Menschen aufwiegen kann.

 

© Newseum.org

 

Das globalisierte Mittelalter

Diese alles überlagernde archaische Macht der Bilder im weltpolitischen Geschehen und im globalen Kampf um ikonische Herrschaft als Bedingung von Einfluss und Macht ist in zweierlei Hinsicht aufschlussreich. Es zeigt sich einmal, dass wir in dem global erweiterten Bildraum jenes Mittelalters leben, wo die Frage nach der Abbildung Gottes und seiner Heiligen die Fäuste und Kanonen der Glaubensgemeinschaften in Tätigkeit versetzte und die unglaublichsten Grausamkeiten möglich machte. Zumal der protestantische Bildersturm des 16. Jahrhunderts war getragen von einer so tiefgreifenden Überzeugung und Erbitterung, die uns heute in den wütenden Reaktionen muslimischer Radikaler auf die Mohammed-Karikaturen wiederbegegnet. Dieser Bildraum ist heute technisch organisiert, und seine archaische Macht ist damit noch gewachsen.

Man kann vermuten, dass heutzutage ein Viertel aller Augen, die auf die Welt blicken können, in jedem Moment auf Bildschirme oder andere visuelle Oberflächen gerichtet ist, die Informationen verarbeiten. Alles was wir wissen, ist aus diesem elektronischen Pixelstoff der Monitore und mobilen Displays in unsere Augen geflossen. Aber auch der Spott unserer Karikaturisten über vermeintliche muslimische Glaubensnaivität ist eine Antwort auf die Schreckensbilder, die die terroristische Fraktion dieser Religion produziert. Terror und Gegenterror spielen im internationalen Bildraum, und ihre Toten und Opfer sind nur die gespenstischen Bewohner dieser Bilder, die in Wahrheit ikonische Waffen sind.

Das Zögern der amerikanischen Regierung, die von ihren Einsatzkräften geschossenen Fotos des toten Osama bin Laden zu veröffentlichen, hat darin ihren Grund. Sie kann es nur falsch machen. Unterlässt sie die Veröffentlichung, dann werden die Bilder irgendwann bei Wikileaks auftauchen und den bekannten Zyklus aus Verdacht, Zweifel, Hass und Jubel auslösen. Bringt sie die Bilder von sich aus unter das globale Auge, dann steigern sie noch einmal die moralischen Zweifel an der Aktion in Pakistan. Aber ein König ist nur tot, wenn sein zweiter Körper zur Schau gestellt wird, aus das können wir aus unserem Mittelalter lernen, und das gilt ebenso für einen Scheich, dessen Bild zehn Jahre lang über die Gemüter der Welt geherrscht hat. In dieser kollektiven Erinnerung wird sich zum Bild des amerikanischen Präsidenten das Todesfoto Osama bin Ladens gesellen wie einst der erlegte Drache zum Bild des Erzengels Michael.

Warum aber ist die politische Strategie beider Seiten, der terroristischen Netzwerker und der westlichen Freiheitsverteidiger, so von der Bildmacht beherrscht und warum laufen so viele Entscheidungen darauf hinaus, elektronische Bilder zu erzeugen und zu vernichten? Fragt man nämlich nach der eigentlichen Ursache, dem Kern des Konflikts zwischen dem Westen und dem terroristischen Hass aus dem Nahen Osten, dann stoßen wir auf blanke Abstraktionen. Die wechselseitige Erbitterung hat nämlich gerade nicht mit konkreten Dinge, mit Geld, Territorium, Öl und Waffen zu tun, sondern sie wurzelt in abstrakten Größen, die Namen tragen wie Freiheit, Reinheit, Transparenz, Glaube, Information, Souveränität. Für solche Abstrakta fließt Blut. Das ist das Schicksal der Moderne, und es wird ihr Schicksal bleiben.

 

Die abgezogene Darstellung

Diesen Punkt hat bereits Immanuel Kant genau erfasst, als er in dem jüdischen Bilderverbot das Geheimnis des religiösen Enthusiasmus erkannte und daraus die Folgerung zog, dass die Abstraktion , die abgezogene Darstellung der Imagination und der Leidenschaft besonders große Spielräume eröffnete. Aber diese Imagination lässt sich heute wie früher durch den Glauben täuschen, dass in Bildern ihre Werte beschlossen liegen. Das führte dazu, dass sich das Foto des langbärtigen Scheichs Bin Laden mit so viel falschen und absurden Vorstellungen aufladen konnte.

 

Im Jubel über das Ende des Al-Kaida-Häuptlings und im trüben Wirbel der weltweiten Affekte, die sein Todesbild auslösen wird, sollten doch nicht die Prinzipien der freien, auf Rechte gestellten Welt vergessen werden. Nur ein Verfahren vor einem internationalen Gericht hätte eine adäquate Form zur Beurteilung der Rolle und der Taten des Terroristenführers gestattet. Dass die Amerikaner ein solches Tribunal durch die Liquidierung bin Ladens und durch die übereilte Versenkung seines Leichnams ins Meer unmöglich gemacht hat, bleibt ein schwerwiegender Fehler.

Der Westen kann sich weder mit der vermeintlichen Rücksicht auf muslimische Gesetze noch auf andere Weise im Auge der Hassenden rehabilitieren. Er muss aber für sein eigenes Auge, für seine eigene Selbstschätzung im Recht bleiben und die Mühsal und Unsicherheit eines Gerichtsverfahrens in Kauf nehmen und diese einzige zivile Form der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus unter allen Umständen bewahren.

 

Manfred Schneider ist Professor für Germanistik an der Ruhr-Universität Bochum. Zuletzt veröffentlichte er im Verlag Matthes & Seitz das Buch Das Attentat. Kritik der paranoischen Vernunft (668 S., 39.90 Euro)

© Erstveröffentlichung: Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung; mit freundlicher Genehmigung des Autors


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



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