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Parada

Kriegsveteranen treffen queere Truppe in Ex-Jugoslawien

von Katja Schickel

 

 Parada erzählt von einem buchstäblich existenziellen Problem: dem von Lesben und Schwulen in einer sehr offen homophoben, das heißt in der Regel äußerst aufgeheizten, oft gewalttätigen Umgebung. Der Film kann als despektierliche Komödie anarchische Grenzüberschreitungen wagen: also mithilfe von komisch-skurriler Verdichtung, Verzerrung und Überdrehung gängige Klischees und Stereotypen noch primitiver erscheinen lassen als sie ohnehin schon sind. Der Film wurde in einigen Ländern Ex-Jugoslawiens zum unerwarteten Publikumserfolg, vermutlich gerade weil er die Angehörigen der ehemaligen Kriegsparteien enttarnt, gerade weil er das Gemeinsame mehr hervorhebt als das Trennende. Das allgegenwärtige heterosexuelle Macho-Gehabe wird exemplarisch lächerlich gemacht, das freie Unternehmertum korrespondiert mit protzigen Gangster-Allüren, eitler Körperkult und ungebremster Einrichtungswahn treffen auf traditionell hemmungslose Exaltiertheiten. Die Feindbilder sind leidenschaftlich gefügt und austauschbar. Serben, muslimische Bosniaken, Kosovaren und kroatische Kriegsveteranen eint im Film eine untergründige Sehnsucht nach Verständigung, Freundschaft und Liebe. Zusammen mit einigen schwulen Aktivisten sollen sie die verhärteten Fronten aufweichen und sich gemeinsam gegen Neonazi-Gruppen und Nationalisten stellen. Ausgerechnet die harten wilden Kerle aus Kriegszeiten sollen den queeren Initiatoren einer Gay Pride Parade (Christopher Street Day) den nötigen Schutz bieten, denn eine funktionierende Security ist nun einmal Auflage für die staatliche Genehmigung einer solchen Veranstaltung. (In der Realität mussten 2010 wohl Hunderte Polizisten und Soldaten in Belgrad rund 6.000 martialisch auftretende, bekennende Schwulenhasser daran hindern, Gay Pride-TeilnehmerInnen zusammen zu schlagen oder gar zu töten. Es gab mehrere hundert Verletzte). Srdjan Dragojević hat Sinn für grotesken Humor, der ihn vor dem erhobenen Zeigefinger bewahrt, und ein zutiefst humanistisches Weltbild: er widmet sich dem schwulen (Über-)Leben, weil er starre Konventionen und Vorurteile, die ihnen zugrunde liegende Ungleichheit und Intoleranz verabscheut, und weiß, dass sie der wichtigste Nährboden für weitere Eskalation und Gewalt sind. Der Film ist auch ein Märchen, das menschliche Unzulänglichkeiten phantasievoll auf die Schippe nimmt, die Realitäten jedoch nie vollkommen aus den Augen verliert und die vorfindbaren Risse nicht verschweigt. Sein perspektivisches Credo: So könnte es sein, so sollte Versöhnung aussehen trifft auf einigermaßen erstarrte Gesellschaften, die sich den Wahrheiten des Krieges (und des Friedens) noch gar nicht gestellt haben, die patriarchal strukturiert sind und an alten Prinzipien festhalten, selbst wenn diese längst ausgehöhlt sind und ihren Sinn verloren haben. Die turbulente Geschichte schüttelt das überkommene Bild allerdings schon ganz schön durcheinander. Sie ist hochpolitisch, macht sich lustig über absurdes Gehabe und setzt auf schallendes, befreiendes Gelächter ... mindestens 115 kurzweilige Minuten lang. Sehenswert!

Regie: Srdjan Dragojević; Darsteller: Nikola Kojo, Milos Samolov, Hristina Popović, Goran Jevtic, Toni Mihailovski

 

© Trailer, Berlinale 2012, Negativ Film

 

 

Den Panorama Publikumspreis in der Kategorie Spielfilm erhielt Parada, eine Koproduktion aus Serbien, der Republik Kroatien, Mazedonien, und Slowenien 2011. Platz 2: Daniele Vicaris Diaz - Don't Clean Up This Blood; Platz 3: der brasilianische Film Xingu.In der Kategorie Dokumentarfilm ging die Auszeichnung 2012 an Marina Abramovic - The Artist is Present aus den USA. ein Highlight!. Weitere Preise: Call Me Kuchu, ebenfalls ein amerikanischer Film; La Vierge, les Coptes et Mo (The Virgin, The Copts And Me) von Namir Abdel Messeeh.

 

Parada erhielt auch einen Preis beim schwul-lesbischen Teddy Award 2012.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Berlinale 2012

 

 



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