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2008-2011 - Krise - Das Ende der Demokratie - Postdemokratie – 2012 - ?

von Katja Schickel


 

Woran Demokratien scheitern, wissen wir gar nicht so genau. Instabilität begünstigt mit einiger Sicherheit ein Netzwerk aus Korruption, Bestechlichkeit und Intransparenz, wie wir es mittlerweile auch in Europa kennen gelernt haben. Moderne Gesellschaften sind darüber hinaus „vermutlich eher durch systemkonform aussehende suprastaatliche Akteure gefährdet als durch Terroristen.“

Die wirtschaftliche Macht auf dem Planeten konzentriert sich auf gerade mal 147 Unternehmen (s. hier auch: 147 Super-Riesen, Eliten); die fünfzig einflussreichsten kommen - bis auf eine Ausnahme - aus der Finanz- oder Versicherungswirtschaft. Sie sind – wie wir gerade weltweit miterleben - in der Lage, Regierungen nach Belieben unter Druck zu setzen, die mit ihren hastig anberaumten Gipfeln und reflexhaft aufgespannten Rettungsschirmen wie Erfüllungsgehilfen agieren, „indem sie Spardiktate verhängen, Referenden verhindern, Staatseigentum verscherbeln und das politische Mandat an einen Markt delegieren, dessen schlichte Funktionslogik sie nicht verstehen oder nicht zu verstehen vorgeben. Der Markt funktioniert (und funktionierte immer) nach der einzigen Maxime, die Vorteile der Marktakteure zu erhöhen. Dass diese Logik keine Selbstbegrenzung vorsieht, ist klar; gerade deshalb wurden ja jene Regulierungen geschaffen, die – wie unvollkommen auch immer – ein Primat des Staatlichen durchzusetzen und aufrecht zuhalten versuchten. Genau das verschwindet gerade vor aller Augen und mit ihm der Vorrang, der demokratischen Verfahren und rechtsstaatlichen Prinzipien vor allem anderen zukam.“ Ganze Gesellschaften und ihre Eliten schauen zu, wie sie sukzessive entdemokratisiert werden. Die mit der Deutungsmacht verlieren offenbar - und bestürzend genug - nichts, worüber sie sich Gedanken machen müssten.

„Verantwortungslos sind alle, die nicht eingreifen. Und besonders die Funktions- und Deutungseliten, deren Indolenz auch noch staatlich finanziert wird. Aber die sind vermutlich zur Zeit vor allem damit beschäftigt, die richtige Anlage für ihre Kröten zu finden und haben gerade keine Zeit, sich um den Schutz der demokratischen Ordnung zu kümmern. Es steht zu befürchten, dass Demokratien unter Stress genau daran scheitern: nicht an der abgelaufenen Halbwertzeit der Macht wie im Fall von Diktaturen, sondern an einer kollektiven Haltung von Unzuständigkeit. Wenn niemand die Demokratie für seine eigene Angelegenheit hält, hat sie sich schon erledigt".

 

Zitate von Harald Welzer - Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen. Z

Zuletzt veröffentlichte er Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird und zusammen mit Sönke Neitzel Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben (S. Fischer Verlag), 19.12.2011

 

 

 

© ZDFlachbar, ZDF-Frontal 21

 



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