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PRAG NACH 1938

  

 

ER: Meine Eltern waren nicht glücklich hier. Sie hatten Schwierigkeiten mit der Sprache. Die Großmutter war vollkommen unglücklich, und wenn ich darüber nachdenke, hat sie sich mit ihrem Selbstmord viel erspart. Sie hatte ja damals keine Ahnung, was auf sie gewartet hätte. Sie wäre ins Konzentrationslager gekommen. Ich glaube, für sie war es ein Glück, dass sie das nicht mehr erleben musste. Sie war Jahrgang 1865, also im Jahre 38 73 Jahre alt. Aber sie war sehr, sehr unglücklich und hatte Angst, dass sie uns im Weg ist, und deshalb hatte sie absolut keine Lust mehr weiterzuleben. Für sie war das Leben hier schon kein Leben mehr. Bis zu unserem Transport nach Theresienstadt war hier für uns keine schöne Zeit. Wir waren nicht glücklich. Das einzige Glück für mich war, dass ich einen Mann gefunden hatte, auf den ich mich verlassen konnte. Seine Eltern, seine ganze Familie haben uns damals viel geholfen, um diese Zeit zu überstehen.

Die Familie hat Sie aber von Anfang an akzeptiert? 

ER: Ich war aus einem ganz anderen Milieu, aber ich war jung, für mich war alles ganz abenteuerlich, einen Mann zu haben, der um so vieles älter war als ich, aber seine Eltern haben sich uns gegenüber sehr gut verhalten - und uns viel geholfen, über diese sehr unangenehme Zeit zu kommen und zu überleben.

Sie sind ziemlich plötzlich aus Saaz weg, da konnten Sie ja nichts mitnehmen.

ER: Ich bin quasi mit einer Aktentasche weggegangen. Inzwischen gab es das Münchner Abkommen - und damit war Schluss für uns. Wir konnten nicht mehr zurück. Das war für uns eine schreckliche Katastrophe, eine Tragödie. Wir hatten damit gerechnet, ein paar Tage nach Prag zu gehen und dort abzuwarten, bis diese lebensgefährlichen Situationen für uns in Saaz vorüber wären. Ich war in der Schule unglücklich, niemand hat mit mir gesprochen. Ich war vollkommen separiert von den Schülern, mit denen ich doch aufgewachsen war. Es war eine Tragödie. Für die Eltern war es weit aus schlimmer als für mich. Wir haben nie mehr normal leben können. Leute, die nicht flüchten mussten, die haben noch ziemlich ruhig gelebt, ohne große Veränderungen. Für uns war das hier eigentlich schon eine Vorbereitung auf das Konzentrationslager. Dann wurde mein Vater krank und musste ins Krankenhaus. Ich war mit meiner Mutter allein. Es war ein großer, furchtbarer Abschnitt in meinem, in unserem Leben.

Wenn ich mir gerade diese Fotos ansehe von dem Haus....

ER: Ja, wir hatten ein schönes Haus. Meine Großmutter hat dort gelebt, meine Mutter ist dort geboren, auch ich bin dort geboren. Mein Vater war aus Komotau. Wir alle sind in dieser Umgebung aufgewachsen. Und auf einmal konnten wir nicht mehr dort leben.

Erstmal ist es ja ein heilloser Abschied und ein enormer Abstieg. Sie kommen nach Prag, haben da nur ein Zimmer....

ER: Wir hatten zuerst ein Zimmer für fünf Personen, danach ein Zimmer mit Küche. Das war schon etwas besser. In der Untermiete durften wir nicht einmal die Küche benutzen, ein Badezimmer hat nicht existiert, alles hat sich in einem Zimmer abgespielt, das war sehr unangenehm. Niemand wusste, was weiter geschieht. Vielen ist auch die Emigration nicht gelungen.

Ihnen ist sie nicht gelungen, weil sie zu jung waren.

ER: Meinem Verlobten ist es nach der Besetzung Prags gelungen, nach England zu kommen, mit großen Schwierigkeiten, aber es ist ihm gelungen. Er hatte versprochen, uns allen zu helfen. Das ist ihm aber leider nicht geglückt, weil man in England dafür kein Verständnis hatte, man wusste nicht, wie wir lebten und wie gefährlich es eigentlich für uns war. Niemand dort war sich dessen bewusst. Diese Kindertransporte z.B., damals haben wenige Leute begriffen, wie gefährlich es für Kinder ist, hier zu bleiben. Zum Glück konnten sechshundert Kinder herausgebracht werden. Die Schwester meines Verlobten hatte zwei kleine Kinder, und es gelang ihm, diese Kinder in einen dieser Transporte zu bekommen. Sie waren schon vorbereitet, alles war gepackt, am Sonntag haben wir uns von den Kindern verabschiedet, am Montag ist der Krieg ausgebrochen, und sie sind nicht mehr herausgekommen. Die Schwester und die beiden Kinder sind vergast worden. Aber niemand hat sich vorgestellt, wie gefährlich es war zu bleiben. Ich konnte auch nicht mehr nach England. Dort gab es Gesetze, dass Kinder unter 18 Jahren nicht arbeiten durften. Mein Verlobter hatte für mich eine Arbeit gefunden, ich sollte mich in einer Familie um die Kinder kümmern. Die Familie war sehr nett und hat mir geschrieben, dass sie mich, sobald ich 18 bin, aufnehmen, und dass sie auf mich warten. Bevor ich 18 wurde, war aber schon Krieg, und deshalb schaffte ich es auch nicht mehr herauszukommen. Das hat sich niemand vorstellen können, wie gefährlich es hier wirklich war, dass es wirklich um´s Leben ging.

 

 

© Katja Schickel/www.letnapark-prager-kleine-seiten.com


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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