LETNA PARK     Prager Kleine Seiten
Kulturmagazin aus Prag
info@letnapark-prager-kleine-seiten.com

 

Texte aus dem Knast

von Katja Schickel

 

 

Raif Badawi: 1000 Peitschenhiebe.
Weil ich sage, was ich denke.
Übersetzt von Sandra Hetzl. Ullstein Verlag Berlin 2015
61 S., brosch., 4,99€, ISBN-13 9783550081200

 

 

 

 

 

 

 

 




Im Mai 2014 wird Raif Badawi, der schon seit 2012 im Gefängnis sitzt, wegen „Beleidigung des Islam“ zu zehn Jahren Haft, einer Geldstrafe von umgerechnet rund 200.000 Euro und – um ihn noch zusätzlich zu demütigen – zu tausend Peitschenhieben verurteilt. Nach fünfzig Stockschlägen Anfang Januar 2015 vor der Al-Dschafali-Moschee in Dschidda wird die Vollstreckung der Strafe bis auf weiteres, aus gesundheitlichen Gründen, wie es heißt, ausgesetzt. Die anwesenden Schaulustigen jubeln, wie es Menschen bei solchen von Oben inszenierten Spektakeln zu allen Zeiten überall gerne getan haben; im Rest der Welt kommt diese öffentliche Züchtigung als Schauspiel der Macht allerdings nicht mehr so gut an. Vermutlich wäre der saudischen Regierung selbst das egal, aber eine Aufwertung eines ihrer schärfsten Kritiker und Menschenrechtsaktivisten kann ihr nicht recht sein. Nun ist der Blogger zusammen mit etwa dreißig anderen Männern, die als Diebe und Dealer, als Mörder und Kinderschänder verurteilt wurden, in eine zwanzig Quadratmeter große Zelle eingesperrt: „All dieses grausame Leid ist mir nur widerfahren, weil ich meine Meinung ausgedrückt habe. All das war der Preis für jeden Buchstaben in diesem Buch.“

Diese Sätze kann man im Vorwort des gerade von seiner Frau, Ensaf Haidar, herausgegebenen Bändchens nachlesen, wie auch die Beschreibung der öffentlichen „Bestrafungsaktion“, bei der er von johlenden Menschen umringt war, die immerzu „Allahu Akbar“ schrien, „Gott ist groß“. 


 

Bei den erlaubten kurzen Telefonaten berichtet Raik Badawi seiner Frau über sein Leben im Knast, über die Haftbedingungen und das zarte Pflänzchen Solidarität. das sich beispielsweise an einigen Kloschmierereien zeigt.

 

Er teilt ihr seine Gedanken mit - und sie notiert alles. Ihnen ist das Risiko klar, aber beide wollen ihrer beider Schicksal (er seit drei Jahren hinter Gittern, sie mit den drei Töchtern im kanadischen Exil) nicht als quasi private Familientragödie behandeln (lassen), sondern als einen Akt der Unterdrückung sehen, gegen den man sich im Namen der Menschenrechte wehren muss. Die Situation ist für alle angespannt: Badawi geht es, nach Aussage seiner Frau, „überhaupt nicht gut und auch seiner Psyche geht es nicht gut. Ganz bestimmt ist seine Lage so, weil alles für ihn ungewiss ist. Wir wissen nicht, was geschieht, und wir wissen nicht, was geschehen wird“ (Tagesspiegel, 31.01.2015). Badawis Gedanken jetzt öffentlich zu machen - Mut und Verzweiflung liegen manchmal nahe beieinander - bedeutet einerseits einen Sprung nach vorne zu wagen, denn das internationale Interesse bietet momentan auch Schutz vor weiterer Drangsalierung oder gar Eskalation. Ob es Badawis Lage andererseits wirklich und nachhaltig verbessern hilft, bleibt die bange Frage. Überall auf der Welt setzen sich mittlerweile Menschen auf allen Ebenen für Badawis Freilassung ein, sind an ihm und seinen Texten interessiert.


Bereits 2008 bekommt er Berufs- und Reiseverbot in Saudi-Arabien. Ensaf Haidar: „Er hat trotzdem weitergeschrieben, auch für saudische Medien. Die konnten ihn nicht direkt bezahlen, weil sie sich ja strafbar gemacht hätten. Manchmal hat er deswegen ganz auf seine Honorare verzichtet, weil er unbedingt seine Texte schreiben wollte.“ Gleichzeitig gründet er die Website Saudische Liberale, in der er über Staat und Religion, Theokratie und Unterdrückung schreibt, mehr Freiheitsrechte fordert, vor allem die rigide Geschlechtertrennung anprangert, die religiös begründet, vor allem Frauen mit - in ihrer Rigorosität manchmal schon wieder lächerlich anmutenden - Verboten belegt. In seinem eigenen Blog setzt sich Badawi verstärkt und explizit für Meinungsfreiheit, für die Gleichheit aller Religionen und die Gleichberechtigung der Frau ein.

Constantin Schreiber, Journalist und Arabien-Kenner, hat die deutsche Herausgabe der vierzehn Texte übernommen und schreibt in seiner Einleitung: „Es kann uns allen nur Mut machen, dass inmitten eines der konservativsten Länder der Welt ein junger Mann so freiheitlich denkt und sich dafür in Gefahr begibt“. Ähnliches wird man auch von seiner Ehefrau sagen dürfen, die öffentlich für die Freilassung ihres Mannes eintritt, Proteste organisiert und nun seine Texte herausgibt. Schließlich hat sie sich schon über das elterliche (und familiäre) Verbot hinweggesetzt und Raif Badawi geheiratet.



2011 polemisiert Badawi etwa gegen eine Verfügung der saudi-arabischen Regierung, die allen in Groß-Britannien studierenden Stipendiatinnen einen männlichen Begleiter vorschreibt, was Badawi extrem frauenverachtend findet. Er will Mut machen: „Du bist ein Mensch? Dann ist es dein gutes Recht, dich auszudrücken und zu denken, was immer du willst.“ Als besonderer Frevel in einem hoch aufgerüsteten Gottesstaat muss gelten, den einen, einzigen Gott in Frage zu stellen, öffentlich das Recht zu glauben oder nicht zu glauben zu proklamieren, über Staat und Religion überhaupt nachzudenken: „Das religiöse Denken [...] strebt danach, unser Leben bis in alle Einzelheiten hinein zu kontrollieren. Tag für Tag kämpft es für die Vergötzung und Überautorisierung salafistischer Interpretationen des Korantextes, aus Überlieferungen, die aus einer Zeit vor Hunderten von Jahren stammen.“


Badawi ist mutig und risikofreudig, seine Sätze, vor allem die ironischen, die, in denen er sich lustig macht, sind Aufforderungen, selbst zu denken, quasi über Moschee und Wüstenrand hinaus zu schauen. Dabei predigt Badawi keinen Umsturz, er möchte ein liberales Land -  auch für sich, seine Frau und seine Töchter. Für die ist der Großteil des Erlöses bestimmt, den der Verkauf des Buches einbringen wird. Es erscheint demnächst auch in mehreren anderen Sprachen.


Zur Hoffnung, mit der Veröffentlichung des Buches Badawis Lage nachhaltig zu verbessern, sogar zu seiner Freilassung beitragen zu können, hat sich vernehmlich Angst hinzugesellt: Es wird im Internet und in Interviews immer wieder betont, dass die abgedruckten Texte bereits als Artikel in saudischen Printmedien erschienen seien, sich nicht gegen das Land richteten und die jetzige Publikation keine Provokation sein solle. Das ist das Dilemma von Protest in einem autoritären Land: Man kann nicht wachrütteln, ein System kritisieren und gleichzeitig von ebendiesem freundliches Einlenken erwarten wollen. In den Augen und Ohren der Regierenden Saudi-Arabiens wäre vermutlich ein Waffen-Boykott das bessere Argument. Gleich nach Allah (und dem christlichen Gott) kommt bekanntlich der Kriegsgott u.a. aus Deutschland mit Heckler & Koch usw...

Vorher bringt Raif Badawi aber einigen frischen Wind in die Köpfe der LeserInnen.


Freiheit für Raif Badawi!



 

Twitter-Account: Ensaf haidar (@miss9afi) 

 

14IV15



Tweet