LETNA PARK     Prager Kleine Seiten
Kulturmagazin aus Prag
info@letnapark-prager-kleine-seiten.com

 

 

„Schreckende Herrlichkeit des Lebens“?

 

Anlässlich der jüngst erschienenen tschechischen Ausgabe des Romans Die Herrlichkeit des Lebens von Michael Kumpfmüller einige Anmerkungen

 

 

 

 

 

 

von Roman Kopřiva


„Tausendmal hab ich in meiner Herzensfreude gelacht über die Menschen, die sich einbilden, ein erhabner Geist könne unmöglich wissen, wie man ein Gemüse bereitet. Diotima konnte wohl zur rechten Zeit recht herzhaft von dem Feuerherde sprechen, und es ist gewiss nichts edler, als ein edles Mädchen, das die allwohltätige Flamme besorgt, und ähnlich der Natur, die herzerfreuende Speise bereitet.“ Der Bewunderung Hyperions zu Diotima in Friedrich Hölderlins Briefroman steht Franz Kafkas Bewunderung zu Dora Diamant, der letzten Frau seines Lebens, in nichts nach. Als dieser sie Fische für das Abendessen ausnehmen sieht, fasst er zusammen: „… so zarte Hände … und so blutige Arbeit müssen sie verrichten.“ Die Geschichte des Schriftstellers Kafka und der Köchin Diamant aus der Ferienkolonie des Jüdischen Volksheims in (Graal)-Müritz an der Ostsee wurde zum Gegenstand von Michael Kumpfmüllers Roman Die Herrlichkeit des Lebens. Der Autor präsentierte ihn im Mai u.a. auf der Prager Buchmesse (Book World Prague) und zwischendurch in Pilsen sowie im Literaturcafé der Academia-Buchhandlung in Brünn. Vorangestellt wurde dem Roman eine Tagebuchnotiz Kafkas: „Es ist sehr gut denkbar, dass die Herrlichkeit des Lebens um jeden und immer in ihrer ganzen Fülle bereit liegt, aber verhängt, in der Tiefe, unsichtbar, sehr weit. Aber sie liegt dort, nicht feindselig, nicht widerwillig, nicht taub. Ruft man sie mit dem richtigen Wort, beim richtigen Namen, dann kommt sie. Das ist das Wesen der Zauberei, die nicht schafft, sondern ruft.“ 

Kumpfmüller, auf Geschichte und Germanistik geeicht, setzt minutiös und mit Akribie Teilchen um Teilchen zu einem etwas weitmaschigen Bild der Kafka-Forschung zusammen und beschwört das Vergangene derart kunstvoll herauf, dass die Nahtstellen kaum zu sehen sind. Es ist eine hoch kultivierte Lektüre darüber, wie sich die ursprüngliche Strand-Bekanntschaft bis hin zu Amor fati ( lat. Liebe zum Schicksal - Geprägt wurde der Begriff amor fati von F. W. Nietzsche und bedeutet "die Bejahung des notwendigen Geschicks als Zeichen für menschliche Größe", ks) und unausweichlicher Todesbegleitung verwandelt. In einen Traum von Glück, Gesundheit, Ehe und Kindern. Dies alles mit Humor und mit eingestreuten Anekdoten. Es gibt etwa ein kleines Mädchen, das im Park seine Puppe verloren hat und für das Franz Briefe von der Puppe über deren Reise nach Afrika „in Empfang nimmt“. Diese macht dort ihr Glück mit einem Prinzen und kann deshalb unmöglich zu dem Mädchen zurückkommen. Die Erwachsenen träumen hingegen von einer Reise nach Palästina, wo sie ein Restaurant eröffnen. Dora wird kochen und Franz kellnern! Es ist die Rede von Literatur und Erzählungen, an denen „der Doktor“ oder „Franz“ schreibt und die Dora nicht verstehen kann oder will. Das in ihnen thematisierte Zischen, Piepsen und Pfeifen (Sängerin Josefine!) nehmen bereits Kafkas Sprechschwierigkeiten infolge der rasch voranschreitenden Kehlkopftuberkulose vorweg. Schade nur, dass der Autor nicht wagt, den tagebuchartigen Text mit mehr verstreuten, frei erfundenen kafkaesken Anekdoten anzureichern, denn auf mehr als zweihundert Seiten wartet manch eine Durststrecke nicht nur auf den fiebernden Protagonisten, sondern wohl auch auf den Leser.

Die Kardinalsfrage wirft aber nicht nur die Übersetzung des Titels, sondern der Titel selbst auf. Das deutsche Wort Herrlichkeit ist von kaum geahnter Fülle. Bis hin zum biblischen Gloria. Mit dem tschechischen Wort nádhera ist es allein nicht getan. Dies entspricht zwar korrekt Kumpfmüllers herrlichem Wetter oder Ausblick, doch besitzt das Wort im Original eine Aura, die noch in „schröckende(r) Herrlichkeit“ von Hölderlins Roman opalesziert. Es fragt sich, ob bei der biographischen Engführung nicht ebenso die Vielstimmigkeit wie Kafkas schreckliche Antinomien allzu kurz kommen. Ist es nun ein Liebesroman oder vielleicht gar einer über Sterbebegleitung? Zwar wird aus der Puppengeschichte geschlussfolgert, dass das Glück durch Verlust erkauft werde, ergo Doras Glück durch Kafkas vorhergehende Krankheit. Ohne diese wäre er ja verheiratet und ihr nicht mehr begegnet: „Ist es also gut, dass die Tuberkulose ausgebrochen ist, oder eher nicht?“ Es ist dies allerdings die einzige widersprüchliche Stelle. So fehlt etwa der Appell, gerichtet an den Medizinstudenten Robert Klopstock: „Töten Sie mich, sonst sind Sie ein Mörder!“ Oder unter anderem die Perspektive des im Roman erwähnten Freundes, Arztes und Schriftstellers Ernst Weiß, der meinte, das heldische „herrlich leben“ heiße „herrlich untergehen“ und sprach von Kafkas (d.h. auch oder vor allem Weißens) dämonischer Natur, die ihn zwang, sich „an die Dinge dieser Welt und an ihre bittersüßen Herrlichkeiten“ heranzusaugen.  Wer ruft da die „Herrlichkeit des Lebens“ beim richtigen Namen? Der Protagonist? Doras nachempfundener Lebensfrohsinn? Freunde und Zeitgenossen? Die Taktik des Autors? Der im Angesicht der letzten Dinge aufzuheiternde Leser?

 

Michael Kumpfmüller – Die Herrlichkeit des Lebens. Roman. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2011. Tschechische Ausgabe: Nádhera života. Přel. Věra Koubová. Praha: Mladá fronta, 2012.

 

Roman Kopřiva ist Germanist und wissenschaftlicher Betreuer der Österreich-Bibliothek Brünn. Er lehrt deutsche Literatur an der Masaryk-Universität Brünn/Masarykova univerzita Brno. Er war Gastlektor für tschechische Sprache und Literatur an der Universität Wien und Franz Werfel-Stipendiat bei Prof. Wendelin Schmidt-Dengler. Seine Forschungsschwerpunkte sind österreichische Literatur und Wiener Moderne sowie Prager deutsche Literatur und Franz Kafka.

 

© Roman Kopřiva, Juli 2012

 

Eine Kurzfassung des Textes ist am 10.07.2012 in der Landeszeitung, eine abweichende tschechische Fassung (Kafkovské štěstí se vykupuje ztrátou) in Kulturní noviny, Brno, Nr. 13 (18.6.3012), S. 6 erschienen:

http://www.kulturni-noviny.cz/nezavisle-vydavatelske-a-medialni-druzstvo/ke-stazeni

 

 

 



Tweet