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Das schwierige Erbe des Oskar Schindler

Die Person des gebürtigen Zwittauers bleibt in seiner Heimat so umstritten wie seine ehemalige Fabrik

von Alexandra Mostýn   

                                                                                          

Svitavy - Miloš Vízdal, stellvertretender Bürgermeister von Zwittau (Svitavy) muss erst einmal tief Luft holen. „Oskar Schindler“, sagt er langsam und lehnt sich in seinem Sessel zurück. „Bei uns in der Stadt hat er eine gewisse Reputation. In jungen Jahren soll er sehr wild gewesen sein“, sagt Vízdal. Der Ruf als Schulschwänzer und Schürzenjäger, Säufer und Spion klebt noch heute an Schindler, der 1908 in Zwittau geboren wurde.
Hier ist Oskar Schindler weniger der Gerechte unter den Völkern, als der er vom Staat Israel 1967 geehrt wurde, weil er 1.200 Juden vor der Deportation in die Vernichtungslager der Nazis rettete.
Sondern eher der Abenteurer, der Anfang 1939 als Agent der reichsdeutschen Spionageabwehr verhaftet wird und den nur der deutsche Einmarsch in die Tschechoslowakei im März 1939 vor dem Galgen rettet. „Wir haben hier ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Oskar Schindler“, meint der Zwittauer Stadtvater Vízdal. „Damals, noch vor dem Krieg war er hier schon als Schindlergauner bekannt“, erzählt er und lacht verschmitzt.
Erst 1994, als in Zwittau die Vorpremiere des weltbekannten Films Schindlers Liste stattfindet, lässt sich die Stadt dazu bewegen, ihrem berühmten Sohn, der auf dem Zionsberg in Jerusalem seine letzte Ruhestätte fand, ein Denkmal zu bauen. „An den unvergesslichen Lebensretter der 1.200 verfolgten Juden“, steht da auf Deutsch und Tschechisch auf der einfachen Bronzetafel, die zwei Granitsäulen verbindet. Etwas abgelegen steht das Denkmal am Rande des Jan-Palach-Parks, genau gegenüber von Schindlers Elternhaus in der Polička Strasse, die früher Iglauer Strasse hieß. Seine jetzigen Bewohner weigern sich, am Haus eine Gedenktafel anbringen zu lassen. „Warum weiß ich zwar nicht“, sagt Miloš Vízdal, „aber ich glaube viele unserer älteren Bewohner sehen Schindler vor allem noch als Deutschen.“
Traum eines Freilichtmuseums

Wäre Oskar Schindler ein Tscheche gewesen, dann hätte er schon längst eine eigene Gedenkstätte“, sagt Radoslav Fikejz vom Städtischen Museum in Svitavy. Der Historiker ist Autor der permanenten Ausstellung Die Suche nach dem Davidstern, die dem Zwittauer Judenretter gewidmet ist und im Jahre 2000 eröffnet wurde. Das Museum der Stadt hat den vierzehn Ausstellungstafeln, die Schindlers Leben chronologisch nachvollziehen sogar einen Raum gewidmet, gleich hinter der Ausstellung historischer Waschmaschinen, die zwar keine Beziehung zur Stadt hat, umso mehr aber bereits im Eingangsbereich des Museums angepriesen wird. „Schon komisch“, sagt Radoslav Fikejz, „in Israel wird dieser Mensch mit all seinen Ecken und Kanten hoch verehrt. Hier können wir ihm noch immer nicht verzeihen, dass er Deutscher war.“
Ein Zustand, mit dem sich Jaroslav V. Novák nicht abfinden will. Der 44-jährige, der auf dem Marktplatz von Svitavy ein Wirtshaus mit Bierarchiv betreibt hat einen Traum. Aus der ehemaligen Schindlerfabrik im nahegelegenen Brünnlitz (Brněnec) will er ein Freilichtmuseum machen, das Oskar Schindler gewidmet ist.
Es ist schon gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, die Rote Armee rückt immer näher, als Oskar Schindler, das NSDAP-Mitglied, das gerne zockt, feilscht und selbst die härtesten SS-Männer unter den Tisch säuft, 1.200 Juden aus Krakow nach Brünnlitz, eine Außenstelle des KZ Groß-Rosen, verlegen lässt. Wer auf Schindlers Liste steht, hat sein Leben gerettet. Denn primär geht es Schindler nicht darum, wie er der SS glauben macht, Kriegsmunition in Brünnlitz zu produzieren. Sondern darum, Menschen vor dem sicheren Tod in den Gaskammern zu retten. „Er war Vater, Mutter und Gott in einer Person“, erinnert sich später eine der geretteten Frauen, die Schindler persönlich von der Rampe in Auschwitz nach Brünnlitz holte. „Sämtliche jüdische Arbeiter, die Häftlinge im Konzentrationslager in Plaschau, Groß-Rosen und Auschwitz waren, sprechen Dir, Schindler, hiermit aus tiefem Herzen unseren heißen Dank aus, wobei wir feststellen, dass wir es ausschließlich deinen Bemühungen zu verdanken haben, dass wir den Augenblick der Beendigung des Krieges erleben durften“, heißt es in einem Begleitschreiben, den die geretteten Juden Schindler und seiner Frau Emilie mitgeben, als die im Mai 1945 aus Brünnlitz fliehen.
„Pläne, ein Schindler-Museum in Brünnlitz zu errichten gab es schon einmal“, weiß Jaroslav V. Novák. Nur scheiterten die an den ungeklärten Besitzverhältnissen der ehemaligen Fabrik.
Nach dem Krieg wird sie wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung als Textilfabrik zugeführt, als die sie 1839 vom Zwittauer Industriellen Moses Löw-Beer gegründet wurde. Unter verschiedenen Namen, der bekannteste von ihnen Vítka, produziert sie auch nach der Samtenen Revolution“ recht erfolgreich Textilien, zuletzt Sitzüberzüge für Autos. Sie liefert an Škoda, exportiert nach Skandinavien und verfügt über ein Stammkapital von 140 Millionen Kronen (2003: 4,7 Millionen Euro).
Doch 2003 gelingt es der Finanzgruppe CzechInvestments die Fabrik für angeblich ein Zehntel ihres Werts zu kaufen. Gemunkelt wird, dass Mitglieder der Privatisierungskommission ihre Hände mit im Spiel haben. Ein paar Monate später ist die Fabrik im Konkurs. Zwischen 2003 und 2010 wird das ehemalige KZ-Außenlager insgesamt dreimal verkauft. Die einstige „Arche“, die im Sturm des industrialisierten Massenmordes 1.200 Menschen Schutz bot, wird zum Spielball von Betrügern. Jeder der neuen Eigentümer klaut, was es zu klauen gibt. Sogar die alten Deckenbalken aus massivem Holz werden ins Ausland verscherbelt. Vom einstigen Stammkapital ist kein Heller mehr übrig. Seit sieben Jahren streiten sich die verschiedenen Interessenparteien vor Gericht. In insgesamt 54 Klagen. Würde man sämtliche Akten zum Fall zusammenfassen, hätte man einen Berg von 14.000 Seiten. 
 

 

Ein Ende ist kaum abzusehen. Noch mindestens drei Jahre, so Eingeweihte, wird sich das Konkursverfahren hinziehen. Pech für Jaroslav V. Novák, der die alten Baracken und Hallen lieber gestern als heute rekonstruieren würde. „Schon jetzt kommen Touristen aus Japan, Korea, Israel oder den Niederlanden auf den Spuren Schindlers nach Svitavy. Was glauben Sie, wie ein solches Museum den Tourismus in dieser strukturschwachen Region ankurbeln würde?“ fragt Novák. Seine Hoffnung legt er jetzt in den Staat. Das tschechische Kulturministerium prüft gerade ob und wie man die Fabrik unter Denkmalschutz stellen kann, auch Pläne, sie zum UNESCO-Weltkulturerbe erklären zu lassen gibt es bereits. „Das Konkursverfahren hat nur ein Gutes: solange es läuft, kann niemand die Fabrik, oder das, was noch von ihr übrig geblieben ist, abreißen“, sagt Jaroslav V. Novák.

 


 

Inzwischen kann sich auch die Stadt Svitavy ein Schindler-Freilichtmuseum in Brünnlitz vorstellen. „Wir könnten es aber nur moralisch unterstützen, Geld haben wir selbst keins,“ sagt der stellvertretende Bürgermeister Miloš Vidal. Auch die Historikerin Jitka Gruntová, Autorin des Buchs Die Wahrheit über Oskar Schindler – Weshalb es Legenden über 'gute' Nazis“ gibt , kann sich ein Museum in Brünnlitz vorstellen. „Es wäre gut, hier eine Gedenkstätte für das ehemalige KZ Groß-Rosen zu haben. Gerade in der heutigen Zeit kann es nicht schaden, an Krieg, Fanatismus und Rassismus zu erinnern“, sagt Gruntová.
Nur eines lehnt Gruntová, die von 2002 bis 2006 für die Kommunistische Partei im tschechischen Abgeordnetenhaus saß, kategorisch ab: „So ein Museum darf kein Denkmal für Oskar Schindler werden, das wäre eine Schande.“ In Svitavy, meint Gruntová, stünde das Schindler-Denkmal nur, weil die Stadt sonst keinen berühmten Sohn vorzuweisen habe und neidisch auf die Nachbarorte Litomyšl und Polička sei, die die weltberühmten Komponisten Bedřich Smetana und Bohuslav Martinů hervorgebracht haben. „Nicht, dass ich ein Problem mit Schindler habe, weil er Deutscher war“, sagt Gruntová schnell. Aber für die 65-jährige ist Oskar Schindler NSDAP-Mitglied Nummer 6421477 geblieben. „Der hat niemanden gerettet außer sich selbst“, erklärt Gruntová, die glaubt die "Schindlerjuden" hätten in Brünnlitz auch ohne Schindler überlebt.
In seine Heimat ist Oskar Schindler nach seiner Flucht aus Brünnlitz 1945 bis zu seinem Tod 1974 nie wieder gewesen. Vergessen hat sie ihn nicht. Anerkannt kaum.


© Erstveröffentlichung vom 22.03.2012 in der Landeszeitung – Zeitung der Deutschen in der Tschechischen Republik, mit freundlicher Genehmigung der Autorin und Chefredakteurin Alexandra Mostýn. Diesen und weitere interessante Artikel unter: www.landeszeitung.cz

 

                                                        

 

 

Emilie Schindler, geb. Pelzl, war wohl eine wichtige, wenn nicht die wichtigste treibende Kraft, die ihren Ehemann zu einer Änderung seiner Lebenshaltung bewog. Sie hat jedenfalls alle Aktionen unterstützt und mitgetragen. In der Geschichtsschreibung wurde sie jedoch fast gänzlich vergessen. Dem Ansehen Oskar Schindlers hätte die Erinnerung an sie sicher nicht geschadet.

 






Literatur:
Emilie Schindler, Erika Rosenberg (Hrsg.): Ich, Emilie Schindler, ISBN 3-7766-2230-X

Emilie Schindler, Erika Rosenberg (Hrsg.): In Schindlers Schatten. Emilie Schindler erzählt ihre Geschichte, aufgeschrieben von Erika Rosenberg. Aus dem Spanischen von Elisabeth Brilke übersetzt. Deutsche Erstausgabe, 2. Auflage, Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 1997,ISBN 3-462-02585-6

 

© Fotos: muzeum.svitavy.cz, hotelsh.cz, mel.gehirnbrand.de, deathcamp.info 

 

03/2012

 

  

 

 



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