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Theresienstadt  –  1944 

 von Katja Schickel

 

Am 24. November 1941 kommen die ersten Juden als sog. Aufbaukommando ins KZ Theresienstadt / Terezín, z.B. der Maler und Autor Peter Kien. Die zwangsrekrutierten jungen Männer - die meisten aus Prag - sollen die Gebäude der alten Festungsanlage halbwegs instandsetzen und einige neue Baracken errichten.
Die NS-Propaganda will, dass das Lager von Anfang an als jüdische Mustersiedlung (zum Teil auch als eine Art Seniorenheim für Begüterte) erscheint, in der sich Familien, hauptsächlich von Wissenschaftlern und Kulturschaffenden, ebenso zu Hause fühlen wie etwa Alte und Gebrechliche. Nach der Wannseekonferenz 1942 (hier:
Wannsee-Konferenz 42) werden deshalb vermehrt alte oder als prominent geltende Juden aus Deutschland und anderen besetzten europäischen Ländern hierhin deportiert. Man will außerdem den Vorwürfen und Gerüchten über die Ermordung der europäischen Juden entgegentreten und ein sauberes Image erzeugen.


Besonders ausgeklügelt funktioniert die nationalsozialistische Propaganda am 23. Juni 1944, als eine Abordnung des Internationalen Roten Kreuzes in Theresienstadt eintrifft und eine bis ins kleinste Detail inszenierte perfide Show zwischen Filmkulissen abläuft, auf die die Delegation auch prompt hereinfällt (oder sich mutwillig täuschen lässt): Fassaden sind gestrichen, Schriftzüge angebracht, Läden (u.a. Bäcker, Metzger, Damen- und Herren-Oberbekleidung, Kurzwaren), Cafés und ein Restaurant eingerichtet, sogar eine Bank und ein Postamt (bei manchen mit Auslagen ausstaffierten und mit Farben markierten Geschäften befindet sich hinter der gemalten Wand tatsächlich nichts), das Kinderheim erhält blütenweiße Bettwäsche.
Gespräche mit den Gefangenen finden nicht statt, sie sind von der Lagerleitung natürlich nicht erwünscht, aber auch das IRK drängt offensichtlich nicht auf persönliche Kontakte, der ausländische Besuch fährt ab und hat sich für die Nazis 
vollumfänglich gelohnt.
(Eva Roubíčková hat davon und von ihrem Lagerleben insgesamt berichtet:
Eva Roubickova, Tagebuch, Gespräch Roubickova, Erinnerungs-Stücke, Prag ab 1938, Nach Theresienstadt, In Theresienstadt, Alltag-Kultur, Wieder in Prag, Der unsichtbare Held, E.Roubickova ist tot).


Im Oktober 1944, sowohl Ost- wie Westfront bewegen sich nicht, fahren fast täglich Transporte nach Auschwitz. Im sog. Künstlertransport vom 16.10.1944 befinden sich die Komponisten Hans Krása, der hier die Kinderoper Brundibar geschrieben und aufgeführt hat, Gideon Klein, Viktor Ullmann, der die Oper Der Kaiser von Atlantis (Libretto: Peter Kien) sowie die Sinfonien Nr. 1 und Nr. 2 hinterlässt, beide nur als Fragmente erhalten, inzwischen allerdings rekonstruiert und wiederaufgeführt. Pavel Haas´ Studie für Streichorchester wird am 13.09.1944 unter der Leitung des Dirigenten Karel Ančerl uraufgeführt und ist in dem NS-Film Der Führer schenkt den Juden eine Stadt (eigentlich: Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet, eigenmächtig vom Lagerleiter Hans Günther initiiert) zu sehen und zu hören. Rafael Schächter dirigiert eine Aufführung von Verdis Requiem. Deportiert werden auch Peter Kien, der erst sechzehnjährige Zeichner und Schriftsteller Petr Ginz und viele andere. Zu der Baupläne zeichnenden Gruppe rund um den Karikaturisten Bedřich Fritta, der vor dem Krieg als Fritz Taussig bekannt ist und wie Kien bereits 1941 nach Theresienstadt zwangsverpflichtet wird, gehören auch Karel Fleischmann, Ferdinand Bloch, Leo Haas,Otto Ungar, Charlotte Buresová und Dinah Gottliebová. 

Sie zeichnen den Alltag in Theresienstadt, das Leben und Sterben (fast täglich um zweihundert Menschen, viele davon verhungern), Nizza Thobi erinnert auch an die Malerin Malva Schalek (1882-1944) und ihr Werk vor und in Theresienstadt.

Ob sie schreiben, zeichnen oder komponieren: Es ist - bis auf wenige Auftragsarbeiten - illegal, und alle riskieren alleine damit schon viel. Einige der Zeichner und Graphiker versuchen über das Baubüro, in dem sie arbeiten müssen, Kassiber und Bilder hinauszuschmuggeln, damit das Ausland die Wahrheit über das Lager erfährt und auch der Propagandafilm als Lüge entlarvt wird. Die meisten von ihnen werden ermordet. Aber einige ihrer Werke haben sich erhalten. Wir können sie lesen, sehen und hören. 


Von den rund 142.000 in Theresienstadt Internierten überleben nur 16.832. Die anderen sterben entweder in Theresienstadt an Krankheiten, Seuchen und Hunger oder in den Vernichtungslagern im Osten. s. hier: H. G. Adler, HG Adler – Gedichte, HG Adler – Romane und: Hans Günther Adler: Theresienstadt. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft 1941 – 1945, Wallstein, Göttingen 2005, ISBN 3-89244-694-6

 

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Zum Juden, zur Jüdin gemacht

Ruth Klüger - weiter leben

Ich hab Theresienstadt irgendwie geliebt, und die neunzehn oder zwanzig Monate, die ich dort verbrachte, haben ein soziales Wesen aus mir gemacht, die ich vorher in mich versponnen, abgeschottet, verklemmt und vielleicht auch unansprechbar geworden war. In Wien hatte ich Ticks, Symptome von Zwangsneurosen, die überwand ich in Theresienstadt, durch Kontakte, Freundschaften und Gespräche. Es ist erstaunlich, wie kreativ gesprächig die Menschen werden, wenn sie nur das Gespräch als Ablenkung aus einer Not, die allerdings noch erträglich sein muss, haben. Sie hat doch recht gehabt, die Frau meines Kollegen, Theresienstadt war nicht so schlimm. Aber wie kommt sie dazu, so mit mir zu reden, wenn doch alles, was von den Deutschen kam, ein einziges Elend war, und das Gute nur von uns, den Gefangenen? Deren Stimmen mir noch immer im Ohr hängen, totschlagen musste man sie, um sie zum Schweigen zu bringen, und gesegnet sei ihr Angedenken. Das meiste, was ich über soziales Verhalten weiß (und es ist gar nicht so wenig, ich bin ein verlässlicher Mensch geworden), habe ich von den jungen Sozialisten und Zionisten gelernt, die in Theresienstadt die Kinder hüteten - bis sie sie ausliefern mussten und selbst ausgeliefert wurden. Da war jede Menge an Mangel und keine Grenze der Beschränkung. Wenn das gut ist. Gut war nur, was die Juden daraus zu machen verstanden, wie sie diese Fläche von weniger als einem Quadratkilometer tschechischer Erde mit ihren Stimmen, ihrem Intellekt, ihrer Freude am Dialog, am Spiel, am Witz überfluteten. Was gut war, ging von unserer Selbstbehauptung aus. So daß ich zum ersten Mal erfuhr, was dieses Volk sein konnte, zu dem ich mich zählen durfte, mußte, wollte. Wenn ich mir heute die unbeantwortbare Frage vorlege, wieso und inwiefern ich Ungläubige überhaupt Jüdin bin, dann ist von mehreren richtigen Antworten eine: „Das kommt von Theresienstadt, dort bin ich es erst geworden“. 


Ich hab Theresienstadt gehasst, ein Sumpf, eine Jauche, wo man die Arme nicht ausstrecken konnte, ohne auf andere Menschen zu stoßen. Ein Ameisenhaufen, der zertreten wurde. Wenn mir jemand vorgestellt wird, der oder die auch in Theresienstadt gewesen ist, schäme ich mich dieser Gemeinsamkeit, versichere dem anderen gleich, dass ich bei Kriegsende nicht mehr dort war, und brech das Gespräch so rasch wie möglich ab, um einem etwaigen Angebot von Zusammengehörigkeit vorzubeugen. Wer will schon Ameise gewesen sein? Nicht einmal im Klo war man allein, denn draußen war immer wer, der dringend musste. In einem großen Stall leben. Die Machthaber, die manchmal in ihren unheimlichen Uniformen auftauchten, um zu überprüfen, ob das Vieh nicht am Strick zerrte. Da kam man sich wie der letzte Dreck vor, das war man auch. Einem ohnmächtigen Volk anzugehören, das abwechselnd arrogant und dann wieder selbstkritisch bis an die Grenze des Selbsthasses war. Keine Sprache zu beherrschen als die der Verächter dieses Volkes. Keine Gelegenheit haben, eine andere zu lernen. Nichts lernen, nichts unternehmen dürfen. Diese Verarmung des Lebens.


© aus: Ruth Klüger, weiter leben, 1992, Wallstein-Verlag



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