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Das gute Gedächtnis eines unbequemen Historikers


von Volker Strebel



 

Toman Brod – Gut, dass man nicht weiß, was kommt.
Meine Jahre von 1929 bis 1984 – Erinnerungen.
420 S., geb., mit 56 Abb. und einem Verzeichnis Prager Straßen- und Stadtteilnamen.
Aus dem Tschechischen von Gudrun Heißig und Anna Knechtel.
Herget Verlag, Weßling 2013. 29,50 €, ISBN: 9783981019254

 








Als im August 1975 in San Francisco der XIV. Internationale Kongress für Geschichtswissenschaften abgehalten wird, erregt ein herausgeschmuggeltes Dokument aus der Tschechoslowakei die Aufmerksamkeit der Teilnehmer. In einer „Acta Persecutionis“ sind namentlich nahezu hundertfünfzig tschechoslowakische Historiker aufgelistet, die in ihrer Heimat Berufsverbot erhalten haben. Manch einer hat, wie etwa Toman Brod, Konzentrationslager, gar Vernichtungslager überlebt, und die überwiegende Anzahl vertritt eine sozialistische Weltanschauung. Damals wie auch heute drängt sich die Frage auf, wie es zu diesen Verboten hat kommen können?


Im vorliegenden Erinnerungsbuch holt der Prager Historiker Toman Brod mit seiner Antwort weit aus. Er beginnt mit Erinnerungen an seine behütete Kindheit in Prag. Zusammen mit seinem älteren Bruder Hanuš verbringt er sorglose Jahre in einem bürgerlichen Elternhaus. Die Familie spricht Tschechisch, ist nicht besonders religiös, Feste wie beispielsweise Weihnachten werden jedoch gefeiert. Dass Brod einer jüdischen Familie entstammt, wird ihm erst ab März 1939 in der Zeit des Protektorats bewusst, als sich durch Sondervorschriften für Juden sukzessive die Lebensverhältnisse verschärfen.
Die schikanöse Regelungswut umfasst den Zugang zu öffentlichen Parks oder Spielplätzen für Kinder ebenso wie den Aufenthaltsbereich in öffentlichen Verkehrsmitteln. Ab September 1941 wird das Tragen des Gelben Sterns obligatorisch. Es folgen erste Abtransporte in neu errichtete Ghettos.

Eindrucksvoll schildert Brod, mit wieviel Hoffnung sich die Menschen in diesem mörderischen Umfeld an die kleinsten Anzeichen möglicher Erleichterungen klammern. Dies trifft auch auf ihn selbst zu, als er mit Bruder und Mutter in das Ghetto Theresienstadt/Terezín transportiert wird. Brod wird Augenzeuge von monströsen Vorgängen, die sich heutige Leugner nicht im Ansatz vorstellen können. Im Dezember 1943 kommt er in einen Transport nach Auschwitz-Birkenau. Er hat schon genug gesehen und erlebt, um den Unterschied zwischen dem von den Nazis (verlogen) als „Vorzeigelager“ geführten Ghetto Theresienstadt und einem Vernichtungslager zu verstehen. Die Verlegung in das KZ Märzbachtal in Niederschlesien im Oktober 1944 hat dem jungen Toman Brod am nachhaltigsten zugesetzt, „es reichten bloße drei Monate in Märzbachtal, um mich in ein Wrack zu verwandeln“.

Seine Befreiung erlebt Toman Brod körperlich und seelisch schwer angeschlagen. Typhus und Tuberkulose müssen ausgeheilt werden. Bald nach seiner Heimkehr wendet er sich in Prag den Kommunisten zu, von denen er sich vor allem verspricht, dass sie am konsequentesten eine Wiederholung der schrecklichen Ereignisse verhindern würden.


 

Es zeichnet diese Erinnerungen aus, dass Brod mit großer Offenheit von seinen Hoffnungen, aber auch von seiner bald einsetzenden Skepsis berichtet. Bereits in den ersten Jahren der sozialistischen Tschechoslowakei befragt er sich, ob er „ein richtiger Kommunist“ sei. Wenn darunter kritikloser Kadavergehorsam zu verstehen ist, dann hat er bereits schon damals – als promovierter Historiker im militärgeschichtlichen Institut – innerlich die Gefolgschaft aufgekündigt. Unausweichlich folgen Konflikte mit dogmatischen Parteikadern. Im Jahr 1968 begrüßt er zwar die Reformbestrebungen der KPČ unter Alexander Dubček, ist allerdings bereits stark desillusioniert. Dass die Reformkommunisten nach der Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 einknicken, verwundert ihn deshalb nicht besonders. Was kann man schon aus diesem „kommunistischen Morast“ erwarten?

 


Toman Brod teilt von nun an das Schicksal von tausenden marginalisierten Intellektuellen, die aus ihren Berufen entfernt werden und nur mit Mühe sich und ihre Familien ernähren können. Folgerichtig gehört er auch zu den ersten, die mit ihrer Unterschrift für die Bürgerrechtsbewegung Charta 77 einstehen.
Es folgen die bleiernen Jahre der Normalisierung mit zum Teil absurden Formen gesellschaftlicher Ausgrenzung. Toman Brod nutzt die Zeit, um sich als Zeitzeuge und Historiker eigene Gedanken über gesellschaftliche Tabuthemen zu machen, wie etwa den Antisemitismus in Böhmen, die Deutschen als unmittelbare Nachbarn wie auch deren Vertreibung nach dem 2. Weltkrieg.

Die Länder des „real existierenden Sozialismus“ verstehen sich als die legitimen Erben des Widerstandes gegen die nationalsozialistische Diktatur. Als Historiker zeigt Brod jedoch auf, dass diese Länder ihrem Anspruch nicht gerecht werden. Brod rückt auch die häufig benutzte Formulierung vom „faschistischen Deutschland“ zurecht, indem er auf die spezifische Form des Nationalsozialismus verweist, die es nur in Deutschland gegeben hat: „Wäre Deutschland faschistisch gewesen, hätte es keinen Holocaust gegeben“.
An derlei Stellungnahmen lässt sich das gesellschaftspolitische Temperament Toman Brods erkennen, das ihn im Laufe seines langen Lebens immer wieder tapfer das Wort ergreifen lässt, obwohl stets schmerzhafte Sanktionen absehbar sind.


In einem kurzen Ausblick zieht Toman Brod noch einmal Bilanz über die allerneuesten Entwicklungen in seinem Land. Kritisch und engagiert knöpft er sich Fehlentwicklungen wie auch haarsträubende Missstände vor. Unnachsichtig geißelt er unter anderem die allgemeine Korruption, die Verschwendung von öffentlichen Geldern und „ärgert“ sich über „die überbordende Vulgarität der Medien, die allerdings auch die Öffentlichkeit übernommen hat“. Und dennoch weiß er die neuen Möglichkeiten eines Lebens in Freiheit entschieden zu würdigen!

Vor dem Hintergrund seiner brutalen Erlebnisse und einer atemberaubenden Lebenserfahrung gerinnen zwei Merksätze Brods zu einer Art zivilgesellschaftlichem Testament: „Von meinem Golgotha unter den Nationalsozialisten sind mir zwei unverrückbare Grundsätze im Sinn geblieben, die ich zu meiner Überzeugung gemacht habe: die Menschen in meiner Umgebung nicht etwa nach Religion, Nationalität oder Hautfarbe einzuteilen, sondern anständige Menschen von Übeltätern zu unterscheiden. Und zu protestieren, wenn Unschuldige von Bosheit und Sanktionen getroffen werden“.



© Mit freundlicher Genehmigung des Autors; ähnliche Fassung: literaturkritik.de. Fotos: Herget Verlag (Cover), priv. (Licht und Schatten)., saaz.info (Porträt)




 

Toman Brod, *1929 in Prag. Während der Besatzung der Tschechoslowakei und des Zweiten Weltkriegs war er drei Jahre lang in den Lagern Theresienstadt, Auschwitz-Birkenau und Groß-Rosen inhaftiert. Nach Krieg und Beendigung des Studiums ist er als Historiker tätig und widmet sich – bis heute – historischen Studien. Er vertritt die Auffassung, dass ein Staat langfristig nur Bestand haben kann, wenn ihn alle Ethnien als ihren eigenen Staat annehmen und gleichzeitig ihre gegenseitige Gleichberechtigung anerkennen. Schwerpunkte seiner Arbeit sind die nationalsozialistische Politik und der tschechoslowakische Widerstand. Sein größtes Werk in den vergangenen Jahren ist eine Studie über den tschechoslowakischen Weg in die sowjetische Abhängigkeit in den Jahren 1939-1948, die im Jahr 2002 vom tschechischen Verlag Academia unter dem Titel Der schicksalhafte Irrtum des Edvard Beneš veröffentlicht wurde.

 




10XI2014

 

 

 



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